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Jochen Hippler

Der Krieg am Golf - eine politische Einschätzung


Der folgende Text wurde noch während des 2. Golfkriegs (also des Krieges der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak, Anfang 1991, als Folge der irakischen Eroberung Kuwaits ) geschrieben, im Februar 1991. Sein Schlussteil ist wenige Wochen jünger, er stammt aus dem März 1991, kurz nach Kriegsende. Eine kurze Einleitung wurde hier gekürzt.

 


1. Ausgangspunkt der Debatte war der irakische Überfall auf Kuwait. Dieser Aggressionsakt und Bezugspunkt darf auch nach dem Beginn des Krieges und der irakischen Niederlage nicht verdrängt werden. Der Überfall war ein völkerrechtswidriger Akt der Aggression, die konkrete Form seiner Durchführung darüber hinaus von großer Brutalität und massivsten Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet.1 Jede Form von Sympathie mit dieser Politik wäre grundfalsch und friedenspolitisch unglaubwürdig. Die Forderung nach einem Abzug Iraks aus Kuwait war richtig und notwendig.

2. Das politische System des Irak ist ebenfalls keines, das auch nur ansatzweise Sympathie verdient. Die Diktatur der Baath-Partei ist immer mehr zur persönlichen Diktatur Saddam Husseins geworden. Bespitzelung und Repression sind neben Versuchen der Gewährung ökonomischer Anreize wichtigste Instrumente des Machterhalts. Selbst nach Aussagen hochrangiger irakischer Politiker gelten Menschenrechte im Irak nicht.2 Dabei hat die irakische Führung keinerlei Skrupel: sogar der Einsatz von Giftgas gegen Teile der Zivilbevölkerung wurde praktiziert. Dabei handelt es sich bei der irakischen Führung um eine durchaus effiziente, professionelle und in weiten Bereichen erfolgreiche Regierung. Der Aufbau der Infrastruktur, des Gesundheits- und Bildungswesens konnte sich bis zum Golfkrieg gegen den Iran durchaus sehen lassen.3

3. Das strategische Ziel der irakischen Führung bestand und besteht darin, aus dem früher armen und rückständigen Land einen innerlich stabilen und entwickelten, äußerlich starken Staat zu machen. Der Irak strebt seit dem Ende der siebziger Jahre die Vorherrschaft im Persischen Golf an, der Krieg gegen den Iran diente diesem Ziel. Nachdem dieser verlustreiche Krieg 1988 trotz vorheriger Rückschläge eindeutig gewonnen werden konnte,4 begann 1990 der nächste Schritt: zuerst signalisierte Saddam Hussein Anfang April in einer Rede den verstärkten Anspruch auf die Führerschaft im arabischen Raum: dies war die primäre Intention seiner Rede, in der er Israel mit Chemiewaffen bedrohte. Im August - genau zwei Jahre nach dem Sieg gegen Iran - wurde Kuwait überfallen.

4. Die Gründe für diesen Aggressionsakt haben nichts oder fast nichts mit den offiziellen Begründungen des Irak zu tun. Religiöse, nationalistische, historische Gründe spielten nur eine untergeordnete Rolle. In Wirklichkeit ging es um folgendes:

a) Eroberung eines sicheren Hafens am Golf und damit eines sicheren Zugangs zum Meer. Die Notwendigkeit dessen war dem Irak durch den Verlust der Fao-Halbinsel im Krieg gegen den Iran 1986 klar geworden, als er vom Golf abgeschnitten worden war. Nur die Bereitschaft der kuwaitischen Regierung, den Irak ihren Hafen nutzen zu lassen, hatte ihn vor schweren Nachteilen bewahrt;

b) Verdoppelung der eigenen Ölvorkommen durch Übernahme der kuwaitischen Quellen - mit Kuwait würde der Irak über 20 % der gesamten nachgewiesenen Weltölvorkommen verfügen;

c) Verstärkung des möglichen Einflusses auf die Ölpreisgestaltung zur Durchsetzung höherer Ölpreise in der OPEC. Diese beiden Punkte, Verdoppelung der Ölreserven und Erhöhung der Preise - würden dem Irak entscheidende wirtschaftliche Vorteile verschaffen und die Übernahme einer regionalen Führungsrolle erleichtern;

d) Lösung bestimmter bilateraler Streitpunkte mit Kuwait, etwa der irakischen Schulden aus der Zeit des Golfkrieges (ca. 12 Mrd. Dollar), der Frage kuwaitischer Ölförderung aus dem Rumeila-Ölfeld, der Ölpreispolitik, der Frage einer Pachtung der kuwaitischen Golfinseln Bubiyan und Warbah.

5. Ständige Behauptungen in der westlichen Presse, Saddam sei "verrückt", "irre", "größenwahnsinnig", "irrational" oder ähnliches sind unsinnig. Die irakische Führung ist hochgradig zweckrational, sie ist skrupellos, aber sehr kalkuliert und nüchtern. Selbst "emotionale", religiöse und andere Ausbrüche sind auf politische Wirkung kalkuliert, nicht emotional. Das ständige Betonen der "Verrücktheit" Saddams ist entweder Teil der psychologischen Kriegführung oder ein Zeichen der Verständnis- und Kenntnislosigkeit der internen irakischen Verhältnisse. Oft hat sie auch rassistische Untertöne: wie oft können wir lesen, daß skrupellose und brutale Politiker im Westen "geisteskrank" sein sollen? War Reagan "wahnsinnig", als er mit quasi-religiösem Eifer einen Endkampf gegen des frühere "Reich des Bösen" betrieb und von einem "Krieg der Sterne" träumte?

6. Warum nun haben die USA den Konflikt um Kuwait zu einer so grundsätzlichen Angelegenheit werden lassen? Was sind die Triebkräfte und Interessen der amerikanischen Politik? Zuerst einmal geht es natürlich nicht um moralische oder völkerrechtliche Fragen. Die brutale Besetzung oder Eroberung fremden Staatsgebietes haben die USA häufig toleriert, oft genug selbst durchgeführt. Die militärische Besetzung Zyperns durch den NATO-Verbündeten Türkei, die brutale Besetzung und der Völkermord in Ost-Timor durch den US-Freund Indonesien, die Besetzung des Libanon durch den jetzigen Zweckpartner Syrien, die jahrzehntelange Besetzung des Gaza-Streifens, der Westbank, der Golan-Höhen und von Teilen des Libanon durch Israel - all dies und viel mehr haben die USA nie zu so harten Maßnahmen bewegen können wie in diesem Fall.5 Und als der Irak 1980 den Iran überfallen hat war dies ebenso völkerrechtswidrig wie der Überfall auf Kuwait: von westlichen oder arabischen

Zwangsmaßnahmen gegen Bagdad konnte damals keine Rede sein.6 Im Gegenteil: der Irak wurde zunehmend breit unterstützt, auch mit Waffen und Gerät.7 Und daß die USA in der Vergangenheit selbst mehr als einmal das Völkerrecht gebrochen und hilflose Länder angegriffen oder besetzt haben, das ist kein "Anti-Amerikanismus", sondern historische Tatsache. Die Besetzung Panamas - zur angeblichen Verhaftung eines einzelnen Kriminellen - liegt noch nicht so lange zurück.

7. Die tatsächlichen Gründe des US-Engagements sind natürlich weniger altruistischer Natur, sind vielmehr von den amerikanischen Interessen bestimmt. Alles andere wäre auch seltsam. Und die US-Interessen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:8

a) Stabilisierung der Region im eigenen Sinne. Konservative Staaten am Golf sollen geschützt, vor internem Umsturz und äußerer Bedrohung geschützt werden. Hätten die USA die Eroberung Kuwaits hingenommen, dann hätten sich die alten konservativen Verbündeten am Golf gefragt, was ein US-Schutzversprechen eigentlich wert sei, hätten sich vermutlich unter irakischen "Schutz" stellen müssen.

b) Die USA hatten (wie die westeuropäischen Länder) während des Golfkrieges immer das Ziel im Auge behalten, daß weder der Iran noch der Irak (oder die Sowjetunion oder sonstwer) Hauptnutznießer sein durften. Kein Land sollte siegreich aus dem Krieg hervorgehen, der Iran und der Irak geschwächt werden und so nach dem Krieg von äußerer (westlicher) Hilfe möglichst abhängig sein. Keine Land sollte eine vom Westen unabhängige Vormachtstellung am Golf einnehmen, am wenigsten der Iran, aber auch nicht der Irak. Diesem Ziel aber war der Irak durch seinen Sieg deutlich näher gekommen. Die US-Regierung stellte sich nach heftigen internen Meinungsverschiedenheiten im Frühsommer 1990 darauf ein, auf die irakische Karte zu setzen, um dieses Land an sich zu binden und zur pro-westlichen Regionalmacht zu befördern.9 Außenpolitisch schien der Irak damit freie Hand zu haben, insbesondere, nachdem die damalige US-Botschafterin Glaspie Saddam Hussein Ende Juli im Namen ihres Außenministers in einem Gespräch versicherte, die USA würden sich in "Grenzstreitigkeiten" in der Region nicht einmischen. Als der irakische Aufmarsch vor Kuwait schon bekannt war, sprach die Sprecherin des US-Außenministeriums Margaret Tutwiler offiziell noch davon, daß sie kein Urteil über die Verantwortung für den Aufmarsch von Truppen "auf beiden Seiten der Grenze" abgeben könne und erläuterte rund eine Woche vor dem Überfall auf Kuwait: "Wir (die USA) haben keinerlei Verteidigungsabkommen mit Kuwait und es keine besonderen Verteidigungs- oder Sicherheitsverpflichtungen gegenüber Kuwait."10 Gleichzeitig wies ein "hochrangiges Regierungsmitglied" öffentlich darauf hin, daß die US-Marineeinheiten im Golf nicht in Alarmzustand versetzt worden seien.11

Die einseitige Annexion Kuwaits durch Irak machte dann deutlich, daß Bagdad nicht zu instrumentalisieren war, da es ausschließlich und skrupellos nationalistische Eigeninteressen verfolgte. Von diesem Zeitpunkt an - also dem 2. August - war der Kampf zwischen Irak und USA um die Dominanz am Golf eröffnet.

c) Hintergrund der beiden vorigen Punkte ist natürlich die Einschätzung der USA, daß es sich bei der Region um eine Gegend mit strategisch entscheidender Bedeutung handelt. Seit der Formulierung der Brown Doktrin und der Carter Doktrin in der zweiten Hälfte der Amtszeit Präsident Carters (die erklärten, die Golfregion und der Mittlere Osten seien eine Region "von strategischer Bedeutung für die USA") wurden die US-Interventionskapazitäten für die Region drastisch ausgebaut und im U.S. Central Command (CENTCOM) organisiert.12

Die Golfregion wird als Verlängerung der NATO-Südflanke betrachtet. Außerdem handelt es sich um die Weltgegend mit den größten nachgewiesenen Erdölvorkommen. Gleichzeitig ist die Region alles andere als stabil. Das Rohöl des Mittleren Ostens ist nicht von entscheidender Bedeutung für die US-Importe, aber für die Japans und einiger europäischer Länder, sowie für den Weltrohölmarkt und damit die Preisgestaltung. Das US-Interesse wird vor diesem Hintergrund als Sicherung der physischen Ölversorgung für den Weltmarkt und als Sicherung eines akzeptablen (also relativ niedrigen) Ölpreises betrachtet.13 Die eher politischen Ziele der obigen Punkte a) und b) sollen zu diesen wirtschaftlichen Zielen beitragen.
"Der Irak selbst kontrolliert etwa 10 Prozent der Welterdölreserven. Mit Kuwait kontrolliert der Irak die doppelte Menge. Ein Irak, dem es gestattet wäre, Kuwait zu schlucken, würde die wirtschaftliche und militärische Macht, aber auch die Arroganz besitzen, seine Nachbarn einzuschüchtern und unter Druck zu setzen - Nachbarn, die den Löwenanteil der übrigen Welterdölreserven kontrollieren. Wir können es nicht zulassen, daß solch lebenswichtige Bodenschätze von jemandem beherrscht werden, der so rücksichtslos handelt. Und wir werden es nicht zulassen."14 (Präsident George Bush im September 1990)

8. Von der Besetzung Kuwaits durch den Irak Anfang August 1990 bis zum Beginn des Krieges Mitte Januar 1991 haben sich die US-amerikanischen Politikziele mehrfach geändert, bzw. ausgeweitet. In diesem Prozeß blieben auch die Politik und ihre Instrumente nicht die gleichen. Zuerst ging es Washington offiziell um "die Verteidigung Saudi Arabiens vor einem irakischen Angriff", also um ein vollkommen defensives Ziel.15 Dann wurde bald das Ziel einer Befreiung Kuwaits hinzugefügt, oft verbunden mit der "Sicherheit und Stabilität in der Region" und dem Schutz amerikanischer Staatsbürger, vordringlich der Geiseln, die im Irak festgehalten wurden.16 Zu diesem Zeitpunkt wurde auch die Wiedereinsetzung der kuwaitischen Regierung verlangt. Diese amerikanischen Ziele deckten sich im wesentlichen mit denen der arabischen Länder, mit denen Westeuropas und der Sowjetunion. Sie wurden mehrfach vom UNO-Sicherheitsrat unterstützt.
Bald aber begann sich das Zielsystem weiter auszuweiten. Zunehmend wurden als Ziele formuliert, die militärischen, vor allem die Potentiale an A-, B- und C-Waffen des Irak zu zerstören, die militärische Macht des Iraks aus strategischen Gründen zu brechen.17 Damit in Verbindung wurde ein Sturz Saddam Husseins und/oder der Baath Partei angestrebt, da nur so die irakische Macht auf Dauer gebrochen werden könne. Diese Ziele gingen über die fast aller Verbündeten deutlich hinaus, sie waren auch von den UNO-Resolutionen nicht mehr gedeckt. Dies war der Grund, daß die US-Regierung sie zwar öffentlich formulierte, aber doch wesentlich zurückhaltender mit ihnen operierte, als mit den zuvor propagierten.18

9. Die Aufzählung dieser Veränderung amerikanischer Ziele - von denen sich das des Schutzes amerikanischer Staatsbürger nach der Freilassung der Geiseln erledigte und das der Re-Etablierung der Sabah-Dynastie schließlich leise fallengelassen wurde - hatte Folgen für die Politik. Ein Ziel der Räumung Kuwaits durch den Irak wäre vermutlich durch die Koppelung harten Drucks mit politischen Angeboten ohne Krieg zu erreichen gewesen, während die Ziele einer Zerschlagung der irakischen Militärmacht und der Beseitigung der A-, B- und C-Waffenpotentiale unter den gegebenen Bedingungen ohne Krieg nicht zu haben war. Als der Präsident nach den irakischen Massenvernichtungswaffen und danach gefragt wurde, ob Saddam an der Macht bleiben könne, antwortete er: "Der Status quo ante wird [...] voraussichtlich nicht ausreichen."19 Dieser Zielkonflikt lähmte die US-Politik und führte zu einem Maß an Starrheit, das kaum geringer als das der irakischen Führung war.

10. Aus verschiedenen Quellen (etwa vom Gorbatschow-Berater Primakow20) wurde darauf hingewiesen21, daß der Irak vor dem Kriegsbeginn durchaus bereit gewesen wäre, sich aus Kuwait zurückzuziehen. Dies ist auch mir von irakischen Diplomaten mitgeteilt worden - ohne daß ich danach gefragt hätte. Allerdings wurde immer deutlich gemacht, daß ein solcher Rückzug nur "in Würde" in Frage käme, also unter Gesichtwahrung. Der Irak würde das besetzte Kuwait nicht in Form einer Kapitulation oder unter Zwang räumen, sondern nur "freiwillig", wenn er dadurch nicht als Verlierer dastünde. Saddam brauchte, diesen Angaben zufolge, etwas, das einen Rückzug innenpolitisch und in der arabischen Welt legitimierte. Wenn es also nur oder vorwiegend um die Befreiung Kuwaits gegangen wäre, dann hätte es durchaus Möglichkeiten einer friedlichen Lösung gegeben. Die US-Regierung war sich dieser Möglichkeit bewußt, lehnte sie aber ab. George Bush erklärte am 30. November 1990 bezüglich Saddam Hussein: "Wenn jemand tut, was er getan hat, dann sind meines Erachtens Zugeständnisse - die Chance, das Gesicht zu wahren - fehl am Platz."22

11. Damit stellte Bush "Zugeständnisse" und "Gesichtswahrung" gleich und lehnte beides ab. Der amerikanische Präsident hatte damit faktisch die Entscheidung zum Krieg gefällt: wenn ihm die Demütigung Saddam Husseins wichtiger war als die Vermeidung des Krieges, dann würde es Krieg geben. Dabei war "Gesichtswahrung" nicht notwendigerweise das gleiche wie "Zugeständnisse": wenn es etwa um die Durchführung einer umfassenden Nahostkonferenz geht, dann haben sich (bis auf Israel) alle Länder dafür ausgesprochen, einschließlich der USA.
(Wenn dies gelegentlich auch primär aus taktischen Gründen erfolgt ist, so tut dies hier nichts zur Sache.) Diese Konferenz ist nicht nur notwendig, sie ist lange überfällig - unabhängig von Kuwait oder anderen Faktoren. Eine solche Konferenz einzuberufen oder anzukündigen und der irakischen Führung zu gestatten, sich dies als Erfolg anzurechnen, wäre durchaus kein Zugeständnis an Saddam gewesen, hätte ihm aber innenpolitisch und international erlaubt, bei einem Rückzug nicht als völliger Verlierer dazustehen. Ähnliches wäre auch bei anderen Punkten denkbar gewesen, etwa bei der Frage praktischer Regelungen bezüglich einer Nutzung der Inseln Bubiyan und Warbah, oder in Bezug auf das Rumeila-Ölfeld. Wäre der internationale Druck auf den Irak mit solchen flexiblen und praktischen Angeboten verbunden worden, dann wäre der Krieg zu vermeiden gewesen, ohne den Irak für seine Aggression zu belohnen.

12. Die USA beschränkten sich demgegenüber auf eine Politik der Ultimaten, auf die Forderung nach bedingungslosem Abzug. Die verschiedenen Ansätze politischer Lösungen - die Bemühungen des UNO-Generalsekretärs, der EG, Frankreichs, Algeriens und anderer arabischer Länder - scheiterten allesamt daran, daß die USA an ihrer starren Politik der Drohung und der Ultimaten festhielten. Daß die irakische Führung durch ihre Starrheit und ihr Prestigedenken eine politische Lösung und die Vermeidung des Krieges ebenfalls massiv erschwerte, kann hier als selbstverständlich vorausgesetzt werden.23

13. Warum aber blieben die USA unverrückbar bei ihrer Politik der Ultimaten? Dazu gibt es zwei Möglichkeiten, wobei zur Zeit nicht beurteilt werden kann, welches die tatsächliche Ursache war. Die erste Möglichkeit wäre folgende:

a) Die US-Regierung setzte auf eine nicht-kriegerische Lösung des Konfliktes, sie glaubte, den Irak durch immer stärkeren Druck zum Rückzug aus Kuwait zwingen zu können. Nur durch die ernsthafte und glaubwürdige Drohung mit Krieg könnten die Ziele der USA ohne Krieg durchgesetzt werden. In diesem Denkansatz wäre die Erfolgschance für eine "friedliche" Lösung um so größer, je massiver die Kriegsdrohung wäre. Im Zusammenhang dieser Politik legte sich die Bush-Administration immer wieder darauf fest, daß der Irak Kuwait einseitig und bedingungslos bis zum 15. Januar zu verlassen habe. Dieses Konzept scheiterte und mußte scheitern: die Vorstellung, ausgerechnet die irakische Führung um Saddam Hussein durch Einschüchterung zu etwas bewegen zu können, war naiv und grundlos. Nach dem Scheitern der Drohstrategie war damit die US-Regierung in ihrer eigenen Rhetorik gefangen: nach Ablauf des Ultimatums nun nicht gegen den Irak vorzugehen, hätte die USA unglaubwürdig gemacht und einen Sieg für den Irak bedeutet. Hier ging es auch für George Bush um Gesichtswahrung.
Die zweite denkbare Möglichkeit wäre diese:

b) Die USA zielten spätestens seit Oktober primär auf die Vernichtung der irakischen Militärmacht, zielten damit auf Krieg. Kuwait und die anderen Ziele der UNO-Resolutionen waren in diesem Zusammenhang taktisch wichtige Elemente, aber eben nicht das eigentliche Ziel. Wenn die irakische Führung nicht unter für sie demütigenden Bedingungen zu Kreuze kriechen würde - was sie destabilisieren mußte, und damit deren Beseitigung erleichtert hätte - dann sollte Krieg geführt werden.
Bis zum Kriegsbeginn schien die erste Variante die wahrscheinlichere zu sein, inzwischen deutet aber einiges auf die zweite Möglichkeit. So berichtete der Gorbatschowberater Primakow von seinem Gespräch mit der damaligen britischen Ministerpräsidentin Thatcher vom 18. Oktober 1990: es sei notwendig, "die Sache nicht auf den irakischen Rückzug aus Kuwait einzuengen. Es gehe vielmehr darum, dem Irak einen vernichtenden Schlag zu versetzen, 'um Saddam das Rückgrat zu brechen' und das gesamte militärische Potential dieses Landes, wenn nicht auch das industrielle, zu zerstören. (...) Sie erklärte, niemand solle diesem Ziel in die Quere kommen." Primakow fragte: "Sehen sie keine andere Möglichkeit als den Krieg?" Thatchers Antwort: "Nein".24
Es ist unwahrscheinlich, daß die britische Regierungschefin eine solch massive Position in dieser Frage ohne Abstimmung mit Washington geäußert haben sollte. Eine endgültige Beurteilung ist im Moment aber wegen der Material- und Quellenlage noch nicht möglich.

14. Die Rolle der UNO im gegenwärtigen Konflikt unterschied sich beträchtlich von früheren Regionalkrisen, wie auch die Konfliktlinien völlig andere waren. Nach dem Ende des Kalten Krieges führte die Besetzung Kuwaits nicht zum klassischen Konfliktmuster Ost gegen West, sondern zu einer gemeinsamen Position von USA, Sowjetunion, deren jeweiligen Verbündeten, und den meisten arabischen Ländern gegen den Irak. Die Unterstützung fremder Staaten für den Irak war extrem beschränkt, während die Bevölkerung in einigen arabischen Ländern mit ihm sympathisierte. Diese weitgehende Einigkeit fast aller Regierungen der Welt, deren Basis die flagrante Völkerrechtsverletzung und die Bedeutung der Region für die Ölversorgung und Ölpreisgestaltung waren, bildete die Grundlage für die hervorgehobene Rolle der UNO. Diese war jedoch nur von begrenzter Dauer: solange die USA und ihre engsten Verbündeten (vor allem Großbritannien) am Aufbau der breiten, anti-irakischen Koalition arbeiteten und eine möglichst wasserdichte Legitimation ihrer Politik anstrebten, so lange stand der UNO-Sicherheitsrat im Zentrum der internationalen Diskussion. Genau von dem Zeitpunkt an, an dem der UNO-Sicherheitsrat den USA die angestrebte Ermächtigung für auch militärisches Vorgehen gegeben hatte - von diesem Zeitpunkt an spielte die UNO keine ernsthafte Rolle mehr. Der UNO-Generalsekretär wurde schließlich von den USA nicht einmal mehr vom bevorstehenden Angriff unterrichtet, er konnte den Kriegsbeginn dann den Medien entnehmen.

15. Dabei ist am Inhalt der UNO-Resolutionen sachlich kaum etwas auszusetzen. Die trotzdem - also trotz sachlich richtiger Positionen - erfolgte Instrumentalisierung der UNO hat damit zu tun, daß die gleichen Kriterien (etwa völkerrechtlicher Art) selektiv und nicht überall im gleichen Maße angewandt wurden und werden, und daß auch die Schlußfolgerungen selektiv und nicht sachlich begründet gezogen wurden. Das Verbrechen der Besetzung Kuwaits wurde immer wieder scharf verurteilt, es wurde zum Ausgangspunkt der Stationierung einer der größten Invasionsarmeen der Weltgeschichte gegen den Aggressor. Warum wurde bei früheren Fällen sehr ähnlicher Verbrechen so völlig anders geredet und gehandelt? Soll oder wird in Zukunft bei jedem Fall einer flagranten Völkerrechtsverletzung der Krieg eröffnet werden? Was ist in Fällen, in denen ein Mitglied des UNO-Sicherheitsrates selbst der Aggressor ist? Wird die UNO bereit sein, bei der nächsten Eroberung und Besetzung eines Landes der Dritten Welt durch die USA dieser ein Ultimatum zu stellen und ggf. mit Krieg zu überziehen? Wäre so etwas sinnvoll? Wird in Zukunft das Verbrechen der südafrikanischen Apartheid mit internationaler Gewalt aus der Welt geschafft? Soll Noriega in Panama durch Krieg wieder an die Macht gebracht werden? Soll die völkerrechtswidrige Eroberung und jahrzehntelange Besetzung der Westbank und des Gaza-Streifens durch Israel durch Krieg rückgängig gemacht werden?

16. Diese offensichtlich absurden Fragen verbergen zwei gar nicht absurde Probleme:
a) Wird oder soll das Beispiel des UNO-Ultimatums und des darauf folgenden Krieges ein neues Muster für die Lösung von Regionalkonflikten werden? Oder war es nur ein Einzelfall, geschuldet den spezifischen Interessensstrukturen der Beteiligten? Offensichtlich kann es kein Muster für alle zukünftigen Fälle sein, obwohl das Völkerrecht ja prinzipiell überall und immer Geltung hat, nicht nur bezüglich Kuwaits. Warum also gerade in diesem Fall? Dazu: siehe oben, die amerikanische Interessenlage.
b) Welche Opfer, wieviele Tote ist es im konkreten Fall wert, dem Prinzip des Völkerrechts Geltung zu verschaffen? Ist die blutige Eroberung Kuwaits durch den Irak tatsächlich eine Rechtfertigung für die weitaus blutigere Bombardierung des Iraks und seiner Zivilbevölkerung? Handelt es sich beim Krieg nicht um ein größeres Übel als dasjenige, gegen das er sich wenden soll - insbesondere, wenn die friedlichen Möglichkeiten zur Konfliktlösung noch nicht ausgeschöpft waren?

17. Damit sind wir bei der Frage wirtschaftlicher Sanktionen. Die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen bis hin zu Embargo und Boykott durch die Vereinten Nationen waren sinnvoll und notwendig, da die Eroberung Kuwaits nicht hingenommen werden konnte. Als Einschränkung allerdings sollte angemerkt werden, daß ein Boykott im Bereich Nahrungsmittel (insbesondere Milch und Milchpulver, Babynahrung) und bei Medikamenten und medizinischen Geräten die (ärmere) Bevölkerung des Iraks und Kuwaits zur Geisel gegen deren Regierung nahm, daß die Kinder und Kranken nun für die Expansion der Diktatur büßen mußten. Solche Formen der Blockade sind selbst ein Verbrechen. Zweitens allerdings muß auch hier wieder eingefordert werden, ähnliche Zwangsmaßnahmen nicht nur in diesem konkreten Einzelfall, sondern generell in vergleichbaren Situationen zu verhängen - oder nie zu verhängen. Warum man mit etwa Indonesien, der Türkei oder Südafrika Handel treibt, den Irak aber boykottiert: das ist schwer völkerrechtlich zu erklären, das hat ausschließlich politische oder wirtschaftliche Hintergründe. Und dann müßte schließlich darüber diskutiert werden, wie sich auch gegen Groß- und Supermächte solche Maßnahmen durchführen ließen. Erst auf dieser Grundlage würden die - berechtigten - wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Irak den Charakter der Scheinheiligkeit verlieren.

18. Der Wirtschaftsboykott war ein wirksames und erfolgversprechendes Mittel gegen die irakische Besetzung Kuwaits. Der Irak ist in hohem Maße außenabhängig: er bezog vor dem Boykott die meisten Ersatzteile für Industrie, Petrochemie und Infrastruktur aus dem Ausland. Er war zu mehr als 95 % seiner Deviseneinnahmen vom Ölexport abhängig. Und sein Militär ist ebenfalls in entscheidenden Sektoren vom Ausland abhängig, obwohl im letzten Jahrzehnt wichtige Schritte zur Autarkie unternommen wurden.
Ein international beachteter Boykott des Iraks hätte das Land auf Dauer vollkommen lähmen und so den Abzug aus Kuwait durchsetzen helfen können (wenn man dies mit politischen Mechanismen verknüpft hätte).
Allerdings brauchen Boykott und Embargo einige Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten.25 Dies war von Anfang an klar, niemand hätte davon überrascht sein brauchen, daß der Irak nicht schon in wenigen Wochen zusammenbrach. Experten sprachen bei Verhängung der Sanktionen von mindestens 6 Monaten, vermutlich war dies etwas knapp gerechnet. Aber nach ein bis zwei Jahren ohne jegliche Einnahmen, ohne Lieferungen von Ersatzteilen, ohne Rohstoffimporte, ohne Bezahlung außenstehender Rechnungen, nach einer solchen Zeit wäre der Irak ohne einen Schuß abzugeben an den Rande des Zusammenbruchs geraten. Er hätte durch die Besetzung Kuwaits all das gefährdet oder gar verloren, was seit der Revolution im Jahre 1958 und seit der Machtübernahme der Baath-Partei 1968 erreicht worden ist, er hätte sein anspruchsvolles Entwicklungsprogramm vollkommen scheitern gesehen und jeden Anspruch auf eine regionale Führungsrolle aufgeben müssen. Selbst das irakische Militär wäre von einer formidablen Macht zu einer wenig kampffähigen Truppe verkommen. Der Besitz Kuwaits, der ja gerade den strategischen Zielen des Irak dienen sollte, wäre damit sinnlos gewesen. Es hätte genug Anreize zum Rückzug aus Kuwait gegeben.

19. Dagegen ist eingewandt worden, daß in den inzwischen vergehenden Monaten bis zum Erfolg des Boykotts der Irak sich Kuwait völlig einverleiben würde, daß von Kuwait nichts mehr bliebe, dessen Befreiung sich lohne. Dieses Argument ist wenig tragfähig: wieviele Tote wäre man denn gewillt in Kauf zu nehmen, um Kuwait drei oder sechs oder auch zwölf Monate früher zu befreien? 100 000 Tote? Dreihunderttausend? Außerdem übersieht dieses Argument, daß gerade der Krieg die Gefahr in sich trug, daß von Kuwait kaum etwas bleiben würde: pausenlose Bombardierungen aus der Luft und dann ein höchst zerstörerischer und blutiger Bodenkrieg - all dies auf einem winzigen Gebiet, eigentlich in einer einzigen Stadt: was sollte danach noch "befreit" werden?

20. Dieses Argument wird durch die sich abzeichnenden ökologischen Katastrophen unterstrichen. Bei dem massiven Umfang und Charakter der amerikanischen, britischen und französischen Bombardierung des Iraks und Kuwaits aus der Luft war es nicht auszuschließen, daß zivile Ziele, aber auch chemische oder C-Waffen-Fabriken, Atomreaktoren oder Öleinrichtungen getroffen werden könnten. Hier sind Katastrophen unvermeidbar. Gleiches gilt für den Irak. Dieser hat - und mußte es innerhalb einer Logik des Krieges - den Krieg als "totalen" Krieg aufgefaßt, bei dem es um seine Existenz ging. Daß ein solcher Krieg ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung oder seine ökologischen Folgen geführt wurde, liegt auf der Hand.
In diesem Zusammenhang machte es wenig Sinn, die Kriegsparteien zu "sauberer" Kriegführung aufzufordern. Ökologische Katastrophen sind eine notwendige Folge des Krieges, keine "Unfälle". Sie sind nur zu vermeiden, wenn der Krieg unterbleibt.

21. Zur Berichterstattung der Medien seit Kriegsbeginn: hier sind wir mit mehreren Problemen zugleich konfrontiert.
a) Ausgangspunkt vieler Schwierigkeiten ist die Zensur, die in den USA, dem Irak und Israel nur gefilterte und als zweckdienlich empfundene Informationen zuläßt. Die Kriegsparteien versuchen bewußt und gezielt, die Öffentlichkeit zu manipulieren, die Wahrnehmung des Krieges zu steuern. Informationen, Meldungen und Meinungen sind ein entscheidender Teil des Krieges, fast so wichtig wie die militärische Seite. Das bedeutet, daß wir alle Meldungen mit großer Skepsis betrachten und auf die ihnen zugrundeliegenden Interessen überprüfen müssen. Und es bedeutet, daß wir bisher und auf absehbare Zeit überhaupt kein wirklich realistisches Bild vom Krieg erhalten und erhalten werden.
b) Dann besteht das Problem der Verarbeitung dieser bruchstückhaften oder geschönten Informationen durch die Medien. Ein großer Teil der Journalisten beschränkt sich darauf, die offiziellen Verlautbarungen der Kriegsparteien - insbesondere die aus Washington und London - als Tatsachen weiterzuverbreiten. Die phantastischen Erfolgsmeldungen der ersten Kriegstage fanden als Fakten Eingang in die Presse. Inzwischen wird häufiger auf die Zensur hingewiesen, ansonsten aber verfahren als gäbe es diese nicht.
Zusätzlich erleben wir einen Wettkampf der Kriegsvermarktung. Krieg ist offensichtlich ein großes und faszinierendes technisches Abenteuer, eine Frage der Präzision technischer Wunderwerke, etwas, das sich als sauberes Videospiel am Bildschirm erleben läßt. Diese Art von Berichterstattung entpolitisiert und verharmlost den Krieg.26 Gekoppelt ist diese Entpolitisierung mit einem penetranten Selbstdarstellungsdrang insbesondere der elektronischen Medien. Nutzloses Hin- und Herschalten von Amman nach Washington, über Kairo, London, Tel Aviv und sogar Bonn demonstriert zur Technik des Krieges noch die Technik der Fernsehsender (wenn auch weniger erfolgreich), Moderatoren und Konzelmänner reden und profilieren sich, daß es für sie nur so eine Freude ist.27 Inhaltlich Erhellendes hört man dabei selten. Binsenweisheiten, besserwisserisches über "die Seele der Araber" und peinliches in der ersten Reihe.
c) Als die Bundesrepublik aus Westeuropa und den USA zunehmend unter Druck geriet, die Kriegsanstrengungen stärker zu unterstützen, kam es zu Fällen von Selbstzensur oder zensurähnlichen Maßnahmen in den Medien.28

22. Weniger als eine Woche hat es nach dem Kriegsausbruch gedauert, bis es sich herausstellte, daß die Friedensbewegung und deren Demonstranten "antiamerikanisch" und "anti-israelisch" (gelegentlich auch "anti-semitisch") seien, und natürlich "einseitig". Glaubt man den entsprechenden Verlautbarungen, dann lag dies daran, daß a) die Friedensbewegung nicht bereits am 2. August, und b) auch nicht gegen die SCUD-Angriffe auf Israel demonstriert habe.
Die Teile der Friedensbewegung, die im Sommer überhaupt politisch artikulationsfähig waren - um deren politischen und organisatorischen Zustand war es damals nicht zum besten gestellt - haben bereits sehr früh gegen die Besetzung Kuwaits protestiert. Im September, Oktober und November hatten diese Aktionen noch zugenommen.29 Und die gleichen politischen Kräfte haben damit auch nicht erst im Sommer 1990 begonnen. Die Friedensbewegung hat seit Jahren gegen deutsche Rüstungsexporte in den Irak (und die gesamte Dritte Welt) lautstark protestiert, zu einem Zeitpunkt, als die Bundesregierung dies - im günstigsten Fall - noch für ein Kavaliersdelikt hielt.30 Aus der Friedensbewegung heraus wurde bereits seit Jahren gegen die Giftgasangriffe des Irak auf die eigene Bevölkerung demonstriert und protestiert, gegen die Zwangsumsiedlung der Kurden. Wo waren damals diejenigen, die die Friedensbewegung nach dem Kriegsbeginn so gern in die Ecke Saddam Husseins stellen wollten? Weil man damals nicht auf die Forderungen der Friedensbewegung eingegangen ist - darum konnte der Irak Israel und andere Länder mit verbesserten SCUD-Raketen beschießen, darum konnte der Irak Giftgas für diese Raketen produzieren. Dafür trägt nicht die Friedensbewegung die politische Verantwortung, sondern diejenigen, die sie heute für anti-israelisch halten möchten.

23. Die Friedensbewegung wandte sich gegen den Krieg. Sie wandte sich gegen die US- (und britischen, französischen) Luftangriffe auf den Irak, und sie wandte sich gegen die irakischen Raketenangriffe auf Israel - ebenso, wie sie sich gegen israelische Luftangriffe gegen den Irak oder den Libanon gewendet hätte und wendet. Alle diese Angriffe kann man erklären, man kann sie aber nicht rechtfertigen. Erklären kann man sie innerhalb der Logik des Krieges, und genau diese Kriegslogik lehnt die Friedensbewegung ab. Die Solidarität mit der vom Krieg akut bedrohten Bevölkerung in Israel, dem Irak und den anderen Ländern der Region setzte eben keine Kritiklosigkeit an diesen oder anderen Regierungen voraus, sondern genau das Gegenteil: die nachdrückliche Ablehnung jeder Kriegspolitik, von wem auch immer.

24. Genau aus diesem Grunde lehnte die Friedensbewegung jede bundesdeutsche Beteiligung am Krieg ab. Der Krieg war überflüssig, er würde die Probleme der Region nicht lösen sondern verschärfen, er würde das Land, das er zu befreien vorgibt, zerstören, er mußte vorwiegend die Zivilbevölkerung treffen. Jede Form der direkten und indirekten Kriegsbeteiligung konnte daher nicht in Betracht kommen. Die Entsendung von deutschen Truppen in die Region wäre unter jeder möglichen Rechtfertigung falsch gewesen. Dies galt bereits für die in die Türkei entsandten Alpha-Jets und Raketeneinheiten. Die Nutzung des Staatsgebietes der Bundesrepublik für Zwecke der Logistik und Infrastruktur des Krieges sollte unterbleiben, ebenso wie eine direkte oder indirekte Finanzierung des Krieges. Statt solcher Kriegsbeiträge sollte endlich jeder Rüstungsexport in den Nahen und Mittleren Osten und die Dritte Welt insgesamt unterbunden werden. Die deutschen Exporte in den Irak haben dieses Land mit in die Lage versetzt, Kuwait zu überfallen, seine Raketen zu verbessern und Giftgas zu produzieren.31 Friedenspolitik muß genau hier ansetzen und darf nicht weiter der Außenwirtschaftspolitik untergeordnet werden. Die Verbrechen der deutschen Rüstungs- und Giftgasexporte nun durch militärische und finanzielle Beiträge zum Krieg zu ergänzen ist genau der falsche Weg. Frühere Rüstungsexporte durch neue Rüstungsexporte zu bekämpfen ist das Gegenteil von Friedenspolitik.

25. Wenn die deutsche Geschichte irgend etwas lehrt, dann die Verpflichtung, anstatt zu Militarisierung und Krieg in der Dritten Welt beizutragen, sich für eine Friedensordnung in Europa zu engagieren. Heute sind wir Zeugen der Versuche, nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes neue Gründe für Hochrüstung und Militarisierung zu finden. Und der beste und schlimmste Grund dafür ist der Krieg. Der Golfkrieg ist Teil dieser Bemühungen, für die alten Übel neue Legitimationen zu finden.
Eine der Bedeutungen des Krieges am Golf besteht in dem Zusammenhang mit den Versuchen, nach dem Verlust des Feindbildes der Sowjetunion und des Kommunismus im Osten neue Feindbilder zu produzieren. Nachdem eine zeitlang die Bekämpfung tatsächlichen oder vermeintlichen Terrorismus diese Funktion übernehmen sollte, dann ein "Drogenkrieg" mit großem Aufwand begonnen wurde, besteht nun die Gefahr, daß "der Orient", "die Araber" oder "der Islam" als neuer Feind der westlichen Welt ausgemacht werden. Dabei werden bereits heute rassistische Ressentiments genutzt. Bei einer Reaktion auf diese Argumentationsmuster wird es darauf ankommen, dem Entstehen eines solchen neuen Feindbildes zur Legitimation weiterer Hochrüstung und Interventionen entgegenzutreten, zugleich aber nicht in die Falle zu gehen, Menschenrechtsverletzungen, Diktaturen oder Verbrechen in arabischen oder islamischen Ländern nachsichtiger zu betrachten als in anderen Regionen und Kulturkreisen.

26. Nach dem Ende des Kalten Krieges bestand und besteht die historisch seltene Chance, in Europa und weit darüber hinaus zu einer einschneidenden Abrüstung zu kommen. Diese Chance wird durch den Krieg am Golf ernsthaft bedroht, während dieser Krieg zugleich die Notwendigkeit friedlicher Konfliktlösungen und umfassender Abrüstung unterstreicht. Daß Militarisierung und Hochrüstung immer eine Versuchung darstellen, sich vor politischen Lösungen zu drücken und zum Krieg Zuflucht zu nehmen, haben die irakische und die amerikanische Politik erneut belegt. Mit erhöhtem Nachdruck muß die Friedensbewegung heute die historische Chance zur Abrüstung gegen die akute Kriegslogik verteidigen, auch wenn die Erfolgsaussichten heute alles andere als sicher sind.

 


Nachbemerkungen nach dem Ende des Krieges

27. Die Politik der USA und ihrer engen Verbündeten in der Schlußphase des Krieges hat bestätigt, was an anderer Stelle dieses Papiers (Punkte 7 bis 12) zuvor formuliert worden war. Als der Irak unter sowjetischem Drängen und Vermittlung erst indirekt, dann immer offener einen bedingungslosen Rückzug aus Kuwait angeboten (dann sogar angekündigt) hatte, war dies Washington und London nicht mehr genug. Selbst die Anerkennung aller relevanten UNO-Resolutionen einschließlich einer Entschädigung für Kuwait reichte für den Frieden nicht aus. Erst als die irakischen Truppen militärisch vernichtend geschlagen waren, stellten die Alliieren die Kampfhandlungen ein. Zuvor kam es sogar noch zu Flächenbombardierungen von aus Kuwait abziehenden irakischen Soldaten, nachdem man monatelang deren Abzug gefordert hatte. Diese Bombardierung kamen zum Teil Massakern gleich. Das Ziel des Krieges war offensichtlich nicht primär die Befreiung Kuwaits, sondern die Zerschlagung des Iraks als relevantem regionalen Machtfaktor.

28. Der irakische Zusammenbruch erfolgte überraschend schnell und vollständig. Die immer noch beträchtlichen militärischen Mittel des Iraks - einschließlich der vorhandenen Massenvernichtungswaffen - konnten daran nichts ändern. Dies dürfte vor allem folgende Gründe gehabt haben:
a) Das bereits seit mehr als sechs Monaten effektiv funktionierende internationale Embargo hatte die Versorgung der irakischen Truppen mit militärischem Material und selbst den Gütern zur Befriedigung der Grundbedürfnisse stark beeinträchtigt.
b) Die wochenlagen und massiven Bombardierungen des Iraks und Kuwaits aus der Luft hatten dieses Problem weiter zugespitzt, die Versorgung der Truppen war wesentlich erschwert und offenbar kaum noch gewährleistet.
c) Zugleich hatten die Bombardierungen zwei weitere entscheidende Effekte: die "Moral" der irakischen Soldaten war durch die Erfahrung der amerikanischen Bombenteppiche, denen man praktisch wehrlos ausgesetzt war, offenbar stark geschwächt, vielleicht schon gebrochen; und
d) zugleich hatte der Irak seine Fähigkeit zu Aufklärung und Kommunikation weitgehend verloren. Kommunikationslinien waren abgeschnitten. Durch den erzwungenen Verzicht, die eigene Luftwaffe einzusetzen, war eine Luftaufklärung zur Beobachtung amerikanischer Truppenbewegung und Aktionen unmöglich. Erst dadurch konnte der alliierte Angriff im Westen zum Überraschungsschlag werden. Koordinierte Abwehrmaßnahmen ohne schnelle Informationen über die gegnerischen Angriffe und ohne funktionierende Kommunikationskanäle sind kaum denkbar.

29. Die Rolle der Sowjetunion in der Schlußphase des Krieges war von beträchtlicher Hilflosigkeit gekennzeichnet. Moskau hatte zwar immer wieder die irakische Aggression verurteilt und die amerikanische Politik in und außerhalb der UNO unterstützt, aber man hätte eine friedliche Lösung des Konfliktes aus humanitären und politischen Gründen vorgezogen. Primakow beschreibt die Position seiner Regierung am 23. Februar 1991, nachdem der irakische Außenminister in Moskau die Bereitschaft Iraks zum "sofortigen und bedingungslosen Abzug aller seiner Streitkräfte aus Kuwait" erklärt hatte: "Gorbatschow hielt die Differenzen zwischen der vom Irak akzeptierten Formel und den Vorschlägen einer Reihe anderer Länder [der Alliierten] für nicht so groß, daß sie nicht vom Sicherheitsrat [der UNO] in ein oder zwei Tagen ausgeräumt hätten werden können. Sicher waren diese Differenzen nicht so bedeutsam, daß sie eine weitere Eskalation des Krieges gerechtfertigt hätten. Der sowjetische UNO-Vertreter wurde angewiesen, eine Sondersitzung des Sicherheitsrates zu beantragen. Aber im Morgengrauen des 24sten Februars begann die Bodenoffensive der Alliierten."32
Die Sowjetunion verfügte zu diesem Zeitpunkt weder über den Willen noch die Möglichkeit, die USA am Beginn des Bodenkrieges zu hindern. Die Bush-Administration nutzte die Chance, die Machtverteilung zu demonstrieren. Die Sowjetunion hielt es dann zur Gesichtswahrung und der Pflege der Ost-West-Beziehungen sogar für nötig, gegen ihre öffentlich Brüskierung nicht einmal zu protestieren, sondern die US-Politik im nachhinein zu begrüßen.
Ein Leitartikel der FAZ stellte zu Recht fest:
"Gorbatschow bekommt Dank für seine Selbstüberwindung. Hat er sich wirklich so sehr überwunden? Viel anderes, als er getan hat, blieb ihm nicht übrig."33

30. Die politische Diskussion in der Bundesrepublik wurde durch den Golfkrieg wesentlich verschoben. Dies gilt zugleich für das allgemeine Meinungsklima (hier kippte die diffuse Anti-Kriegs-Stimmung zu einer Befürwortung um,34 Krieg als Mittel der Politik wurde wieder hoffähig), als auch für spezifische politische Fragen: über eine zukünftige Rolle der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes besteht heute im Gegensatz zur Situation der letzten Jahre35 weitgehend ein Konsens. Die Frage ist nur noch, wie eine solche Rolle konkret aussehen soll.
Interessant ist, daß die Bundesregierung durch den Krieg in eine höchst schwierige Lage gekommen ist. Zuerst einmal geriet sie bei ihren westlichen Bündnispartnern erneut und diesmal besonders ernsthaft wegen der bundesdeutschen Rüstungsexportpolitik an den Pranger. Dieses Problem nutzten die Verbündeten oft geschickt aus, um eine stärkere Rolle der BRD im Golfkrieg anzumahnen. Die beträchtlichen Finanzleistungen Bonns (17,3 Mrd. DM von Anfang August 1990 bis Ende Februar 1991)36 waren vor diesem Hintergrund zum Teil der mäßig geglückte Versuch, sich hier freizukaufen und zu rehabilitieren. Zweitens brachte sich die Bundesregierung selbst zusätzliche Wunden bei. Zu Beginn von Krise und Krieg standen ihr zwei prinzipiell gangbare Wege (unterschiedlicher Bequemlichkeit) offen: sie hätte eine nachdrückliche und konsequente Anti-Kriegs-Politik betreiben und sich um eine Initiative mit Frankreich, der Sowjetunion und dem Iran für eine politische Konfliktlösung bemühen können. Dies wäre schwierig, aber denkbar gewesen. Oder sie hätte von Beginn an den Kriegskurs Washingtons und Londons aktiv stützen können, was zweifellos bequemer gewesen wäre, zumindest außenpolitisch. Stattdessen tat sie weder das einen noch das andere, ließ sich treiben und geriet zwischen alle Stühle - mit dem Ergebnis, daß sie den Krieg nicht verhinderte, Frankreichs und das sowjetische Abdriften auf den Kriegskurs faktisch förderte, und trotzdem im Bündnis als zweifelhafter Partner gehandelt wurde. Dadurch entstand die Gefahr, daß die Bundesrepublik in Zukunft versuchen wird, durch besondere Straffheit diese Scharte wettzumachen.

31. Bisher ist noch nicht absehbar, ob der aus alliierter Sicht militärische Erfolg im Krieg sich zu einem politischen Erfolg machen läßt. Es ist durchaus möglich, daß der Krieg - und der Sieg - mehr Probleme produzieren wird (oder verstärkt), als er lösen sollte.
a) Die irakische Niederlage hat die Möglichkeit eröffnet, daß der Irak in den von der Baath-Diktatur überwundenen Zustand der Instabilität zurückfällt. Die Möglichkeiten reichen von einer weiteren Herrschaft der Baath (mit oder ohne Saddam), die aber innenpolitisch bedroht wäre, über die Errichtung einer Islamischen Republik Irak (in Anlehnung an die iranischen Mullahs) bis zum Zerfall des Iraks in zwei oder drei Bestandteile. Insbesondere eine Machtübernahme oder wesentliche Stärkung schiitisch-proiranischer Kräfte wäre aus Sicht der USA, Saudi Arabiens und der Alliierten eine Katastrophe: genau gegen eine solche Gefahr hatte man den Irak ja jahrzehntelang aufgerüstet. Jetzt hätten man durch den Sieg die "fundamentalistische Bedrohung" selbst herbeigebombt.
Die innere Entwicklung des Irak und die Möglichkeit eines Sieges der verschiedenen Oppositionskräfte im kurdischen Norden und/oder im schiitischen Süden hängt heute vor allem von der Frage ab, ob das Militär (insbesondere die Republikanischen Garden) loyal zur Regierung steht oder sich spaltet. Ohne eine Spaltung oder ein Überlaufen der Streitkräfte (oder einen internen Putsch) ist die Diktatur nicht zu stürzen. Und ein solchen Sturz wiederum würde - in Ermangelung fester und organisierter politischer Alternativen auf nationaler Ebene -  vermutlich große interne Instabilität bedeuten.
b) Ähnlich heikel sieht es bezüglich der regionalen Stabilität aus. Die in der Region ohnehin vorhandenen Konflikte wurden durch den Krieg meist zugespitzt. Die Stabilität des saudischen Königshauses ist heute fraglicher denn je, soziale und ideologische Konflikte in den Maghreb-Staaten sind durch den Krieg angeheizt worden. Die ohnehin labile innenpolitische Lage Jordaniens wurde dramatisch kompliziert, auch die Zukunft der syrischen Innenpolitik ist nur schwer abschätzbar. In Pakistan hat sich ein Riß innerhalb der Regierungskoalition und zwischen Regierung und Militär vertieft. Die mögliche regionale Bedeutung eines schiitisch-proiranischen Aufschwungs im Südirak auf einige Nachbarländer (Saudi Arabien, Kuwait, andere Golfscheichtümer) aber auch entferntere Staaten (nicht nur den Libanon) ist noch gar nicht absehbar. Ähnliches gilt für den Fall größerer Unabhängigkeit oder Autonomie für die irakischen Kurden: die Türkei und der Iran haben für bestimmte Szenarien bereits mehrfach mit militärischen Interventionen gedroht. Und die Notwendigkeit einer Lösung des Palästinaproblems ist zwar als Kriegsfolge inzwischen stärker ins Bewußtsein auch westlicher Regierungen gerückt - ob Israel nach erfolgreichem Kriegsende Zugeständnisse an die Palästinenser für überhaupt nötig erachtet, ist zumindest fraglich. Warum Zugeständnisse, wenn die Machtfrage militärisch schon entschieden ist? All diese Probleme sind durch den Krieg nicht ansatzweise gelöst, sondern verschärft worden. Und gerade der Erfolg des Krieges stellt eine Versuchung dar, sich den Komplexitäten (und wirtschaftlichen, sozialen, politischen, ethnischen und ideologischen Schwierigkeiten) der Region weiter zu entziehen und statt dessen auf Scheinlösungen und diplomatische Formelkompromisse zu setzen.

32. Mit so vielen Problemen in der Zukunft der Region - wer sind dann die Sieger des Krieges, wer sind die Nutznießer?
Daß der Irak geschlagen wurde, die Sowjetunion, die Bundesrepublik und die PLO außenpolitisch an Prestige verloren haben, das ist offensichtlich.
a) Militärisch-diplomatischer Sieger sind natürlich vor allem die USA. Sie haben gegen einiges Widerstreben eine sehr breite internationale Koalition gegensätzlicher Kräfte gegen Bagdad zustandegebracht und lange stabil halten können, und sie haben den Krieg überraschend glatt gewonnen. Damit haben sie zu einem wichtigen historischen Zeitpunkt - nämlich knapp nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes37 - "internationale Führerschaft" bewiesen. Und genau dabei kam es George Bush ja an, wenn er von der Durchsetzung einer "neuen Weltordnung" gesprochen hat: amerikanische Führerschaft nach dem Ende des Kalten Krieges. Daß dieses Konzept langfristig nicht aufgehen kann und der Krieg am Golf das falsche Mittel war es tatsächlich abzusichern, steht auf einem anderen Blatt.
b) In der Region gibt es vor allem drei Staaten, die in unterschiedlichem Maße Nutzen aus dem Krieg und seinem Ergebnis gezogen haben, wenn man von Kuwait und Saudi Arabien einmal absieht.
Zuerst einmal ist Syrien zu nennen, daß seine internationale Außenseiterstellung (u.a. auf der US-Liste der den Terrorismus fördernden Staaten) durch Teilnahme an der Koalition überwinden konnte. Selbst eine ebenso brutale Diktatur wie die irakische, selbst im Besitz von C-Waffen, und selbst Besetzer eines Nachbarlandes (des Libanon) ist der syrischen Regierung damit ein diplomatischer Erfolg gelungen, der sich in Form von zukünftiger Wirtschaftshilfe auch materiell auszahlen dürfte.
Zweitens ist der Iran zu nennen, der ebenfalls seine Außenseiterrolle durchbrechen konnte. Der Iran hat diesen Erfolg aber nicht durch Eintritt in die Anti-Saddam-Koalition erzielt, sondern durch eine Politik der flexiblen Neutralität: er hat sich von beiden Kriegsparteien (und der Sowjetunion) umwerben lassen und seinen Spielraum und Nutzen so maximiert. Vom schiitisch-fundamentalistischen Bösewicht wurde das Land so zu einem begehrten Partner der internationalen Diplomatie, was sich vortrefflich mit Rafsanjanis Bemühungen traf, auf diskrete Weise wieder die Tür zum Westen zu öffnen.
Drittens gehört natürlich Israel zu den Siegern, wenn es auch formell kein Teil der Kriegskoalition war. Das Land hat sich seine militärische Zurückhaltung angesichts der irakischen SCUD-Angriffe von den USA politisch und wirtschaftlich honorieren lassen, es hat seine Politik in den besetzten Gebieten wesentlich verschärfen können, ohne daß dies angesichts der Krise international sonderlich registriert worden wäre. Am wichtigsten aber ist die Tatsache, daß der einzige ernsthafte außenpolitische Gegner Israels mit militärischem Gewicht - der Irak - praktisch ohne eigene Beteiligung und Anstrengung militärisch gründlich geschlagen wurde. Eine größere Stärkung in der Region ist für Israel kaum denkbar.
33) Die neue Weltordnung nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes wurde durch einen Krieg aus der Taufe gehoben. Damit sollten die allgemeinen Blütenträume der zwei oder drei letzten Jahre erledigt sein, die von einer Welt friedlicher Konfliktaustragung und nicht-militärischer Krisenregulierung handelten. Die neue Weltordnung handelt von Macht, sie handelt vom Kampf um Vorherrschaft, wenn auch entlang anderer Konfliktlinien. Und es hat sich bereits gezeigt, daß eine Kooperation der Supermächte (von denen eine ja keine mehr ist) Kriege nicht unbedingt verhindern muß, sondern sie manchmal erst ermöglicht.

 


Quelle:

Jochen Hippler,
Der Krieg am Golf - Eine politische Einschätzung, als: Arbeitspapier 011, Institut für Internationale Politik, Wuppertal (Februar 1991), [sowie eine 2., überarbeitete und ergänzte Fassung nach Kriegsende, März 1991]


 


Anmerkungen

1 Middle East Watch, Kuwait - Deteriorating Human Rights Conditions Since the Early Occupation, New York, November 16, 1990

2 zum politischen System des Irak siehe: Jochen Hippler, Qualifizierte Technokraten, in: Konkret (Hamburg), September 1990, S. 34-36; Hanna Batatu, The Old Social Classes and the Revolutionary Movements of Iraq, Princeton 1978; Samir al-Khalil, Republic of Fear - Saddam's Iraq, London 1989

3 dazu: Phebe Marr, The Modern History of Iraq, Boulder, CO 1985

4 Stephen C. Pelletiere/Douglas V. Johnson/Leif R. Rosenberger, Iraqi Power and U.S. Security in the Middle East, Strategic Studies Institute, U.S. Army War College, 1990, S. 25 ff

5 dies hat die irakische Führung entsprechend genüßlich in ihrer Propaganda ausgenutzt, siehe z.B.: Aziz Exposes US Double Standard, in: The Baghdad Observer, 14. August 1990

6 siehe u.a.: Iraq - The Chickens Come Home to Roost, in: The Middle East, January 1991, S. 13 f

7 dazu: Jochen Hippler, US-Politik im Golfkrieg, in: Blätter des Informationszentrums Dritte Welt, Dezember 1987, S. 22-30

8 siehe: Jochen Hippler, US-Interessen am Golf, in: die tageszeitung, 20. August 1990; vergl. auch: derselbe: Westeuropäische Interessen am Golf; in: ebenda, 4. September 1990

9 zur Vorgeschichte einer irakfreundlichen Politik der US-Regierungen unter den Präsidenten Carter, Reagan und Bush: "A Man You Could Do Business With", in: Time, 11. März 1991, S. 53-60

10 USIS, U.S. Policy Information and Texts, 25.7.1990, S. 12

11 ebenda, S. 7

12 zu Geschichte und Hintergrund der US-Regionalpolitik und dem Aufbau militärischer Kräfte in und für die Region siehe u.a.: Joe Stork / Martha Wenger, The US in the Persian Gulf - From Rapid Deployment to Massive Deployment, in: Middle East Report Vol. 21, No. 168, January/February 1991, S. 22-26

13 zur Frage des Erdöls in der Region siehe: Hostage to Oil, in: US News and World Report, 8. Oktober 1990, S. 56-64

14 in: U.S. Policy Information and Texts, 12. September 1990, S. 2f

15 Bush: Truppen dienen der Verteidigung Saudi Arabiens, in: Amerikadienst - Sonderdienst 10. August 1990

16 u.a.: Außenminister George Baker; in: Amerikadienst, 5. September 1990, S. 2

17 die Diskussion darum in der US-Administration begann im September. Siehe als frühen Hinweis die Stellungnahme des Abteilungsleiters im State Department vor einem Kongreßausschuß, in: Amerikadienst, 17. Oktober 1990, S. 3

18 erst beim Kriegsbeginn betonte Präsident Bush diese Punkte nachdrücklich in der Öffentlichkeit
19 in: Amerikadienst, 5. Dezember 1990, S. 4

20 in der ersten Faßung des Papiers war aufgrund eines Versehens an dieser Stelle von einem anderen Gorbatschow-Berater die Rede

21 siehe dazu u.a.: Yevgeni Primakow, The Inside Story of Moscow's Quest for a Deal, in: Time, 4. März 1991, S. 32-38; und: derselbe, My Final Visit with Saddam Hussein, in: Time, 11. März 1991, S. 48-49

22 ebenda

23 die Tatsache, daß die irakische Regierung den französischen Vermittlungsvorschlag kurz vor Kriegsbeginn nicht positiv aufgenommen hat, trug einen höchst destruktiven Charakter

24 Yevgeni Primakow, The Inside Story of Moscow's Quest for a Deal, in: Time, 4. März 1991, S. 37/38

25 dies war auch der US-Regierung bekannt. Am 30. August stellte Präsident Bush fest, daß die Sanktionen bereits zu greifen begannen, am 11. September betonte er, daß sie "Zeit brauchen, bevor ihre beabsichtigte Wirkung durchschlägt, in: Amerikadienst, 5. September 1990, S. 2; 12. September 1990, S. 4

26 Beispiele dafür aus der internationalen Presse: Newsweek, 28. January 1991, passim; oder: High-Tech Pay-off, in: Time, 28. January 1991, S. 22 f

27 mit entsprechender Hähme hat ein Hamburger Nachrichtenmagazin sich darüber mokiert. Allerdings ist auffällig, daß die Kritik hier nur am professionellen Dilettantismus der Techniker, nicht am inhaltlichen Unvermögen ansetzt. Siehe: Kriegsberichte: Piep-Show aus Kairo, in: Der Spiegel, 21. Januar 1991, S. 192
28 siehe dazu: Publizistik & Kunst, Heft März/1991, S. 7-32

29 Beispiele sind: "Dreht Saddam Hussein den Ölhahn zu!" - Presseerklärung von Jürgen Maier, Bundesvorstand der Grünen, vom 2. August 1990; Presseerklärung der Grünen im Bundestag vom gleichen Tag; "Aus der Friedensbewegung - Gewalt bringt keine Lösung", in: Frankfurter Rundschau, 7.9.1990

30 hier sei nur auf die Rüstungsexportkampagne des BuKo (Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen) verwiesen, die seit Jahren an diesen Themen arbeitet und sich auch vor der Golfkrise bereits um Exporte in den Irak gekümmert und diese bekämpft hat

31 dazu: Jochen Hippler, Iraq's Military Power: The German Connection, in: Middle East Report, Vol. 21. No. 168, January/February 1991, S. 27-31

32 Yevgeni Primakow, My Final Visit with Saddam Hussein, in: Time, 11. März 1991, S. 49

33 Johann Georg Reißmüller, Die Sowjetunion dankt nicht ab, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. März 1991, S. 1

34 siehe dazu die neuesten Umfrageergebnisse, in: Der Spiegel, 11. März 1991, S. 36: danach sind 81 % der Befragten in unterschiedlichem Maße mit Bushs Kriegspolitik einverstanden

35 dazu: Jochen Hippler, Westliche Flottenpräsenz im Persischen Golf und die Diskussion um Out-of-Area Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr, Arbeitspapier Nr. 006 des Instituts für Internationale Politik, Wuppertal, Oktober 1988

36 telefonische Auskunft des Auswärtigen Amtes in Bonn, 13. März 1991; dies beinhaltet sämtliche Hilfsleistungen: militärisch relevante Leistungen an die USA, Großbritannien und andere Länder, wirtschaftliche Hilfe an die Länder der Krisenregion, Kosten der Entsendung von Alpha-Jets und anderem Material in die Türkei oder von Schiffen ins Mittelmehr, etc.

37 was nicht bedeuten soll, daß es keinen Gegensatz zur Sowjetunion mehr gäbe. Dieser trägt aber zukünftig eher den Charakter der Konkurrenz zwischen Staaten, weniger von Systemen


 

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