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Jochen Hippler


Westliche Flottenpräsenz im Persischen Golf
und die Diskussion um Out-Of-Area Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr


(geschrieben: 1988)
 


Inhaltsübersicht

Vorbemerkung
Golfkrieg und westliche Flottenpräsenz
Voraussetzungen der Debatte in der BRD
Drängen der US-Regierung auf Unterstützung
Der Diskussionsstand zur Jahresmitte 1987
Entlastung der Bündnispartner innerhalb des Bündnisgebietes?
Kompensation: Nordmeer, Atlantik oder Mittelmeer?
Die verfassungsrechtliche Debatte
Zwischenbilanz zum Frühjahr 1988
Die Bundeswehr als UNO-Friedenstruppe?
UNO-Truppen als Zwischenschritt auf dem Weg zur "normalen" militärischen Mittelmacht?
Der Persische Golf als Ausgangs- und Bezugspunkt der Diskussion um Out-Of-Area Einsätze der Bundeswehr
Anmerkungen
 


Vorbemerkung
Der NATO-Vertrag definiert in Artikel VI den NATO-Geltungsbereich (nicht den militärischen Aktivitätsbereich von NATO-Mitgliedsstaaten) als das Staatsgebiet der Mitgliedsländer und den Atlantik nördlich des Wendekreises des Krebses. Später (beim Beitritt Griechenlands und der Türkei 1952) wurde das Mittelmeer bis zur afrikanischen Küste in den NATO-Geltungsbereich einbezogen. Diese relativ enge und präzise Begrenzung war gegen den Willen der damaligen Kolonialmächte Europas von den USA durchgesetzt worden, um die NATO nicht im Interesse westeuropäischer Regierungen in die Kolonialkriege zu verwickeln.
Zugleich sind militärische Einsätze von NATO-Mitgliedern außerhalb des Geltungsbereichs keine Seltenheit: die USA führten Kriege in Korea und Vietnam, sie sind in Lateinamerika, im Nahen und Mittleren Osten, in Asien und in anderen Regionen militärisch präsent. Auch Frankreich und Großbritannien operieren nicht selten außerhalb des NATO-Geltungsbereichs, etwa im Tschad, der Zentralafrikanischen Republik, im Oman, dem Persischen Golf, im Libanon, in der Karibik oder im Südatlantik.
Die Bundesrepublik Deutschland hat bisher traditionell eine eigene militärische Rolle ihrer Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs der NATO abgelehnt. Innerhalb der NATO hat sie im Sinne einer Arbeitsteilung mit den Verbündeten ihre militärischen Kräfte auf das mitteleuropäische Gefechtsfeld und direkt angrenzende Gebiete konzentriert und höchstens spezielle Sonderaufgaben übernommen, etwa in Bezug auf die Türkei. Im Rahmen der Arbeitsteilung und der "Bündnissolidarität" hat die Bundesrepublik allerdings traditionell Out-Of-Area Einsätze anderer NATO-Mitglieder logistisch und politisch unterstützt, ohne direkt an ihnen teilzunehmen.
Die prinzipielle Zurückhaltung  bundesdeutscher Politik gegenüber Out-Of-Area Einsätzen wurde in den Jahren 1987/88 zunehmend infrage gestellt. Insbesondere seit dem Frühjahr 1987 erfolgten intensive politische Diskussionen und Auseinandersetzungen, die zu schrittweisen Verschiebungen bisheriger Positionen führten.
Die Debatten entzündeten sich an Fragen, ob und ggf. auf welche Art die Bundesrepublik die Flottenentsendung ihrer wichtigsten Verbündeten in den Persischen Golf unterstützen solle, und ob sie eventuell sogar selbst bereit sein müsse, Schiffe der Bundesmarine in den Golf zu entsenden. Im Zuge dieser Diskussionen wurden bisherige Positionen einer besonderen militärischen Zurückhaltung der BRD außerhalb des NATO-Rahmens deutlich aufgeweicht, die Bundesrepublik unternahm einige zusätzliche Schritte, sich auch militärisch als "ganz normale" Mittelmacht zu begreifen. Die Diskussion konzentrierte sich dabei auf folgende vier, miteinander verbundenen Punkte: auf die verfassungsrechtliche Möglichkeit von Out-Of-Area Einsätzen, auf die Entsendung von Minensuchbooten in den Golf, auf mögliche Funktionsausweitungen der Bundesmarine innerhalb des NATO-Geltungsbereiches zur Kompensation für die Operationen anderer NATO-Staaten im Golf, und auf eine mögliche Beteiligung der Bundeswehr an zukünftigen UNO-Friedenstruppen.
Das vorliegende Papier verzichtet auf die Darstellung und Analyse der Out-Of-Area Diskussion im NATO-Rahmen und der Entscheidungsfindung in NATO und WEU. Es konzentriert sich auf Diskussionsprozesse innerhalb der Bundesrepublik und insbesondere in der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien. In einem ersten Kapitel wird allerdings der politische Bezugsrahmen der bundesdeutschen Diskussion, nämlich die Militärpräsenz der wichtigsten westlichen Verbündeten im Persischen Golf, zusammengefaßt. Nicht berücksichtigt werden konnten ebenfalls die Verbindungen der Diskussion zu den Themenkomplexen "low-intensity warfare" und der Auseinandersetzung um eine neue Marinestrategie im Bündnis, wobei in beiden Fällen die Impulse aus den USA stammen. Die Berücksichtigung dieser Themen hätte den Rahmen dieses Papiers bei weitem gesprengt.
Wo der Anmerkungsapparat "dpa", "Associated Press" und ähnliches vermerkt wurde nach den Originalmeldungen der entsprechenden Nachrichtenagenturen zitiert, da diese nicht selten informationsreicher sind als die aus ihnen abgeleiteten Zeitungsmeldungen.

Golfkrieg und westliche Flottenpräsenz
Die massive Ausweitung des militärischen Engagements der USA im Persischen Golf begann 1987. Die Regierung Kuwaits hatte seit etwa September 1986 diskret in Washington angefragt, ob man dort zur Entsendung von Marineeinheiten zum Schutz kuwaitischer Schiffe - vorwiegend Tanker - bereit sei, und in diesem Zusammenhang eine "Umflaggung" kuwaitischer Tanker unter US-Flagge ins Spiel gebracht. Die US-Regierung zeigte sich desinteressiert, verzögerte eine Antwort und lehnte das Ersuchen dann vorläufig ab. Als auf eine Bitte der kuwaitischen Regierung im März 1987 die Sowjetunion von Kuwait vier Tanker pachtete, wurde die Reagan-Administration nervös und entschied sofort, nunmehr doch die eigene militärische Präsenz zu erhöhen und der Umflaggung zuzustimmen. Damit war die kuwaitische Strategie aufgegangen, das eigene Risiko und den Druck seitens Iran zu vermindern, indem man auf eine Internationalisierung des Konfliktes setzte und versuchte, beide Supermächte (und möglichst noch die westeuropäischen Staaten) zu einem direkten militärischen Engagement zu bewegen.(1)
Nachdem Anfang April 1987 prinzipiell eine Verstärkung der militärischen Präsenz beschlossen worden war, kam diese ab Mai massiv voran. Der direkte Anlaß war ironischerweise ein Zwischenfall, bei dem ein irakisches Kampfflugzeug im Persischen Golf die US-amerikanische Fregatte Stark mit (französischen) Raketen beschossen und schwer beschädigt hatte. 37 US-Soldaten wurden dabei getötet.(2) Zwei Tage später gab die US-Regierung bekannt, daß sie nun zu einer "Umflaggung" elf kuwaitischer Tanker bereit sei, um diese formell zu US-Schiffen zu machen und zugleich militärischen Geleitschutz für diese Schiffe bereitzustellen. Als Begründung wurde nicht der irakische Angriff auf die Stark genannt - hier gab man sich mit einer Entschuldigung für diesen "Irrtum" zufrieden - sondern die Notwendigkeit, die Freiheit der Schiffahrt im allgemeinen und insbesondere den Golf vor dem Zugriff des Iran und der Sowjetunion zu schützen.(3)
Diese Begründung war in jeder Hinsicht bemerkenswert: die zahlreichen Angriffe auf Handelsschiffe dritter Staaten im Golf durch die kriegführenden Parteien (der sogenannte "Tankerkrieg") waren vom Irak gegen die Interessen des Iran begonnen worden, um dessen Ölexporte zu behindern oder zu unterbrechen. Mehr als zwei Drittel der Angriffe auf die Zivilschiffahrt im Golf wurde durch irakische Flugzeuge unternommen. Zugleich war nur der Iran wirklich auf die Schiffahrt im Golf angewiesen: der Irak, Kuwait und Saudi Arabien exportierten einen großen Teil ihres Erdöls durch ein Pipelinesystem (durch Saudi Arabien zum Roten Meer oder durch die Türkei zum Mittelmeer), nur der Iran verfügte über diese Möglichkeit nicht und war auf Export per Schiff angewiesen - wenn auch eine zukünftige Pipeline durch die Sowjetunion ins Schwarze Meer geplant ist.(4)
Gegen den Iran also die Freiheit der Schiffahrt verteidigen zu wollen, war zumindest erstaunlich. Auch eine militärische Bedrohung des Golfs durch die Sowjetunion bekämpfen zu wollen war originell: die sowjetischen Einheiten in der Region bestanden aus nicht mehr als einer Fregatte, einem Versorgungsschiff und drei Minenräumbooten. Die Land- und Luftstreitkräfte der Sowjetunion in ihren südlichen Militärbezirken sind bekanntermaßen notorisch unterbesetzt, logistisch unterversorgt und haben insgesamt einen sehr niedrigen Bereitschaftsgrad, wie Beamte des Pentagon gegenüber dem Verfasser bestätigten. Darüber hinaus hatte die Sowjetunion mehrfach den Abzug aller fremden Militäreinheiten, auch ihrer eigenen, und deren Ersatz durch eine UNO-Friedenstruppe angeboten.(5)
In dieser Ausgangslage begannen die USA mit einem großangelegten militärischen Aufmarsch im Golf: im Juli 1987 hatten sie bereits 15 oder 16 Kriegsschiffe vor Ort, darunter den Flugzeugträger Constellation, den Hubschrauberträger Guadalcanal und das Schlachtschiff Missouri, weitere waren unterwegs. Im Oktober schließlich lag die Zahl bei etwa 40 (etwas später  fast 50) Kriegsschiffen mit etwa 30000 Soldaten an Bord.(6)
Dies war die größte und kampfkräftigste Flottenkonzentration eines Staates in Friedenszeiten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Dieser Aufmarsch und die Ende Juli beginnenden Eskorten der umgeflaggten Tanker wirkten sich nicht konfliktdämpfend aus, sondern eskalierten die Auseinandersetzungen.
Am 24. Juli läuft der umgeflaggte Tanker Bridgeton während des ersten Geleitzuges unter US-Schutz auf eine Mine und wird beschädigt. Die US-Kriegsschiffe in der Eskorte begeben sich daraufhin in das Kielwasser der Bridgeton, um sich selbst vor Minen zu schützen. Sehr plötzlich fällt den USA auf, daß von ihren Minenräumern nur drei in einem einsatzfähigen Zustand sind (BRD: 59) (was sich später als übertrieben pessimistisch herausstellt) - und diese Schiffe sind nicht in den Golf verlegt worden. Die Schutzfunktion der US-Flotte für die Tanker wird damit öffentlich zweifelhaft. (Ähnliches gilt übrigens für den französischen Flottenaufmarsch: zwar brachte Frankreich drei Minenräumer in den Golf, um "die Freiheit der Schiffahrt" zu gewährleisten. Das hinderte die französische Regierung aber nicht daran, gleichzeitig ein Geheimabkommen mit dem Iran zu schließen, aufgrund dessen sie die iranischen Schnellboote "modernisieren" und mit Exocet und Otomat-Raketen ausstatten wollte - genau die Schnellboote, die vom Iran für Angriffe auf zivile Schiffe benutzt wurden.)(7) Ende September 1987 greifen US-Hubschrauber das iranische Schiff Iran Ajir an und versenken es. Fünf Besatzungsmitglieder werden getötet, 26 gefangengenommen. Der Besatzung wird vorgeworfen, Minen gelegt zu haben. Am 8. Oktober versenken US-Kampfhubschrauber nahe der Insel Farsi drei iranische Patrouillenboote, nachdem ein Aufklärungshubschrauber beschossen worden sein soll. Am 15. und 16. Oktober werden ein umgeflaggter kuwaitischer und ein US-Tanker in kuwaitischen Hoheitsgewässern von (vermutlich iranischen Seidenraupen-) Raketen getroffen und beschädigt; 18 Matrosen werden verletzt. Drei Tage später greifen die USA eine iranische Ölbohrinsel im Golf an und schießen sie in Brand. Zur Begründung wird vorgebracht, daß diese Bohrinsel keinen wirtschaftlichen Zwecken mehr gedient habe, sondern eine Basis für Angriffe iranischer Schnellboote gewesen sei. Im Februar 1988 wird der Umfang der US-Flotte im Golf auf 28 Kriegsschiffe reduziert.(8)
Nach einer Reihe weiterer Zwischenfälle und Gefechte dieser Art (im April 1988 läuft die US-Fregatte Samuel B. Roberts auf eine Mine - 10 Verletzte; wenig später greifen die USA zwei Ölbohrinseln des Iran an(9) und beschädigen oder versenken sechs iranische Schiffe; Anfang Juli kommt die US-Marine einem dänischen Tanker militärisch zu Hilfe), erfolgt im Juli 1988 der Abschuß eines zivilen Passagierflugzeuges iranischer Nationalität über dem Golf durch die US-Fregatte Vincennes, 290 Menschen werden dabei getötet. Präsident Reagan bedauert den Abschuß und erklärt, die Aktion sei "in Übereinstimmung mit unserem Recht auf Selbstverteidigung" erfolgt.(10)
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Unstabilität im Golf - wie immer man sie genau definieren mag - durch die amerikanische Flottenentsendung eher zu- als abgenommen hat, daß zusätzliches Konfliktpotential in die Region eingeführt wurde und daß eine Entwicklung eintrat, in der die US-Marine sich zunehmend in einem Kleinkrieg zur See mit iranischen Kräften engagierte.
Die europäischen NATO-Verbündeten der USA standen deren Flottenaufmarsch zuerst mit einiger Skepsis gegenüber. Zwar verfügten sowohl Großbritannien wie Frankreich traditionell über eine begrenzte eigene Militärpräsenz in der Region. Frankreich operiert vorwiegend von seinem Stützpunkt in Djibouti (am Ausgang des Roten Meeres) aus, wo bis Mitte der siebziger Jahre durchschnittlich 6 bis 7 Kriegsschiffe, Anfang der achtziger Jahre dann etwa 12 bis 17 stationiert waren, darunter Zerstörer, Fregatten und konventionell angetriebene U-Boote. Zugleich verfügt es auf seiner Besitzung RÍunion und auf der Komoreninsel Mayotte über Flughäfen und Hafeneinrichtungen.(11)
Im Sommer 1987 hatte Frankreich bereits eine beträchtliche Streitmacht im Golf zusammengezogen: den Flugzeugträger Clemenceau, die Fregatten Victor Schoelcher, Protet, Commandant Bory (alle mit Exocet-Raketen ausgestattet), Die Fregatte Georges Leygues (zur U-Boot-Bekämpfung), die Zerstörer Duquesne und Suffren, und Unterstützungsschiffe wie die Meuse und die Marne.(12)
Die britische Präsenz war demgegenüber wesentlich beschränkter: sie bestand in der Regel aus drei oder vier Kriegsschiffen (im Juli die Fregatten Active und Broadsword (letztere von Mombasa aus), der Lenkwaffenzerstörer Cardiff und ein Versorgungsschiff; im Januar 1988 die Fregatten York, Battleaxe und Scylla),(13) die im Golf von Oman oder im westlichen Indischen Ozean operierten. Daneben besteht eine militärische Zusammenarbeit mit einigen Golfanrainern, vor allem dem Oman. Beide Länder hatten noch im November 1986 gemeinsame Militärmanöver im Oman durchgeführt, an denen rund 10000 Soldaten teilnahmen.(14)
Großbritannien hatte bereits seit 1980 Tanker durch den Golf eskortiert. Eine wirkliche Koordination dieser Verbände mit den US-Einheiten, insbesondere die zusätzliche Entsendung von Minenräumbooten auf Bitten der USA, begann erst im August und September 1987 konkrete Formen anzunehmen, wobei politischer Druck aus Washington, das strategische und ökonomische Eigeninteresse (insbesondere an niedrigen Ölpreisen) und in diesem Zusammenhang die Beschädigung der Bridgeton durch eine Mine eine Rolle spielten. Erst daraufhin entsandten Frankreich, Großbritannien (drei, bzw. vier), aber auch Italien (drei Minenjagdboote, drei Fregatten, zwei Unterstützungsschiffe), Belgien und die Niederlande (je zwei) Minenräumboote in den Golf.(15)
"Damit zeichnet sich" - bemerkte Siegfried Thielbeer in der FAZ - "eine inoffizielle Arbeitsteilung der Europäer mit den Amerikanern ab: Franzosen und Italiener operieren vorwiegend außerhalb der Straße von Hormuz (also im Golf von Oman; J.H.); die Briten (gemeinsam mit den Niederländern und Belgiern; J.H.) geben Geleit und Minenschutz von Hormuz bis Bahrein; die Amerikaner räumen Minen vor allem im Norden des Persischen Golfs bis Kuwait, sichern aber ihre Konvois über die gesamte Fahrstrecke."(16)
Im Januar 1988 erwogen die Regierungen Großbritanniens, der Niederlande und Belgiens, die Anzahl ihrer Minenräumer in der Region zu halbieren und den restlichen Bestand zu integrieren, möglicherweisen unter gemeinsames Kommando zu stellen.(17)
Dies erfolgte zum Anfang des Juli 1988 unter britischer Führung.(18)
Insgesamt wurde der Flottenaufmarsch im Persischen Golf in der Praxis zu einer NATO Operation außerhalb ihres Geltungsbereiches ("Out-Of-Area"-Einsatz), auch wenn die NATO als Organisation und im streng juristischen Sinne nicht beteiligt war. (Die westeuropäischen Regierungen koordinierten sich seit August 1988 politisch über die WEU, militärisch nur vor Ort und informell.) Außerhalb des formellen NATO-Rahmens und im Wege bi- und multilateraler Absprachen war die Operation aber nichts anderes als eine Gemeinschaftsaktivität der wichtigsten NATO-Verbündeten (mit der Ausnahme der BRD) unter eindeutiger US-Führerschaft, wenn auch die Kooperation (etwa zwischen italienischen und US-amerikanischen Einheiten) gelegentlich nur mit Einschränkungen funktionierte.
Im September 1988 trafen sich Vertreter der beteiligten WEU-Länder zur Diskussion des weiteren Vorgehens in London. Dabei wurde die Reduzierung der französischen und italienischen Einheiten gebilligt (Italien war nur noch mit zwei Minenräumern und einem Versorgungsschiff präsent, Frankreich hatte seinen Flugzeugträger abgezogen), zugleich aber eine Fortsetzung der Minenräumoperationen beschlossen - obwohl man im Verlauf der gesamten Operation nur zwischen 20 und 30 Minen gefunden und gesprengt hatte.
Unter militärischen Gesichtspunkten war der Flottenaufmarsch im Golf höchst zweifelhaft. Mit ihren gigantischen Kriegsschiffen waren die USA für eine konventionelle Auseinandersetzung zwar gut ausgerüstet, einer Art "Guerillakrieg zur See", bei der der Gegner mit kleinen, wendigen Schnellbooten oder Seeminen operierte, standen sie aber teilweise recht hilflos gegenüber. Newsweek sprach von einer "Serie von Peinlichkeiten".(19)
Bezeichnend dafür war, daß die USA, die die "Freiheit der Schifffahrt" hatten schützen wollen, ausgerechnet ohne Minenräumboote in den Golf gekommen waren (und darum die Länder Westeuropas massiv unter Druck setzten, dieses Defizit nun auszugleichen.) Flugzeugträger, die wegen der geringen Wassertiefe im Golf praktisch nicht manövrieren und nur auf und ab fahren oder im Golf von Oman verbleiben konnten, Kriegsschiffe, die sich zum Schutz vor Minen hinter die Tanker zurückzogen, die sie eigentlich schützen sollten - das waren Symbole für die Hilflosigkeit militärischer Überrüstung.(20)
Es war daher kein Zufall, daß innerhalb der US-Marine ein nicht geringer Widerstand gegen die massiv verstärkte Flottenpräsenz im Golf bestand, und daß zahlreiche Offiziere immer wieder das Pentagon bedrängten, die "militärisch unsinnige" Operation abzubrechen. Der Abschuß eines zivilen Verkehrsflugzeugs durch eine US-Fregatte im Juli 1988 mit 290 Toten unterstrich noch einmal die Fragwürdigkeit der gesamten Operation.
Da der offizielle Grund für die Flottenentsendung (die Sicherung der "Freiheit der Meere") ebenso fraglich wie deren militärische Wirksamkeit war, stellt sich die Frage nach den tatsächlichen Hintergründen. Diese lassen sich aus Sicht der US-Regierung folgendermaßen zusammenfassen:
1. Eine indirekte militärische Unterstützung des Irak im Golfkrieg. Die US/westeuropäische Militärpräsenz im Golf würde iranische Kapazitäten auch dann binden, wenn es nicht zu schwereren Kämpfen kommen würde. Dies wurde durch wiederholte, massive Drohungen der US-Regierung gegen Iran unterstrichen. Man erwäge "präemptive Angriffe gegen iranische Angriffskräfte", die iranische Führung solle "jede Nacht unsicher darüber zu Bett gehen, was wir tun werden", oder: "Die USA könnten so reagieren, wie sie dies gegenüber Libyen taten: zuerst hatten sie Patrouillenboote und eine Raketenstellung angegriffen, dann Tripolis bombardiert."(21)
Zugleich war die Parteinahme auf Seiten des Irak hinter dem unverdächtigen Terminus der Freiheit der Schiffahrt gut zu legitimieren.
Diese pro-irakische Tendenz wurde insbesondere von Frankreich nachvollzogen. Dabei waren wirtschaftliche Gründe (besonders im Bereich der Rüstungsexporte) und politische Überlegungen (insbesondere einer Eindämmung des schiitischen Fundamentalismus des Iran) die wichtigsten Gründe.
2. Die Sowjetunion war dabei, ihren politischen Spielraum in der Region zu vergrößern. Während früher nur Kuwait überhaupt über diplomatische Beziehungen zur UdSSR verfügte, hatten nun auch der Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate Beziehungen aufgenommen. Selbst bezüglich Saudi Arabiens schien einiges in Bewegung zu kommen.(22)
Jordanien und Kuwait hatten in Moskau Waffen gekauft, die ihnen von den USA verweigert worden waren, auch dieser Präzedenzfall alarmierte die US-Regierung. Als dann im Frühjahr 1987 die Sowjetunion auf Bitten Kuwaits  einige Tanker umflaggte, gerieten das Weiße Haus und das Pentagon in beträchtliche Unruhe und waren zu weitgehenden Maßnahmen bereit, um diesem "Vordringen der Sowjetunion" politisch entgegenzusteuern.(23)
Aus dem Pentagon verlautete: "Wenn wir diese Operation für Kuwait unterließen, dann überreichten wir der Sowjetunion vergrößerten Einfluß auf einem silbernen Tablett."(24)
Auch wenn diese Position als sachlich überzogen erscheint, so war sie doch handlungsleitend für die Reagan-Administration und auch die britische Regierung hielt es für sinnvoll, verstärkte sowjetische Aktivitäten vorbeugend durch eigene militärische Präsenz auszubalancieren.
3. Die Contragate-Affäre in den USA hatte der Regierung Reagan schwer geschadet. Sie war dabei ertappt worden, ausgerechnet an den Iran, den man jahrelang als Hort des internationalen Terrorismus gegeißelt hatte, heimlich Waffen verkauft zu haben. Von daher entsprang die Notwendigkeit, der Öffentlichkeit in den USA massiv und glaubwürdig zu demonstrieren, daß die Reagan-Administration nicht iran-freundlich eingestellt sei.
4. Die US-Politik im Nahen und Mittleren Osten war 1986/87 gescheitert, die US-Regierung stand vor den Trümmern einer Politik, die einige Jahre recht sprunghaft verschiedene Strategien verfolgt und mit keiner erfolgreich gewesen war. 1984 waren die US-Truppen durch eine Serie gezielter Bombenanschläge unter demütigenden Umständen aus dem Libanon vertrieben worden. Ihre Verbündeten im Libanon und in den konservativen arabischen (Golf-) Staaten begannen sich zu fragen, was ein (auch militärischer) Schutz durch die USA überhaupt wert sei, und ob eine Lockerung der Bindungen an die USA nicht vorteilhaft sein könnte. Als dann Ende 1986 noch der geheime Waffenhandel mit dem revolutionär-fundamentalistischen Iran, der größten Quelle der Besorgnis der konservativen Golfstaaten, bekannt wurde, war das Vertrauen vieler traditioneller US-Verbündeter in der Region schwer erschüttert. Die massive Flottenpräsenz der USA sollte vor diesem Hintergrund auch der Rückversicherung dieser Regierungen dienen.(25)
Der Londoner Observer bemerkte zu den unterschiedlichen Gründen verschiedener teilnehmender Länder für den Flottenaufmarsch:
"Wenn die Freiheit der Schiffahrt wirklich der Grund für die Operation gewesen wäre, wäre es zuerst nötig gewesen, den Irak daran zu hindern auf Handelsschiffe zu schießen. Die USA und die Sowjetunion haben den Einfluß, dies zu erreichen. Die Iraner würden dann schnell folgen.
Aber in Wirklichkeit möchte der Westen den Irak gar nicht stoppen, wenn das die Position Bagdads im Krieg schwächen würde. Die Sowjets verfolgen das Ziel, im Mittleren Osten sowohl Präsenz zu demonstrieren und ihren engsten Freund am Golf, den Irak, zu unterstützen, was auch die Franzosen tun, da der Irak ihr wichtigster Exportmarkt im Mittleren Osten geblieben ist, besonders für Waffen. Die Briten sind präsent, da sie über Interessen und Einfluß in einer Reihe von arabischen Golfstaaten verfügen, in den Emiraten ebenso wie in Kuwait; diese möchten nicht, daß der Irak den Krieg oder die Angriffe auf die Tanker so weit ausweitet, daß ihre eigene Schifffahrt betroffen ist. Die Amerikaner sind im Golf, weil sie eine Steigerung des sowjetischen Einflusses verhindern, und weil sie zeigen möchten, daß sie - trotz aller Katastrophen der Iran-Affäre - ihre Freunde in Saudi Arabien und am Golf schützen können."(26)
Vor dem Hintergrund dieser, hier nur knapp skizzierten, militärischen Entwicklungen und politischen Interessenskonstellationen im und um den Persisch-Arabischen Golf muß die Diskussion in der Bundesrepublik um eine eigene Flottenentsendung gesehen werden.

Voraussetzungen der Debatte in der BRD
Die Diskussion in der Bundesrepublik um Einsätze der Bundeswehr außerhalb des NATO-Geltungsbereichs begann lange vor 1987/88. Innerhalb der NATO war als Folge der Ölkrise von 1973 diskret über die Frage einer eventuellen Ausdehnung des NATO-Geltungsbereiches gesprochen worden. CDU/CSU-Politiker wie Alfred Dregger waren seit Mitte der siebziger Jahre mit Erklärungen an die Öffentlichkeit gegangen, in denen "eine Übernahme größerer Verantwortung" in Out-Of-Area Bereichen gefordert wurde. Franz Josef Strauß hatte 1978 erklärt, die BRD werde "bedroht vom Mittelmeer und von Afrika her", weshalb "der Verteidigungsauftrag der NATO neu definiert werden" müsse. Zwei Jahre später formulierte er: "Der Sicherheitsgürtel der NATO hat heute keinen Sinn mehr mit der Begrenzung nördlicher Wendekreis". Dregger ergänzte, der NATO-Geltungsbereich müsse "auf den Südatlantik und Teile des Indischen Ozeans" ausgeweitet werden, und führte "lebenswichtige Erdölimporte" an. Und Manfred Wörner schlug 1980 vor, Pakistan, Saudi Arabien, Ägypten und Israel eine Schutzgarantie der NATO anzubieten, nachdem er schon 1977 von einer "längst überholten(n) geographische(n) Begrenzung" der NATO gesprochen hatte.(27)
Diese Position war lange Zeit sehr am Rand der politischen Debatte angesiedelt, sowohl die sozialliberale, als auch die konservativ-liberale Regierung waren für solche Vorhaben nicht zu erwärmen. Der damalige Bundesverteidigungsminister, Hans Apel, wies 1980 jeden Vorschlag zurück, die Bundeswehr solle außerhalb des NATO-Geltungsbereiches eingesetzt werden. Zugleich allerdings vertrat er die Auffassung, eine "Bereitschaft zur Entlastung der Vereinigten Staaten" sei notwendig, "falls die USA Entlastung wünschten, um weltweit Aufgaben übernehmen zu können". Diese müsse dann "in Absprache mit den anderen NATO-Partnern" durchgeführt werden.(28)
Bereits zuvor hatte FDP-Sprecher Gerwald erklärt, "Dregger solle endlich seine Träumereien über einen Einsatz der Bundeswehr außerhalb der NATO beenden." Der Auffassung der FDP nach liege die Aufgabe der Bundesrepublik in Zentraleuropa und in der Türkei.(29)
Bundesaußenminister Genscher bekräftigte diese Position noch einmal einige Wochen nach dem Amtsantritt der Regierung Reagan.(30)
Nun sollte nicht der Eindruck erweckt werden, als habe in dieser Frage traditionell ein scharfer Gegensatz zwischen SPD und FDP einerseits und CDU/CSU andererseits bestanden. Ebenfalls bereits 1980 (möglicherweise beeinflußt vom Vorwahlkampf der damals im Oktober stattfindenden Bundestagswahl unter dem Kanzlerkandidaten Strauß) erklärte sich auch die bayerische CSU mehrfach gegen jeden Einsatz der Bundeswehr Out-Of-Area. CSU-Generalsekretär Stoiber wählte die Formulierung, ein NATO-Einsatz der Bundeswehr außerhalb des bisherigen Raumes komme für die CSU "in keinem Fall in Frage" - was kaum eindeutiger auszudrücken wäre.(31)
Der Sprecher der bayerischen Staatskanzlei assistierte, indem er die Position von Strauß so zusammenfaßte: "Kein Bundeswehreinsatz außerhalb des NATO-Gebiets, sondern gegebenenfalls Einsatz der Bundeswehr bei uns in Mitteleuropa, in der Nordsee oder im östlichen Atlantik, um die Lücken zu füllen, wenn andere NATO-Partner für uns etwa am Persischen Golf Wache halten müssen."(32)
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mochte da nicht zurückstehen: im Oktober 1981 und Dezember 1983 erklärte ihr damaliger Verteidigungsexperte Willi Weiskirch, entsprechende Bundeswehreinsätze seien verfassungsrechtlich und politisch ausgeschlossen.(33)
Bundesverteidigungsminister Wörner erklärte - kurz nach einem entsprechenden Beschluß des Bundessicherheitsrates - im Dezember 1982, "daß ein Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes nicht in Frage" komme. Stattdessen müsse sich die Bundesrepublik "darauf beschränken, durch politische, wirtschaftliche und soziale Hilfe zu einer Stabilisierung" von Krisengebieten beizutragen.(34)
Dabei ging die Debatte nicht im strengen Sinne des Wortes um Einsätze der Bundeswehr außerhalb der NATO, also vorzugsweise in der Dritten Welt. Solche Einsätze sind seit Anfang der sechziger Jahre zur Routine geworden, und sie nehmen eine ganze Vielfalt unterschiedlicher Formen an - von humanitären Aktionen bis zur Lieferung von Militärgütern und militärischer Ausbildung. In mehr als 20 Ländern außerhalb der NATO wurden für unterschiedliche Aufgaben bereits Bundeswehr-Soldaten eingesetzt. Ende 1987 hielten sich "Beratergruppen" der Bundeswehr u.a. in Djibouti, Burkina Faso, Kenia, Mali, Niger, Ruanda, Somalia, Sudan, Togo und Zaire auf. Im gleichen Jahr erhielten 30 Länder insgesamt 56 Millionen DM an militärischer Ausstattungshilfe.(35)
Die politische Debatte erfolgte daher eigentlich nicht über die prinzipielle Frage eines Einsatzes der Bundeswehr außerhalb der NATO, sondern um die Übernahme zusätzlicher militärischer Funktionen im Out-Of-Area Bereich, insbesondere, wenn diese die Gefahr einer Verwicklung in Kampfhandlungen beinhalteten.
Vor diesem Hintergrund muß die langjährige und im November 1982 durch einen Beschluß des Bundessicherheitsrates formalisierte Position der Bundesregierung gesehen werden, daß Artikel 67a des Grundgesetzes einen Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes verbiete. Diese Position der Bundesregierung wurde, dies war ihr Spezifikum, nicht politisch, sondern verfassungsrechtlich begründet. Sie erschien damit unumstößlich, selbst wenn der Bundessicherheitsratsbeschluß die prinzipielle Einschränkung enthielt, daß das Verbot von Out-Of-Area Einsätzen im Falle eines "völkerrechtswidrigen Angriffs auf die Bundesrepublik" nicht gelte.

Drängen der US-Regierung auf Unterstützung
Unabhängig von der bundesdeutschen Diskussion - allerdings gelegentlich unter Anerkennung der verfassungsrechtlichen Restriktionen - drängte die US-Regierung zumindest seit 1980, verstärkt seit 1983 und massiv seit 1987 auf stärkere Unterstützung ihrer Politik im Golf, auch durch militärische Maßnahmen.(36)
Der US-Sonderbotschafter bei der OAS und ehemalige Marineminister der USA, William Middendorf, erklärte etwa im Verlauf eines Interviews im April 1981:
"Ich wundere mich über Europäer, die angesichts der drohenden Gefahr durch die Sowjetunion, von den Rohstoffzufuhren vornehmlich aus Afrika abgeschnitten zu werden, noch darüber nachdenken, ob die NATO-Streitkräfte außerhalb des Mittelmeers überhaupt eingesetzt werden dürfen." Er könne nicht verstehen, daß ein so wohlhabendes Land wie die Bundesrepublik in diesem Sinne nicht mehr politische Verantwortung tragen wolle. Und, mit etwas drohendem Unterton: der NATO drohe die Zerstörung, wenn sich eines ihrer Mitglieder weigere, seinen Teil der Last zu tragen.(37)
Als damals nicht für Europa zuständiger Diplomat leistete sich Middendorf damit eine Offenheit, die sonst nicht sehr oft zu vernehmen war - gleichwohl: seine Kritik wurde in der Reagan-Administration weitgehend geteilt, oft nur diskreter vorgetragen.
Im Mai und Juni 1987 hatte die US-Regierung anläßlich des Treffens der NATO-Verteidigungsminister und des Weltwirtschaftsgipfels eine ganze Reihe von konkreten Forderungen an ihre europäischen Verbündeten herangetragen. Dabei standen drei mögliche Maßnahmen im Vordergrund: die Bitte um Entsendung eigener - bzw. zusätzlicher - Kriegsschiffe durch die Europäer in den Persischen Golf, möglichst zu Geleitschutzzwecken, notfalls aber auch zu anderen Aufgaben. Zweitens bat die US-Regierung um Maßnahmen, die die US-Flottenoperation im Golf logistisch unterstützen würden, etwa die Nutzung zusätzlicher westeuropäischer Infrastruktur (beispielsweise an Flughäfen oder Häfen) durch US-Truppen. Und schließlich wurde die Erwartung geäußert, die westeuropäischen NATO-Staaten würden Lücken im Bündnisgebiet schließen, die durch die Verlegung von Marineeinheiten der USA in oder an den Golf entstanden seien.(38)
Ende Juli 1987, nachdem der Verlauf der US-Flottenoperation insbesondere durch die Verminung eines Teils des Golfes (und später auch von Teilen des Golfs von Oman) schwer beeinträchtigt worden war, wandte sich US-Verteidigungsminister Weinberger brieflich an die westeuropäischen NATO-Verbündeten mit der Bitte, baldmöglichst Minenräumboote in den Golf zu entsenden. Nach anfänglicher und einhelliger Ablehnung erklärten sich nach einiger Zeit doch - wie erwähnt - Großbritannien, Frankreich, die Niederlande und Belgien zur Hilfestellung bereit. Sogar Luxemburg beteiligte sich mit einer symbolischen personellen Präsenz im Rahmen der belgisch/niederländischen Operation. Nur die Bundesrepublik lehnte mit ihren gewohnten verfassungsrechtlichen Argumenten erneut ab. Auch die Gespräche Manfred Wörners in Washington Anfang August änderten daran nichts.
Im November des gleichen Jahres wurde ein Brief des Generalleutnants Dale A. Vesser (Director for Strategic Plans and Policy der U.S. Joint Chiefs of Staff) vom Juli 1987 an die Bundesregierung bekannt. Darin schlugen die USA der Bundesrepublik eine ganze Reihe konkreter Maßnahmen vor, die diese ernsthaft in Erwägung ziehen solle. Über die bisherigen Forderungen hinaus wurde vorgeschlagen, die Bundesregierung solle einer Nutzung von in der BRD eingelagertem US-Militärmaterial (eigentlich für NATO-Aufgaben bestimmt) für die US-Golfoperation zustimmen; die Bundesluftwaffe solle zur Entlastung der USA in Westeuropa Transport- und Aufklärungsfunktionen übernehmen, die bisher die U.S. Air Force durchführte und bei einer Zuspitzung der Krise im Golf US-Militärmaterial mit eigenen Flugzeugen in die Region transportieren; die Bundesmarine solle zur Unterstützung und Entlastung der U.S. Navy Kriegsschiffe ins Mittelmeer schicken. Besonders pikant war die Bitte von Vesser, die Bundeswehr solle - falls aufgrund einer Zuspitzung der Golfkrise US-Truppen aus Europa an den Golf verlegt werden sollten - nicht nur medizinische und andere humanitäre Hilfe leisten, sondern auch das bundesdeutsche Personal im Rahmen des in der Bundesrepublik sehr umstrittenen Wartime Host Nation Support Abkommen mit den USA aktivieren, um die Logistik in die Golfregion zu gewährleisten. Dies forderte die Bundesregierung zu einer ganzen Reihe militärischer Unterstützungsmaßnahmen auf, die theoretisch bis zur Einberufung von 90 000 Reservisten reichen könnten.(39)
Dieser zunehmende Druck der USA beeinflußte den Verlauf der Diskussion in der BRD nachdrücklich, wenn die Bundesregierung diesen konkreten Vorstoß von General Vesser auch versuchte, ins Leere laufen zu lassen.

Der Diskussionsstand zur Jahresmitte 1987
Vessers Brief vom Juli 1987 hatte eine Reaktion auf eine kurz zuvor erfolgte Entwicklung dargestellt.
Im Juni 1987 fand in Venedig der jährliche "Weltwirtschaftsgipfel" der sieben wichtigsten kapitalistischen Industriestaaten statt. Dabei sollte auch über die Lage am Golf und über eine stärkere Beteiligung westeuropäischer Länder an militärischen Operationen in diesem Gebiet diskutiert werden - zumindest hatte dies Präsident Reagan bereits per Brief seinen Gesprächspartnern angekündigt. Um den erwarteten verstärkten Druck der USA beim Gipfel zu unterlaufen, begann die Bundesregierung schon vorher eine öffentliche Diskussion über das Thema, wobei sie zwei verbundene Argumentationslinien vertrat. "Bundeskanzler Kohl hat gestern klargestellt, daß die Entsendung von Einheiten der Bundesmarine in den Persischen Golf aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich sei. Ä...Ü Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums und des Auswärtigen Amtes hatten schon am Mittwoch festgestellt, das Grundgesetz in Verbindung mit dem NATO-Vertrag verbiete der Bundeswehr grundsätzlich einen militärischen Einsatz außerhalb des Territoriums der Allianz. Dies unterstrich der Kanzler nach Angaben von Regierungssprecher Ost gestern in der 'Morgenlage'."(40)
Ähnliche Äußerungen erfolgten in diesen Tagen mehrfach, u.a. von Staatssekretär Würzbach. Damit war die offizielle Linie der Bundesregierung unmißverständlich definiert: eine Truppenentsendung in den Golf käme nicht in Frage, über sie könne eigentlich nicht einmal diskutiert werden. Schließlich sei es keine politische Frage, sondern geltendes Verfassungsrecht der BRD.

Entlastung der Bündnispartner innerhalb des Bündnisgebietes?
Zugleich, und neben dieser eindeutigen Zurückweisung US-amerikanischer Wünsche ließ die Bundesregierung bereits im Vorfeld des Gipfels wissen, daß sie zu Maßnahmen einer Unterstützung der US-Flottenoperation bereit sei. Regierungssprecher Ost erklärte in Venedig, "aus der Sicht der deutschen Delegation wäre allerdings eine gewisse 'Arbeitsteilung' bei der Sicherung der Golfregion vorstellbar. Wie es in Delegationskreisen hieß, könnte dabei die US-Marine verstärkt zum Schutz der Golfregion und die Bundesmarine stärker auf der Atlantikroute eingesetzt werden."(41)
Ein entsprechender Vorschlag wurde von Bundeskanzler Kohl dem amerikanischen Präsidenten Reagan unterbreitet. Damit war die offizielle Linie klar: gestützt auf verfassungsrechtliche Notwendigkeiten die Entsendung der Bundesmarine Out-Of-Area abzulehnen und zugleich eine Entlastung der NATO-Verbündeten für deren Operationen außerhalb des Geltungsbereiches (also im Golf) innerhalb des Bündnisgebietes durch die Bundesmarine anzubieten.
Dieses Angebot des Kanzlers war mit Bundeswehr, Bundesmarine oder Verteidigungsministerium (BMVg) nicht abgestimmt. Kurz vor dem Gipfeltreffen hatte Staatssekretär Würzbach erklärt, die Aufgaben der Bundesmarine lägen "in der Ostsee, der Nordsee, im Nordmeer, bis in den Nordatlantik hinein. Würden wir hier Schiffe abziehen" - und dies wäre für jede Übernahme zusätzlicher Funktionen in anderen Regionen notwendig - "ganz abgesehen vom rechtlichen Status -, würden wir hier eine Lücke aufreißen, die andere stopfen müßten."(42)
Umgehend nach der Rückkehr der Delegation aus Venedig wurde diese Skepsis erneut deutlich und das Konzept Kohls infrage gestellt: ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) erklärte, die Möglichkeiten der Marine zur Entsendung von Schiffen in den Atlantik zur Entlastung der US-Navy seien "sehr begrenzt". Dies sei wegen des begrenzten Umfangs der Bundesmarine und ihrer anderen Aufgaben der Fall. Dpa berichtete: "Nach Darstellung des Verteidigungsministeriums ist die Marine zur Zeit nur stark genug, ihre Hauptaufgabe - die Sicherung der Nord- und Ostseezugänge - zu erfüllen."(43)
Eine andere Nachrichtenagentur erklärte zusätzlich: "Der Sprecher des Ministeriums, Kapitän zur See Ulrich Hundt, sagte am Freitag, er schließe gegenwärtig eine ständige Präsenz deutscher Schiffe in entfernteren Seegebieten aus."(44)
Diese Argumente trafen natürlich auf jede Übernahme zusätzlicher regionaler Verantwortlichkeiten zu. Die Bundesmarine verfüge über nur 16 Fregatten und Zerstörer, die nur zum Teil modernen Standards entsprächen, und sei zur Übernahme zusätzlicher Verpflichtungen umfangsmäßig nicht in der Lage, ohne anderswo "eine Lücke auf(zu)reißen, die andere stopfen müßten". Damit wäre der Vorschlag der Bundesregierung unpraktikabel: er sollte ja schließlich Lücken bei den Verbündeten schließen, keine neuen schaffen.(45)
Die rechte Tageszeitung Die Welt bewertete die Vorschläge einer dauerhaften Entlastung der Verbündeten durch die Bundesmarine mit den Worten: "Realistisch ist das aber erst, wenn die bescheidenen Wünsche der Marine erfüllt werden: zwei bis vier Fregatten mehr."(46)
Noch bis in den August 1987 hinein betonte das BMVg die Schwierigkeiten einer Entlastungsoperation, etwa wenn sie darauf hinwies, "daß die Übernahme zusätzlicher Aufgaben etwa im Atlantik oder im Mittelmeer durch die Bundesmarine zu Lasten der jetzigen NATO-Funktionen gehen würde, die sich vor allem auf die Nord- und Ostsee konzentrieren." Über die ohnehin stattfindenden Operationen der Marine im Ärmelkanal, dem Atlantik und anderswo hinaus "gebe es aber nicht viel, was man den USA als Unterstützung anbieten könne."(47)
Entsprechend mußte Verteidigungsminister Wörner dem Kanzler gegenüber dessen Vorschlag von Venedig als "nicht praktikabel" bezeichnen.(48)
Diese Argumente wurden bald zunehmend relativiert, da immer deutlicher wurde, daß die diskutierten Kompensationsmaßnahmen ohnehin kaum militärisch von Relevanz waren, sondern vor allen Dingen eine politische Demonstration der Unterstützung der US-Position darstellen sollten. Militärische Sinnlosigkeit war jedoch vor dem Hintergrund der eigentlichen politischen Intention unwichtig.

Kompensation: Nordmeer, Atlantik oder Mittelmeer?
Zugleich begannen im August zwei weitere Diskussionsstränge stärker hervorzutreten: die Frage, welche geographische Region für Kompensationsmaßnahmen am geeignetsten sei, und die verfassungsrechtlichen Probleme.
Zuerst brachten Publizisten und Beamte im BMVg zunehmend Formulierungen in die Debatte, die Bundesmarine könne ihre Entlastungsoperationen "im Atlantik oder im Mittelmeer" durchführen - als hätte es die massiven Einwände überhaupt nicht gegeben. Gegen diese ersten Hinweise auf eine mögliche Entsendung ins Mittelmeer wurden sofort neue Einwände von Marineoffizieren aus dem BMVg vorgetragen. Das erste Argument knüpfte an die Kapazitätsprobleme an: "Da eine Aufstockung der deutschen Zerstörerflottille aus finanziellen wie aus personellen Gründen ausscheidet, votieren hohe Marineoffiziere im BMVg für eine Kompensation möglichst eng in Verbindung mit dem eigentlichen Auftrag. (...) Das könne im Seeraum vor Nordnorwegen oder - im unmittelbaren Zusammenwirken mit der 2. US-Flotte - im West-Atlantik sein."
Das zweite Argument war politischen Charakters und sollte insbesondere eine Flottenentsendung ins Mittelmeer erschweren. Bezogen auf das Mittelmeer hieß es:
"Eine ständige Präsenz dort - beispielsweise bei der 6. US-Flotte - ist aus Bonner Blickwinkel wenig erwünscht. Es wird auf mögliche Komplikationen im Zusammenhang mit Einsätzen im nationalen amerikanischen Interesse verwiesen" - so die zitierten Offiziere der Hardthöhe.(49)
Es war unverkennbar, daß damit auf die katastrophale US- (und westeuropäische) Truppenpräsenz im Libanon der Jahre 1982/83 und die US-Luftangriffe gegen Libyen aus dem März und April 1986 angespielt wurde - insgesamt Situationen, in die einbezogen zu werden aus Sicht der Bundesmarine wenig attraktiv wäre.
Im September 1987, mehr als drei Monate nach dem Gipfeltreffen von Venedig, erfolgte dann eine erste Entlastungsoperation der Bundesmarine: im Ärmelkanal nahm der Tender Saar den Platz des belgischen Schiffes Zinnia ein, das sich auf den Weg in den Golf gemacht hatte. Der Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Lothar Rühl, erklärte anläßlich dieses Einsatzes, daß "die Bundesregierung derzeit keinen weiteren Marineeinheiten Aufgaben im Einsatzbereich der NATO übertragen" werde. Die Entsendung der Saar sei für die Einsatzbereitschaft im Bündnisgebiet "notwendig und zunächst auch ausreichend."(50)
Diese winzige symbolische Aktion erwies sich politisch offensichtlich sehr bald als unzureichend: bereits einige Tage später meldete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel:
"Die Bundesmarine will erstmals Kampf- und Versorgungsschiffe im Mittelmeer stationieren. Das Bonner Verteidigungsministerium gab jetzt dem Drängen Washingtons nach, im Mittelmeer einen neuen 'ständigen Einsatzverband' der NATO unter deutscher Beteiligung aufzustellen. Die Präsenz soll den Ärger der USA über das deutsche Nein zu einem Kriegsschiff-Einsatz im Persischen Golf dämpfen."(51)
Dieser neuzuschaffende Verband würde die - weiter unten erwähnte - Naval On Call Force Mediterranean der NATO ablösen.
Die Bundesregierung wollte diesen Bericht weder bestätigen noch dementieren, wies allerdings am gleichen Tage darauf hin, daß die Saar und der Minensucher Weilheim von Ende September bis Mitte November im Mittelmeer üben würden. Die Konfusion wurde dadurch nicht vermindert, daß ebenfalls am gleichen Tage von der Hardthöhe verlautbarte, "Schiffe der Bundesmarine werden vorerst nicht im Mittelmeer zum Einsatz kommen".(52)
Zwei Tage später schließlich bestätigte die Bundesregierung "Überlegungen, zur Entlastung der im Golf engagierten NATO-Partner Schiffe der Bundesmarine ins Mittelmeer zu verlegen." Eine solche Operation könne aber nur vorübergehenden Charakter haben. "Eine Schwächung der Nordflanke der NATO sehe er durch einen möglichen Abzug deutscher Schiffe nicht" - so der Staatssekretär Peter Würzbach, zitiert nach der Nachrichtenagentur Reuter.(53)
Am nächsten Tag erteilte Verteidigungsminister Wörner der Fregatte Niedersachsen, dem Zerstörer Mölders und dem bewaffneten Versorgungsschiff Freiburg den Befehl, zur Ersetzung US-amerikanischer Kriegsschiffe ins Mittelmeer auszulaufen. Von Mitte Oktober bis Mitte November sollten diese an Operationen der NATO Naval On Call Force Mediterranean (die zweimal im Jahr für vier Wochen zusammengerufen wird) teilnehmen, um anschließend bis Mitte Dezember dem NATO Marinebefehlshaber Süd (ComNavSouth) in Neapel unterstellt zu werden. Rechtzeitig zu Weihnachten waren die Schiffen dann zurück.(54)
Mitte Januar 1988 machte sich eine weitere Kampfgruppe der Bundesmarine auf den Weg ins Mittelmeer: die Fregatten Emden, Bremen und Lübeck, der Zerstörer Lütjens und das Tankschiff Spessart. Damit unterstanden Anfang 1988 vier der sechzehn bundesdeutschen Zerstörer und Fregatten dem ComNavSouth. Im April wurden dann zwei Schiffe zurückgezogen.(55)
Ende Mai 1988 erklärte der neue Verteidigungsminister Scholz anläßlich der Frühjahrstagung der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel, der Flottenverband der Bundesmarine "werde seinen Aufenthalt verlängern und auch in der zweiten Jahreshälfte präsent bleiben."(56)
Mitte Juni allerdings wurden die verbliebenen Schiffe (die Fregatten Bremen und Lübeck und der Betriebsstofftransporter Harz) abgezogen.(57)
Die Bundesregierung erklärte im September 1988 in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage, daß sich im August dieses Jahres keine Schiffe im Mittelmeer befunden hätten und auch zum Jahresende keine dorthin entsandt werden würden.(58)
Trotzdem verlautete aus sicherer Quelle, daß im September und Oktober Schiffe im Mittelmeer operiert haben.
Aufgrund der Diskussion und der Flottenentsendung war seit Anfang Oktober 1987 das Argument beiseitegeschoben, jede Übernahme zusätzlicher Aufgaben der Marine in weiteren Regionen würde die bisherigen Aufgaben in Nord- und Ostsee schwächen und dort Lücken aufreißen, und gleichzeitig wurden die Argumente ignoriert, die vor einer Entsendung ausgerechnet ins Mittelmeer gewarnt hatten. 1988 schließlich wurde zunehmend klar, daß die Übernahme der neuen Funktionen, die zuerst als nur zeitlich begrenzt bezeichnet worden war, immer mehr an eine dauerhafte Präsenz im Mittelmeer heranreichte.

Die verfassungsrechtliche Debatte
Ein bemerkenswerter Diskussionspunkt bestand in der Frage einer Verfassungsmäßigkeit von Einsätzen der Bundeswehr außerhalb des Geltungsbereichs der NATO. Es wurde oben darauf hingewiesen, daß bis zur Jahresmitte 1987 die offizielle Position der Bundesregierung in dieser Frage von unmißverständlicher Eindeutigkeit war: das Grundgesetz erlaube ausschließlich Einsätze der Bundeswehr zur Verteidigung, und ausschließlich innerhalb des NATO-Geltungsbereichs. Diese Position begann im Spätsommer und Herbst des gleichen Jahres zu zerfasern und fraglich zu werden.
Ausgangspunkt jeder verfassungsrechtlichen Argumentation ist Artikel 87a des Grundgesetzes. In dessen Absatz (1) findet sich die Formulierung: "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf". Dieser reine Verteidigungscharakter wird in Artikel 26 GG (wo "Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten" verboten und unter Strafe gestellt werden) unterstrichen. Artikel 115a GG präzisiert den  Einsatz der Streitkräfte "zur Verteidigung" entsprechend @ 87a, Absatz (1), in dem Sinne, daß die juristische Kategorie des "Verteidigungsfalls" nur dann eintritt, wenn "das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht". Der Verteidigungsbegriff wird hier vom Grundgesetz also insgesamt als einzige Legitimation für den Einsatz der Streitkräfte festgeschrieben - zugleich wird er extrem eng definiert, nämlich als gewaltsamen Angriff auf das eigene Staatsgebiet (nicht auf irgendwelche Interessen). Dieser letzte Aspekt wird durch Artikel 24 (2) relativiert, der die Bundesrepublik ermächtigt, sich an "Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit" zu beteiligen. Im Rahmen der vorherrschenden Verfassungsinterpretation wird dies so gedeutet, daß auf dieser juristischen Grundlage der Beitritt der BRD zur NATO erfolgt sei und möglich war.
Diese Interpretation begreift die NATO als ein "System kollektiver Sicherheit". (Es muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß die wissenschaftliche Literatur Militärbündnisse nicht als "Systeme kollektiver Sicherheit" begreift, da sie militärische "Sicherheit" nur nach außen, gegen angenommene oder tatsächliche Gegner gewährleisten (wollen), nicht aber zwischen den Bündnispartnern, also nach innen. Militärpakte und Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit sind Gegensätze, was bei der Diskussion und Verabschiedung der einschlägigen Grundgesetzbestimmungen durchaus bekannt und auch Gegenstand parlamentarischer Debatte war.)(59)
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das Grundgesetz den Einsatz der Streitkräfte an folgende Bedingungen bindet: 1. sie dürfen weder zum Angriff, noch offensiv eingesetzt werden; 2. der Einsatz zur Verteidigung ist nur statthaft, wenn die BRD oder ihre Verbündeten direkt militärisch angegriffen werden, oder ein solcher Angriff unmittelbar bevorsteht. "Verteidigung" im Sinne des Grundgesetzes ist keine beliebig interpretierbare Leerformel, sondern genau und eng definiert und wörtlich gemeint. Eine Verwendung etwa im Sinne von anglo-amerikanischen Doktrinen von "national security" ist damit ausgeschlossen, auch wenn genau dies von konservativen Grundgesetzkommentatoren immer wieder in Zweifel gezogen wird.
Nun ließe sich das Argument vortragen, daß grundgesetzlich nur bestimmte militärische Einsatzformen geregelt seien, nämlich der "Verteidigungsfall", daß damit aber andere Einsatzformen - solange sie keinen friedensgefährdenden oder aggressiven Charakter (nach Art. 26) hätten, durchaus unternommen werden könnten. Diese Möglichkeit allerdings wird vom Grundgesetz explizit ausgeschlossen: Artikel 87a (2) stellt unmißverständlich fest: "Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt." Solche speziell zugelassenen Einsatzformen gibt es im Grundgesetz aber ausschließlich nach innen: für den Objektschutz, Verkehrsregelung und polizeiliche Aufgaben im Verteidigungs- oder im Spannungsfall. Fazit: jeder Einsatz der Bundeswehr im Ausland, außer zum direkten Abwehr eines militärischen Angriffs, ist verfassungswidrig. Von konservativer Seite wird hier regelmäßig eingewandt, daß bestimmte Einsatzformen keine "Einsätze" im Sinne des Grundgesetzes seien, der Terminus "Einsatz" wird hier interessengeleitet zum kriegerischen Einsatz uminterpretiert und damit extrem eingeengt.
Das grundgesetzliche Verbot jeglicher Out-Of-Area Einsätze gilt offensichtlich auch dann, wenn völkerrechtlich der Einsatz militärischer Machtmittel großzügiger geregelt ist: die juristische Möglichkeit eines militärischen Einsatzes der Streitkräfte aufgrund völkerrechtlicher Bestimmungen schließt natürlich nicht aus, daß ein Staat sich selbst verfassungsrechtlich verpflichtet, nicht alle Möglichkeiten externer Militäreinsätze auch auszuschöpfen. Eine solche verfassungsrechtliche Selbstbeschränkung - und um diese ging es den Verfassern des Grundgesetzes aus bekannten historischen Gründen - ist dann zwar nicht völker- aber doch verfassungsrechtlich bindend.
Vor diesem Hintergrund kann argumentiert werden, daß nicht nur der Einsatz der Bundeswehr im Persischen Golf und ähnliche Einsatzformen verfassungswidrig wären, sondern auch bereits seit langem praktizierte andere Einsatzformen der Bundeswehr außerhalb des Geltungsbereichs der NATO, etwa die Teilnahme an Manövern in der Karibik oder die Entsendung von militärischen Berater- und Ausbildungsgruppen der Bundeswehr in die Dritte Welt im Rahmen der "Ausstattungshilfe". Schließlich dienen diese Einsätze (und Ausbildungseinsätze sind schließlich auch eine Form des Einsatzes) keinesfalls der "Abwehr eines bewaffneten Angriffs" auf die Bundesrepublik oder die NATO und stehen zu einer solchen Abwehr auch in keiner Beziehung. Legal wären diese Einsätze ansonsten nur, "soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt" (nach dem zitierten Artikel 87a GG), was an keiner Stelle auch nur andeutungsweise der Fall ist.
Völlig korrekt ist dagegen die Auffassung, daß der NATO-Vertrag Out-Of-Area Einsätze der Mitgliedsländer keinesfalls verbietet. Er legt in Artikel 5 und 6 den NATO-Geltungsbereich fest, also das geographische Gebiet, in dem der NATO-Fall einer gemeinsamen Verteidigung "gegen einen bewaffneten Angriff" eintritt. Dabei wurde keine Automatik einer militärischen Beistandspflicht vereinbart sondern festgelegt, daß "jede (Vertragspartei; J.H.) von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebietes wiederherzustellen und zu erhalten" (Art. V. NATO-Vertrag). Damit wäre der BRD juristisch gestattet, trotz eines Angriffes auf einen NATO-Bündnispartner von dritter Seite selbst keine militärischen Gegenmaßnahmen anzuwenden. (Ob dies politisch möglich oder sinnvoll wäre, ist hier nicht zu untersuchen.)
Wenn die NATO schon innerhalb ihres Bündnisgebietes keine automatische Beistandsverpflichtung vereinbart hat, so hat sie für denkbare militärische Einsätze außerhalb des Bündnisgebietes kaum Regelungen getroffen, die über Konsultationen bezüglich gemeinsamer Interessen hinausgehen. NATO-Operationen außerhalb des Geltungsbereichs kommen im NATO-Vertrag nicht vor, sie sind daher nicht verboten. Praktisch ist es aber offensichtlich so, daß die NATO-Mitglieder es vorziehen, einzeln oder aufgrund bilateraler Absprachen außerhalb des NATO-Systems ihre Out-Of-Area Operationen vorzunehmen. Dies wird vom NATO-Vertrag nicht behindert oder verboten.
Dies alles berührt das verfassungsrechtliche Verbot für die Bundesrepublik, sich an solchen Militäroperationen zu beteiligen, natürlich in keiner Weise.
Angesichts der so eindeutigen Rechtslage und einem entsprechend klaren Beschluß des Bundessicherheitsrates ist es erstaunlich, wie kontrovers insbesondere seit Mitte 1987 über die Verfassungsmäßigkeit von Out-Of-Area Einsätzen der Bundeswehr gestritten werden konnte.
Ende Juli 1987 erklärte Regierungssprecher Herbert Schmülling mit beträchtlichem sprachlichen Fingerspitzengefühl, daß "ein direkter Einsatz der Bundesmarine im Golf (...) aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich" sei.(60)
So unschuldig diese Formulierung auch war, so ließ sie doch die prinzipielle Möglichkeit offen, daß ein solcher Einsatz möglich sein könnte, wenn er nicht direkt sei - was immer das praktisch bedeuten würde. Möglicherweise wurde dabei an Gedankenspiele in Bonn gedacht, daß etwa als "Ausbildungsfahrt"(61) oder unter ähnlichen Vorwänden eine Flottenentsendung in den Golf legal möglich wäre.
Anfang August 1987 und pünktlich zu einem Besuch Verteidigungsminister Wörners in Washington war es aufgrund gezielter Veröffentlichungen konservativer Zeitungen, die die verfassungsrechtliche Position der Bundesregierung systematisch in Zweifel zogen und dabei durchaus ernsthaft argumentierten - insbesondere in der FAZ(62) - weitgehend gelungen, die bisherige Position mit Fragezeichen zu versehen. In einer dpa-Meldung wurde sie als "unter Rechtsexperten umstritten" gekennzeichnet.(63)
Damit war die Verhandlungsposition gegenüber der US-Regierung wesentlich erschwert, da sich die Bundesregierung bisher fast völlig auf ihre juristische Position verlassen hatte. Bundesaußenminister Genscher bemühte sich denn auch sofort, Schadensbegrenzung zu betreiben und die bisherige Position noch einmal festzuschreiben. Er ließ nämlich keinen Zweifel daran, "daß die verfassungsrechtliche Lage in der Bundesrepublik den Einsatz der Bundesmarine außerhalb des NATO-Gebietes auch in einer multinationalen Streitmacht verbiete".(64)
Es dauerte allerdings nicht lange, bis die traditionelle Position auch aus Kreisen der Bundesregierung selbst in Zweifel gezogen wurde. Den Auftakt machte Verteidigungsminister Manfred Wörner. Nachdem er Anfang August noch gegenüber der US-Regierung vertreten hatte, die bundesdeutsche Verfassung verbiete jeden Out-Of-Area Einsatz, meldete zwei Monate später die Welt:
"In gutinformierten NATO-Kreisen ist zu hören, Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner sei nach einer verfassungs- und völkerrechtlichen Bewertung dieser Frage im Verteidigungsministerium zur Auffassung gelangt, daß es keinen Grund dafür gebe, deutschen Kriegsschiffen die Reise an den Golf zu verwehren. Er habe sich jedoch, obwohl er im NATO-Bereich um politische Unterstützung seiner Ansicht gebeten und diese erhalten habe, beim Auswärtigen Amt und im Kanzleramt nicht durchsetzen können."(65)
Ein bemerkenswerter Bericht, weist er doch darauf hin, daß der damalige Verteidigungsminister gegen die Rechtsposition der eigenen Regierung um Unterstützung der NATO nachgesucht hat - und daß die NATO diese gewährte. Möglicherweise ist darauf zurückzuführen, daß die ablehnende Haltung des Bundeskanzleramtes schnell nachließ.
So ließ sich der außenpolitische Berater des Bundeskanzlers, Horst Teltschik, im Oktober 1987 mit den Worten vernehmen:
"Es gibt längst eine Diskussion unter den Experten, nach der die Interpretation des Grundgesetzes viel mehr Möglichkeiten zuläßt, als im Augenblick dargestellt wird. Aber es ist sicherlich bequemer, sich an eine Auslegung zu halten. Natürlich müssen wir auch berücksichtigen, daß wir bei den internationalen Partnern, die, wenn die Deutschen - im buchstäblichen Sinne des Wortes - wieder aufkreuzen, unterschiedliche Gefühle auslösen. Daher müssen wir es im Verbund tun. Und da gibt es vier Möglichkeiten: die NATO, die UNO, die EG und die WEU. Bei der Frage deutscher Minensuchboote im Golf lag alles auf dem Tisch. Wir haben das diesmal alles noch relativ großzügig beiseite schieben können ..."(66)
Dieser Versuchsballon zielte auf die weitere Öffnung der innenpolitischen Debatte durch die Relativierung oder Bestreitung eines verfassungsrechtlichen Verbots der umstrittenen Einsatzformen mit dem Vorschlag, diese multilateral durchzuführen. Besondere Pikanterie lag darin, daß Teltschik hier mögliche UNO-Einsätze mit entsprechenden der NATO oder gar der EG/WEU auf eine Stufe stellte. Dies würde die spätere Debatte über eine Beteiligung an UNO-Friedenstruppen in einem besonderen Licht erscheinen lassen.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Bundestagsausschusses, der CDU-Abgeordnete Stercken, gab Teltschik sofort Flankenschutz. Er sah "bisher die Frage nicht geklärt, ob die Verfassung eine Beteiligung über den NATO-Bereich hinaus nicht doch zulasse". Eine Minenräumung etwa sei ein "humanitärer Dienst", den man leisten müsse - und dies gelte "für alle Meere".(67)
Ende November wurde ein weiterer Hintergrund für Teltschiks scheinbares Vorpreschen bekannt. Der Spiegel berichtete von einer internen Studie des BMVg, die im Frühjahr von Minister Wörner in Auftrag gegeben worden war, um "unbefangen darüber nachzudenken, wann und unter welchen Bedingungen deutsche Soldaten in Krisengebieten eingesetzt werden könnten. Der Beschluß des Bundessicherheitsrates vom 3. November 1982 (der solche Einsätze bekanntlich aus verfassungsrechtlichen Gründen prinzipiell abgelehnt hatte; J.H.) solle kein Hindernis sein. Es müsse auch das Undenkbare gedacht werden."(68)
Diese Studie wurde Anfang November 1987 fertiggestellt, Mitte Oktober allerdings bereits informell Teltschik zugänglich gemacht. Sie kam zu dem Ergebnis, daß das Grundgesetz eine Entsendung der Bundeswehr Out-Of-Area durchaus gestatte. Dabei blieb man allerdings nicht stehen. Mögliche Fallbeispiele von Einsätzen wurden durchgespielt, etwa gemeinsame Minenräumoperationen mit anderen Staaten oder die Entsendung einer Kampfgruppe unter Beteiligung von Zerstörern und Fregatten. In diesem Zusammenhang formulierte die Studie:
"Je nach Lage entscheidet der Verbandsführer, ob auf hoher See dt. Handelsschiffe durch Geleitsicherung, Gebietssicherung, Informationsgewinnung und/oder -austausch mit deutschen Handelsschiffen und entsprechender Verkehrslenkung geschützt werden.
Dabei müssen u.U. folgende Aktionen für einen wirkungsvollen Schutz unternommen werden: Verhindern des Waffeneinsatzes eines potentiellen Angreifers durch Abdrängen oder Warnen ("Schuß vor den Bug"); eigener Waffeneinsatz zur Abwehr anfliegender Flugkörper oder Flugzeuge; Bekämpfung des gegnerischen Waffenträgers."(69)
Damit war die Diskussion entscheidende Schritte vorangekommen: am Auswärtigen Amt vorbei hatte eine informelle Aktionseinheit hoher Beamter und Militärs aus dem BMVg, Beamter aus dem Kanzleramt, CDU und CSU-Politikern wie Biehle, Strauß, Dregger, Lummer, konservativen und rechten Publizisten, Politikern und Militärs der NATO und der US-Regierung eine Öffnung der Debatte erzwungen, die bis zur Entsendung von Kampfverbänden in das Kriegsgebiet des Persischen Golfs reichte. Alles dies war in bemerkenswert kurzer Zeit erreicht worden: zwischen Juni und Oktober/November 1987.
Dies bedeutete allerdings nicht, daß die Bundesregierung insgesamt oder auch nur das BMVg damit zum Jahresende 1987 zu einer neuen und konsistenten Position gefunden hätten. Trotz aller Debatten erklärte etwa ein Sprecher des Verteidigungsministeriums Ende April 1988, für das BMVg sei "schon aus verfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlossen, daß die Bundesmarine außerhalb des NATO-Gebietes operiert." Es gebe keinen Anlaß, von dieser Position abzurücken.(70)
Mit dieser alten Position wurde US-Verteidigungsminister Frank Carlucci beschieden, der sich erneut mit Wünschen nach einer bundesdeutschen Flottenentsendung in den Golf gemeldet hatte. Das Problem für die Bundesregierung bei der Abwehr solcher Wünsche lag nun allerdings zunehmend darin, daß die verfassungsrechtlichen Argumente durch die selbst entfachte Diskussion immer mehr ausgehöhlt und zunehmend unglaubwürdig wurden - und daß zusätzlich keine neuen Argumente an deren Stelle gesetzt wurden.
Diese Praxis der Untergrabung der eigenen Rechts- (und politischen) Position wurde von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Mai 1988 weitergetrieben, als deren Arbeitsgruppe Außenpolitik bei einer Klausurtagung intensiv darüber nachdachte, wie denn die BRD "größere weltpolitische Verantwortung übernehmen" könne, was auch "für den Einsatz europäischer Truppen außerhalb des NATO-Bereichs" gelte. Von verfassungsrechtlichen Bedenken war hier nicht mehr die Rede.(71)
Der scheidende Verteidigungsminister Manfred Wörner erläuterte, "auf Dauer werde sie Ä die BRD; J.H. Ü sich der internationalen Verantwortung nicht entziehen können."(72)
Und im Juni 1988 erklärte sein Nachfolger und prominente Grundgesetzkommentator, Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz, "die Verfassung enthalte nichts, was einen derartigen Einsatz Ä Out-Of-Area; J.H. Ü verbiete."(73)


Zwischenbilanz zum Frühjahr 1988
Die bisherige Darstellung läßt den Schluß zu, daß die Tendenz der gesamten Debatte und der tatsächlich erfolgten politisch-militärischen Maßnahmen in einer schrittweisen Ausdehnung des Aktionsradius der Bundeswehr über deren traditionelle Einsatzregionen hinaus bestand, bzw. in der Herstellung deren politischen Voraussetzungen. Dies war auf verschiedenen, wenn auch miteinander verflochtenen, Ebenen nachvollziehbar:
1. der Debatte um die Übernahme zusätzlicher Aufgaben durch die Bundesmarine zur Entlastung der NATO-Bündnispartner für deren Operationen im Golf, gleichgültig, wo diese Entlastungen erfolgen sollten. Obwohl solche Einsätze zuerst als "nicht praktikabel" betrachtet wurden, erfolgten sie trotzdem;
2. der Debatte, in welcher Region eine solche Übernahme neuer Aufgaben sinnvoll sei und unternommen werden solle, wobei mit dem Mittelmeer die exponierteste und umstrittenste Variante gewählt wurde, obwohl auch innerhalb der Regierung zuerst starke Bedenken gegen diese Einsatzregion bestanden;
3. der Debatte über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Out-Of-Area Operationen. Von einer einheitlich ablehnenden Position bewegte sich die Bundesregierung hier zu widersprüchlichen Auffassungen, bei denen die zustimmenden Meinungen zunehmend stärker wurden und Außenminister Genscher schrittweise zum letzten Bollwerk der alten Rechtsauffassung wurde - wenn auch die Bundesregierung als Gesamtheit offiziell noch an ihrer alten Position festhielt;
4. der Debatte über eine Entsendung von Schiffen der Bundesmarine in den Golf, wie ständig von der US-Regierung angemahnt. Hier blieb die Bundesregierung ablehnend, schwächte allerdings durch die Untergrabung ihres überragenden Ablehnungsgrundes - der verfassungsrechtlichen Unmöglichkeit solcher Einsätze - ihre Position. Zunehmend lauter werdende Stimmen vom rechten Rand der Union setzten die Bundesregierung allerdings zusätzlich unter Druck.

Die Bundeswehr als UNO-Friedenstruppe?
Das Hauptproblem einer weiteren und systematischen Weiterentwicklung der regionalen und funktionalen Ausweitung der Rolle der Bundeswehr bestand nicht so sehr in einer wirksamen parlamentarischen Opposition - beide Oppositionsparteien erwiesen sich ihren Aufgaben als nur mit Einschränkung gewachsen - sondern in einer breiten und etwas diffusen Ablehnung von Out-Of-Area Operationen durch bundesdeutsche Soldaten in der Öffentlichkeit. Bei einer Umfrage im November 1987 erklärten immerhin 87 % der Bevölkerung, eine Entsendung auch nur von Minenräumern in den Golf - nicht unbedingt die aggressivste und umstrittenste aller denkbaren Einsatzformen - abzulehnen.(74)
Eine "Normalisierung" der militärischen Rolle der Bundeswehr analog zu den Praktiken der Streitkräfte etwa Großbritanniens oder Frankreichs erforderte eine Erhöhung der öffentlichen Akzeptanz einer Out-Of-Area Rolle der Bundeswehr. Ansonsten bestand die latente Gefahr, in eine Situation wie zu Zeiten der Pershing-Stationierung zu geraten, als der sicherheitspolitische Konsens zerbrochen war und die Stationierung gegen den Widerstand und die Ablehnung der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung erzwungen werden mußte. Eine Wiederholung dieser Erfahrung würde unkalkulierbare politische Risiken für die Regierung beinhaltet haben.
Die weitere Ausdehnung der Rolle der Bundeswehr war also in gewissem Maße daran geknüpft, öffentliche Zustimmung oder zumindest Tolerierung zu organisieren. Genau zu diesem politisch-historischen Zeitpunkt erfolgte die Forcierung der Diskussion, ob die Bundeswehr nicht zumindest im Rahmen von UNO-Friedenstruppen außerhalb des NATO-Geltungsbereichs eingesetzt werden könne.
Diese Diskussion war alles andere als neu. Bereits Ende der siebziger Jahre war - etwa am Beispiel einer Beteiligung an den UNO-Truppen im Libanon 1978 - darüber gesprochen worden. Damals hatte sich die Bundesrepublik allerdings auf logistische Hilfe, den Transport von UNO-Truppen durch die Bundesluftwaffe, beschränkt. Regierungssprecher Bölling erklärte damals in Bezug auf eine direkte Beteiligung der Bundeswehr an diesen Verbänden, daß die Bundesregierung solchen Einsätzen "eher ablehnend gegenübersteht".(75)
Ein Jahr später hatte der damalige Verteidigungsminister Hans Apel erklärt, er "erwarte nicht", daß Soldaten der Bundeswehr an Einsätzen der UN-Friedenstruppen teilnehmen, weil "die rechtlichen Barrieren dafür sehr hoch" seien.(76)
Deutlich ablehnender äußerte sich vor ihrem Regierungsantritt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion: ihr damaliger Verteidigungsexperte Willi Weiskirch lehnte UNO-Einsätze der Bundeswehr rundweg ab und begründete dies unter anderem mit dem Hinweis, "derartige Pläne widersprächen dem Grundgesetz". Ein entsprechendes Drängen des damaligen UNO-Botschafters von Wechmar wies er zurück.(77)
Die neue Diskussion, die durch die massive westliche Flottenpräsenz im Golf in Gang kam, veränderte die traditionellen Argumente zunehmend.
Insgesamt lassen sich in der recht unübersichtlichen Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von UNO-Friedenstruppen mehrere Argumentationsstränge identifizieren:
1. erneut verfassungsrechtlich begründet Argumente, die je nach Standort einen solchen Einsatz ausschlossen oder erlaubten;
2. Argumente, die aus grundsätzlichen Erwägungen eine Stärkung der UNO beabsichtigten, und militärische Beiträge zu deren Unterstützung aus friedenspolitischer Sicht vorschlugen;
3. Argumente, die von der konkreten Lage in einem speziellen Krisengebiet ausgingen (etwa Mittelamerika, dem Golf oder Namibia) und ihre Position mit Hinweisen begründeten, ob und was Bundeswehreinheiten als UNO-Truppen im konkreten Einzelfall positives oder negatives bedeuten würden;
4. Argumente, die auf die weitere Notwendigkeit von Kompensationsmaßnahmen und andere Unterstützungsformen für die USA ausgingen, und die militärische Einsätze im Rahmen der UNO für den Weg des geringsten Risikos hielten;
5. Argumente, die auf der Einschätzung der beträchtlichen bundesdeutschen Außenhandels- und Rohstoffinteressen beruhten, eine allgemeine Vergrößerung der außenpolitischen Rolle der Bundesrepublik feststellten, und von daher zu einer "Übernahme größerer Verantwortung" im internationalen Rahmen gelangten; und
6. Argumente, die militärische Einsätze im Ausland, auch außerhalb der NATO, für selbstverständliche Maßnahmen der Wahrung eigener Interessen hielten und erklärten, die BRD könne und brauche sich nicht länger anders zu verhalten, als etwa Frankreich und Großbritannien. In diesem Zusammenhang wären UNO-Einsätze nur ein nützlicher Zwischenschritt zur Erreichung allgemeiner militärischer Handlungsfreiheit.
Entsprechend der Komplexität der miteinander verschränkten Argumentationsmuster verlief die Diskussion nicht an Parteigrenzen oder zwischen geschlossenen Blöcken von Regierungslager und Opposition, sondern quer zu den Parteilinien.
Zum Jahresende 1987 brachte der CSU-Politiker und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Alfred Biehle, eine Beteiligung der Bundeswehr an Friedenstruppen der Vereinten Nationen ins Spiel. Dabei brachte er zwei Argumente für seine Auffassung vor: einmal dürfe die Bundesrepublik sich "nicht länger verschließen, sofern es im Interesse Europas liegt." Zum anderen machte er die Verbindung zur laufenden Debatte um Out-Of-Area Einsätze und mögliche Kompensationsmaßnahmen für Einsätze der NATO-Verbündeten deutlich, wenn er formulierte: "Wir müssen künftig auch mit unserer Bundeswehr für US-Soldaten bei den Friedenstruppen der Vereinten Nationen einspringen."(78)
Diese Bemerkung war um so erstaunlicher, als zum Ende der achtziger Jahre die USA der UNO keinerlei Truppen zur Verfügung stellen, für die man "einspringen" könnte.
Die Verbindung der beginnenden Diskussion um eine Beteiligung an UNO-Truppen mit der Diskussion um Out-Of-Area Einsätze am Golf war bereits im August 1987 deutlich geworden, als der italienische Außenminister Andreotti seinem bundesdeutschen Kollegen Genscher telefonisch vorgeschlagen hatte, ein multinationales Minenräumkommando unter der Flagge der Vereinten Nationen in den Golf zu schicken, um die politischen Schwierigkeiten einer solchen Maßnahme zu umgehen.(79)
Außenminister Genscher hatte diesen Vorschlag sofort abgelehnt, während der SPD-Abgeordnete Hermann Scheer zwei Monate später selbst vorschlug, die Sicherung der Schiffahrtsrouten einer Flotte der Vereinten Nationen zu übertragen.(80)
Ende April 1988 flammte die Diskussion erneut auf. Der SPD-Abgeordnete Norbert Gansel regte an, daß Grundgesetz zu ändern, um auf diese Weise die juristische Grundlage für einen Einsatz der Bundeswehr innerhalb von UN-Friedenstruppen zu schaffen. Auf dieser Grundlage könne die Bundesmarine dann auch im UNO-Rahmen im Golf operieren.(81)
Der SPD-Verteidigungsexperte und Abgeordnete Andreas von Bülow sprach sich kurz darauf für eine Beteiligung an UNO-Friedenstruppen etwa in Mittelamerika, aus und begründete dies damit, daß die Bundesrepublik sich "40 oder 50 Jahre nach Kriegsende" solchen Einsätzen nicht länger entziehen solle. Nach Bülow ginge es dabei ohnehin nur um "Sachverstand, nicht um eine Sicherungsfunktion". Schließlich würde der Einsatz im Rahmen von UNO-Truppen den regionalen Staaten einen gewissen Schutz vor den Eigeninteressen der Großmächte bieten.(82)
Ein Sprecher der Hardthöhe erklärte lakonisch, ein Einsatz bundesdeutscher Soldaten im Rahmen eines Kontingentes der UN-Friedenstruppen sei "völlig ausgeschlossen".(83)
Kurz darauf wurde diese Position von Regierungssprecher Ost und von Bundesaußenminister Genscher bekräftigt. Ein Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Geltungsbereiches sei auch im Rahmen einer Friedenstruppe der UNO "nicht vorgesehen und nicht möglich".(84)
Die Diskussion verlief aber nicht allein zwischen Regierung und Opposition, und auch nicht in dem Sinne, daß die SPD für den Einsatz als Friedenstruppe gewesen sei, und die Regierungsparteien dagegen.
Der FDP-Politiker Olaf Feldmann argumentierte, die Bundeswehr als Teil einer UNO-Truppe - etwa in Mittelamerika - könne dazu führen, daß "die Großmächte sich mehr aus den Krisengebieten heraushielten" und würde die UNO stärken.(85)
CDU/CSU-Abgeordnete mochten da nicht Abseits stehen: die Parlamentarische Staatssekretärin im BMVg, Agnes Hürland-Büning, die außenpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michaela Geiger und der scheidende Verteidigungsminister Manfred Wörner unterstützten diese Vorschläge. Die benutzten Begrifflichkeiten reichten von "vorurteilsfreier Prüfung" - als wären verfassungsrechtliche Verbote schlichte "Vorurteile" - über die Bemerkung, die Bundesrepublik werde sich "auf Dauer der internationalen Verantwortung nicht entziehen können", bis zur unmißverständlichen Erklärung von Frau Geiger: Die Bundeswehr dürfe "keinen anderen Status haben als die Truppen der Verbündeten."(86)
Frau Geiger fügte das Argument an, durch einen Einsatz der Bundeswehr innerhalb von UNO-Truppen seien auch "die Amerikaner (zu) unterstützen, was zu deren Enttäuschung in der Vergangenheit oft unterblieben sei".(87)
Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Hans Stercken, trug im Juli 1988 das Argument nach: "Als eine der großen Nationen der Welt können wir nicht immer nur über den Frieden reden, uns aber ausklammern, wenn es um die konkrete Sicherung des Friedens geht." Deshalb solle die Bundeswehr sich an einer Friedenstruppe der UNO zur Überwachung des Waffenstillstandes am Persischen Golf beteiligen.(88)
Der August des gleichen Jahres brachte eine beachtliche Intensivierung der Debatte, insbesondere innerhalb der SPD. Der Monat wurde allerdings mit einer erneuten Stellungnahme des Bundesverteidigungsministers, Rupert Scholz, eröffnet:
"Bisher hat sich die Bundeswehr nicht direkt an friedenssichernden Operationen der UNO beteiligt, sondern auf Hilfeleistungen im humanitären Bereich beschränkt. Wir sind uns aber als eine der führenden Handelsnationen der Welt unseren Verpflichtungen in der Gemeinschaft der westlichen Industrienationen und der UNO durchaus bewußt und werden im konkreten Fall unsere Entscheidung nach Recht, Gesetz, Bündnistreue und politischer Zweckmäßigkeit entsprechend treffen."(89)
Da Scholz bereits zuvor öffentlich erklärt hatte, das Grundgesetz verbiete den Einsatz der Bundeswehr als UNO-Friedenstruppe nicht, und auch seine Auffassung von "Bündnistreue und politischer Zweckmäßigkeit" durchaus bekannt waren, machte er damit öffentlich klar, daß er die amtliche Position der Bundesregierung zu dieser Frage nicht teilte. Korrekterweise interpretierte der Sprecher des BMVg, Horst Prayon, die Worte seines Ministers mit dem Hinweis, dieser "habe die Frage des UNO-Friedenseinsatzes für die Bundeswehr nicht verneint, er habe die Option offengehalten."(90)
Mitte August wurde bekannt, daß sich eine Arbeitsgruppe im Rahmen der SPD-Bundestagsfraktion um die Abgeordneten Scheer, Gansel, Voigt und Bahr nachdrücklich für einen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von UNO-Truppen aussprach. Diese wünschbare Möglichkeit sei zur Zeit allerdings verfassungsrechtlich ausgeschlossen, daher solle das Grundgesetz entsprechend geändert werden.(91)
Die Gruppe arbeite an einem Gesetzentwurf, der Out-Of-Area Einsätze ausschließlich im Rahmen der UNO erlauben würde. Zur Begründung wurden im wesentlichen die folgenden Argumente vorgetragen: einmal solle die UNO als übernationale Instanz zur Krisenlösung gestärkt werden, sowohl aus prinzipiellen Erwägungen heraus, als auch zur Eindämmung des Einflusses der Supermächte in regionalen Konfliktherden; zweitens stelle diese UNO-Beteiligung einen Beitrag zur Normalität der außenpolitischen Lage der BRD dar, in den Worten von Egon Bahr werde "dies der Bundesrepublik Gewinn an Souveränität und Normalität bringen".(92)
Drittens wurde argumentiert, daß aufgrund dieses Vorschlages einer entsprechenden Grundgesetzänderung endgültig festgeschrieben werden könne, sämtliche nicht-UNO bezogenen Out-Of-Area Einsätze eindeutig verfassungsjuristisch auszuschließen und damit der laufenden Debatte den Boden zu entziehen.(93)
Nachdem zu diesem Vorstoß innerhalb der SPD eine heftige Debatte entbrannte - Fraktionssprecher Sepp Binder machte deutlich, daß die Abgeordneten nicht die Position der Fraktion oder auch nur ihres zuständigen Arbeitskreises vertreten hatten - meldete sich noch einmal Egon Bahr zu Wort:
"Die Bundesrepublik (im Original irrtümlich: "Die Bundeswehr"; J.H.) sollte sich langsam wie ein normaler Staat mit allen entsprechenden Verpflichtungen als Mitglied der Vereinten Nationen benehmen." Ein Ja zur Beteiligung an UNO-Friedenstruppen gehöre dazu, und er plädiere dafür diese prinzipielle Entscheidung rasch zu fällen und sie eindeutig im Grundgesetz zu verankern.(94)
Diese Diskussionen in der SPD-Fraktion führten zu entsprechenden Vorstößen in der CDU/CSU. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß sprach sich ebenfalls für eine Beteiligung an UNO-Truppen aus Gründen außenpolitischer Normalisierung aus - wobei er an Argumenten aus der SPD anknüpfte, aber deutlich über sie hinausging. 43 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sollten "wir uns benehmen wie ein normales Mitglied der Völkerfamilie". Es sei eine "Blamage" für die BRD, daß die Bundesmarine nicht zum Schutz der freien Schiffahrt im Golf beitrage. Eine Änderung des Grundgesetzes sei allerdings für eine Teilnahme an UNO-Truppen nicht erforderlich, da es um keinen "Kampfeinsatz" gehe. Die BRD habe als Mitglied der UNO "alle Verpflichtungen aus der UNO-Mitgliedschaft übernommen", und die Forderung nach einer Änderung des Grundgesetzes als Voraussetzung einer Beteiligung an Friedenstruppen sei "ein Feigenblatt, mit dem man seine eigene Entschlußlosigkeit verbirgt."(95)
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Horst Ehmke hielt von den Diskussionsanstößen seiner jüngeren Fraktionskollegen nichts. Ende August 1988 ging er mit einer umfangreichen und gründlichen Presseerklärung an die Öffentlichkeit, deren Kritik an Deutlichkeit keine Wünsche offen ließ. Nach längeren Abhandlungen über Funktionen und Probleme der UNO und deren Friedenstruppen kam er zum Punkt:
"Der Vorschlag ist also außenpolitisch verfehlt. Außerdem ist er noch innenpolitisch treuherzig. In der internen Diskussion habe ich von Anfang an davor gewarnt, daß ein solcher Vorschlag keinesfalls zu der geplanten Grundgesetzänderung führen, sondern lediglich die Hemmschwelle der bisher übereinstimmenden verfassungsrechtlichen politischen Ablehnung senken oder beseitigen werde. Und so tönt es denn, wie vorauszusehen war, aus der Union - von Strauß über Scholz bis zu Wimmer und Lamers - freudig zurück: der Vorschlag sei politisch ganz prima, aber seine Gesetzesänderung sei gar nicht erforderlich, das ginge alles auch so. Und dabei solle der UNO-Einsatz natürlich nur der erste Schritt sein, einen militärischen Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Vertragsbereiches des Bündnisses allgemein zu ermöglichen.
Der insoweit bereits eingetretene Schaden ist nicht mehr ungeschehen zu machen."(96)
Die SPD-Abgeordnete Katrin Fuchs und - in vorsichtigen, wohlgesetzten Worten - der SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Hans Jochen Vogel nahmen daraufhin öffentlich ähnliche Positionen ein,(97) während der Ehrenvorsitzende Willy Brandt Anfang September seinen Freund Bahr und die Gruppe um Scheer unterstützte.(98)
Am gleichen Tag wurde diese Frage SPD-intern auf derem Bundesparteitag in Münster entschieden und damit die Diskussion vorläufig abgeschlossen: die SPD erklärte mit großer Mehrheit jeden militärischen Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Vertragsbereiches des Bündnisses für verfassungswidrig. Dies gelte auch für UNO-Friedenstruppen, an denen jede Beteiligung abgelehnt wurde.(99)
(Am Rande vermerkt sei hier allerdings der oft übersehene Tatbestand, daß damit nur "militärische Einsätze" der Bundeswehr ausgeschlossen wurden, nicht "Einsätze" insgesamt - womit weiter Interpretationsspielraum offengelassen wurde.)
Parteiintern war die Frage damit vorerst allerdings erst einmal entschieden, die Gruppe um Scheer machte aber klar, daß sie ihre Auffassung weiter vertreten und auf eine Änderung der Position hinarbeiten werde - so etwa Karsten Voigt bei einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen in Bonn, Ende Oktober 1988.(100)
Damit war die Diskussion vorerst vertagt.

UNO-Truppen als Zwischenschritt auf dem Weg zur "normalen" militärischen Mittelmacht?
Die Debatte um eine Beteiligung an UNO-Friedenstruppen durch die Bundeswehr wurde insgesamt aus zwei Richtungen geführt: einmal aus der Perspektive, wie man die Vereinten Nationen und ihre friedensfördernden Aktivitäten durch die Bundesrepublik möglichst umfassend unterstützen könne. Von hier aus war der Vorschlag einer Beteiligung an UNO-Truppen nur plausibel, insbesondere wenn man dieses Argument mit Hinweisen auf mögliche Einsätze in bestimmten Krisenregionen (etwa in Mittelamerika) verband. Diese Argumentationsweise ist zweifellos ehrenwert und nicht leichtfertig von der Hand zu weisen. Eine Stärkung der UNO und deren Rolle zur Konfliktreduzierung in bestimmten Regionen ist tatsächlich durchaus sinnvoll. Auch der Einsatz von UNO-Friedenstruppen - die ja keinerlei Kampfauftrag haben - ist in vielen Situationen durchaus sinnvoll.(101)
Das Problem mit dieser Position besteht allerdings im politischen Zusammenhang der Diskussion in der Bundesrepublik. Wir haben oben gesehen, daß völlig unabhängig von der UNO-Frage in der Bundesrepublik eine massive Tendenz in Gang gekommen war, die bisherigen Restriktionen der Bundeswehr bezüglich von Einsätzen im Out-Of-Area Bereich aufzuweichen oder aufzuheben. Dieses Drängen erfolgte nicht nur vom rechten Flügel der CDU/CSU, vertreten etwa durch Namen wie Strauß, Dregger, Lummer und Wörner, sondern auch vom liberaleren CDU-Flügel. Horst Teltschik hatte bereits im Oktober 1987 - wie oben zitiert - mögliche UNO-Einsätze der Bundeswehr offensiv mit Einsätzen im Rahmen von NATO und WEU in Verbindung gebracht und diese auf eine Stufe gestellt. Und der Abgeordnete Karl Lamers erklärte Ende Oktober 1988, daß Einsätze im Rahmen der UNO von anderen Formen des Einsatzes im Out-Of-Area Bereich "natürlich" nicht zu trennen seien. Er nannte als Beispiel, daß die Bundesregierung etwa in einer Situation, in der Frankreich mit seiner Militärintervention im Tschad in Schwierigkeiten geriete, die Bundeswehr dem engen Verbündeten zumindest mit Transportkapazitäten helfen müsse. Man könne keine immer engere Militärkooperation mit Frankreich anstreben, zugleich sich aber aus solchen Einsatzformen heraushalten.(102)
Der liberale CDU-Abgeordnete Lamers stand mit solchen Auffassungen in seiner Fraktion nicht allein, er vertrat vielmehr die vorherrschende Grundstimmung. Der außenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Ortwin Lowack, war etwa der gleichen Meinung, wenn er diese auch in allgemeineren Kategorien formulierte:
"Die Bundesrepublik Deutschland muß entsprechend ihrer wirtschaftlichen Stärke mehr Verantwortung in der Welt übernehmen und muß in diesem Zusammenhang auch über einen militärischen Beitrag im Rahmen internationaler Friedensmissionen nachdenken. (...) Wenn die Bundesrepublik Deutschland im Kreis der westlichen Nationen als Gleiche unter Gleichen auftreten will, (eine andere Formulierung für "Normalität"; J.H.) muß sie auch irgendwann einmal bereit sein, nicht nur im NATO-Gebiet Aufgaben zu übernehmen. (...) Wenn Niederländer, Belgier oder Italiener es als ihre Pflicht erkennen, ihren Beitrag zu der schwierigen Frage des Minenräumens in einem gefährlichen Gebiet (dem persischen Golf; J.H.) zu leisten, kann sich die Bundesrepublik Deutschland als Exportland Nr. 1, das auf die Freiheit des Handels und der Weltmeere angewiesen ist, nicht ähnlichen Verpflichtungen für immer entziehen."(103)
Dieses Argumentationsmuster ist deshalb ebenso aufschlußreich wie typisch, da es mehrere Elemente untrennbar miteinander verband: die Bejahung der Beteiligung an UNO-Friedenstruppen (wobei sogar nur von "internationalen Friedensmissionen" die Rede ist, nicht einmal explizit von der UNO), der Beteiligung an anderen, nicht an "internationale Friedensmissionen" gebundene Einsätze Out-Of-Area und der Hinweis auf die außenwirtschaftlichen Interessen der BRD und das Bedürfnis, als "Gleiche unter Gleichen" im Kreis der westlichen Nationen auftreten zu wollen. In dieser Logik konnten UNO-Einsätze tatsächlich nur ein erster Schritt zu umfassender "Normalisierung" der Außenbeziehungen sein.
In FDP und SPD wurden solche Überlegungen nicht im vollen Umfang geteilt, sie lagen allerdings gelegentlich in der Konsequenz einiger Äußerungen. Wer etwa wie Egon Bahr und andere einer "Normalität" bundesdeutscher Außen- und Militärpolitik das Wort redete, der mußte sich fragen lassen, worin "Normalität" im Gegensatz zum gegenwärtigen Zustand bestehen solle. Das "Unnormale" bundesrepublikanischer Außenpolitik besteht nicht zuletzt in der politischen und juristischen Einschränkung der militärischen Handlungsmöglichkeiten im Ausland als Resultat des Zweiten Weltkrieges. Diese Restriktionen aufzuheben kann unter friedenspolitischen Gesichtspunkten keinesfalls wünschbar sein - es käme gerade darauf an, auch andere Staaten davon zu überzeugen, sich eine entsprechende militärpolitische Selbstbeschränkung aufzuerlegen.
Insgesamt muß also die Existenz einer starken Strömung bundesdeutscher Politik konstatiert werden, die sich die Aufhebung der traditionellen Beschränkungen der militärischen Handlungsfreiheit (auch) Out-Of-Area zum Ziel gesetzt hat. Die beiden Haupthemmnisse solcher Vorstellungen waren die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten und die weit verbreiteten Widerstände in der Bevölkerung gegen eine Ausweitung der militärischen Operationen. Die UNO-Truppendiskussion diente in diesem politischen Zusammenhang der Aufweichung der bisherigen Zurückhaltung durch erstens: die Wahl des verfassungsrechtlich geeignetsten Ansatzpunktes (Truppenentsendung im Rahmen der UNO könnte nach dem Artikel 24 GG noch am ehesten erlaubt sein, wenn auch selbst daran beträchtliche Zweifel nötig sind), und zweitens: dem Versuch der politischen Legitimierung zusätzlicher Funktionen der Bundeswehr im Out-Of-Area Bereich, da deren UNO-Einsätze noch am wenigsten zu kritisieren wären. UNO-Friedenstruppen der Bundeswehr wären in diesem Zusammenhang nicht allein nach dem konkreten Nutzen und Schaden im spezifischen Einzelfall zu bewerten, sondern als "Türöffner" für zahlreiche weitere Einsatzformen, etwa im NATO-Rahmen, in Abstimmung mit der WEU, in bilateraler Koordination mit etwa den USA oder Frankreich oder - in letzter Konsequenz und auf längere Sicht - auch unilateral. Maurizio Cremasco hatte zu Recht darauf hingewiesen, daß "... der Schirm der UNO innenpolitisch hilft, eine Politik der Out-Of-Area Intervention leichter zu rechtfertigen."(104)
So sinnvoll der Einsatz von UNO-Friedenstruppen prinzipiell in zahlreichen Krisenherden der Welt auch ist, so sollte ein Einsatz bundesdeutscher Militäreinheiten in diesem Rahmen trotzdem nachdrücklich abgelehnt werden. Auf die verfassungsrechtlichen Restriktionen des Grundgesetzes dabei hinzuweisen ist ratsam, eine alleinige oder überwiegende juristische Argumentation aber unangebracht: es existieren genügend politische Gegenargumente von Gewicht, als daß man sich völlig auf die Ebene des Verfassungsrechts zu reduzieren brauchte.

Der Persische Golf als Ausgangs- und Bezugspunkt der Diskussion um Out-Of-Area Einsätze der Bundeswehr (105)
Abschließend haben wir erneut auf den Ausgangspunkt der Diskussion in der Bundesrepublik zurückzukommen, auf den Konflikt am Persischen Golf und die beträchtliche westliche Militärpräsenz in der Region, insbesondere vom Frühjahr 1987 bis zum Sommer 1988. Die Diskussion um Out-Of-Area Einsatzformen der Bundeswehr geschieht ja selten abstrakt, sondern wird von konkreten Einsatzoptionen geprägt. Im vorhandenen Fall verlief die Debatte - und der Entscheidungsprozeß - auch deshalb so widersprüchlich, weil sie im Schnittpunkt unterschiedlicher Interessensebenen lagen. Einmal galt es offensichtlich, den Schaden oder Nutzen entsprechender Einsätze für die Bundesrepublik in der konkreten Situation im und am Golf abzuschätzen und dabei die eigenen außenpolitischen Vorstellungen und Konzeptionen einzubeziehen. Zweitens lag ein Fall komplizierter bündnispolitischer Abwägung vor: nicht nur das massive Drängen der US-Regierung war in Rechnung zu stellen, auch die Auffassungen der anderen westeuropäischen Regierungen (auf EG- und WEU-Ebene) zu berücksichtigen. Drittens wurde bereits auf die innenpolitische Dimension der Entscheidung verwiesen, die die Frage des zukünftigen außenpolitischen Selbstverständnisses einschloß.
Auf die beiden ersten Punkte soll hier noch thesenhaft eingegangen werden.

Die bundesdeutsche Außenpolitik geht unter der Führung von Bundesaußenminister Genscher davon aus, daß den Interessen der BRD als Handelsmacht nicht unbedingt durch den Einsatz militärischer Mittel am Besten genützt wird. Insbesondere der Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung kann - nach dieser Sichtweise - häufig durch rein ökonomische und diplomatische Mittel (notfalls angereichert durch gezielte Rüstungsexporte) besser Geltung verschafft werden, als durch Versuche militärischer Versorgungssicherung. Die existentielle Notwendigkeit der meisten erdölexportierenden Staaten, ihr Öl tatsächlich zu exportieren, braucht militärisch nicht abgesichert zu werden. Insbesondere die Konfliktparteien am Golf benötigten zur Fortsetzung des Krieges die Aufrechterhaltung ihrer Exporte, die Schiffahrt im Golf lag daher insbesondere im Interesse des Iran. In dieser Lage größere Marineeinheiten mit implizit oder offen anti-iranischer Stoßrichtung in den Golf zu entsenden, würde den Ölfluß und die Freiheit der Schiffahrt daher kaum fördern, eher ein weiteres Element der Destabilisierung in die Region einführen (was auf Einsätze von Minenräumern noch am wenigsten zuträfe). Von dieser Ausgangslage - die nicht von allen Politikern im Regierungslager geteilt wurde - ausgehend, konnte man die US-Flottenentsendung (und in wesentlich geringerem Maße die französische) nicht für sonderlich hilfreich halten. Die im Anfangskapitel dieses Papieres angeführten Gründe der USA für ihre Politik (etwa die innen- und außenpolitische Kompensation des Contragate-Skandals) trafen auf die Bundesrepublik ausnahmslos nicht zu. Von hier aus war eine konzeptionelle Differenz zwischen BRD und USA kaum zu vermeiden.
Diese Linie konnte die BRD deshalb mit besonderer Sicherheit aufrechterhalten, weil sich die Alternative zwischen militärischer und nicht-militärischer Einflußsicherung in dieser Schärfe nie stellen würde: die USA würden ohnehin notfalls durch militärische Maßnahmen westliche Interessen am Golf vertreten oder erzwingen, so daß die internen bundesrepublikanischen Zweifel (im Auswärtigen Amt und Teilen der SPD) niemals in die Gefahr gerieten, für das Bündnis insgesamt praxisrelevant für eine Gesamtstrategie zu werden.
Zweitens lehnte das Auswärtige Amt eine Entsendung eigener Militäreinheiten auch deshalb ab, weil damit die wichtigste bundesdeutsche Trumpfkarte in der Region untergraben worden wäre: die besonderen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran. BMA Genscher und das Auswärtige Amt tendierten zu einer vorsichtigen Vermittlungsrolle im Golfkrieg, zumindest zu einer Politik, den Iran nicht zu isolieren und in die Knie zwingen zu wollen, sondern ihm durch Berücksichtigung seiner Interessen einen Weg zum Waffenstillstand offenzuhalten, der nicht in Kapitulation bestünde. Genschers erfolgreiche Aktivitäten im Zusammenhang mit der Resolution 598 des UNO-Sicherheitsrates sind ein treffendes Beispiel. Solange die USA, Frankreich, die Sowjetunion und andere stärker den Irak unterstützten, erschien es doppelt wichtig, daß zumindest Bonn seine besonderen Beziehungen zum Iran niemals abbrechen ließ. Ein Aufmarsch der Bundesmarine im Golf an der Seite der USA wäre für diese Bestrebungen von verheerenden Folgen gewesen.
Die Schwierigkeit dieser Politik lag allerdings in der Abstimmung taktischer zu strategischen Zielen, die gelegentlich in Widerspruch gerieten: während diese Linie einer informellen "Arbeitsteilung" im Bündnis nahekam und insofern offensichtlich im "gesamtwestlichen" Interesse lag, indem wichtige NATO-Länder in beiden Kriegsparteien über vorzügliche Verbindungen und Einflußmöglichkeiten verfügten und auch vom Wiederaufbau nach dem Krieg profitieren würden, brachen auf einer kurzfristig-taktischen Ebene nicht selten Widersprüche zwischen USA und BRD auf, da die Reagan-Administration zumindest nach außen einer deutlich anti-iranischen Linie folgte und sich dabei stärkere Unterstützung durch die Regierung Kohl gewünscht hätte.
Eine Entsendung der Bundesmarine in den Golf wäre daher aus Sicht des Auswärtigen Amtes insgesamt sowohl unter konzeptionellen, als auch unter dem Gesichtspunkt der regionalen Interessenstruktur der BRD kontraproduktiv gewesen - unabhängig von allen Fragen des Verfassungsrechts. Die verfassungsrechtliche Argumentation war primär für den externen Konsum - als Barriere gegen US-Ansprüche - denn als substantielle Position oder für die innenpolitische Debatte gedacht.
Vor dem Hintergrund dieser Wahrnehmung der eigenen Interessen ist nicht nur das hohe Gewicht der verfassungsrechtlichen Argumentation zu verstehen, sondern auch die widersprüchliche und halbherzige Praxis der Kompensation alliierter Golfeinsätze innerhalb des Bündnisgebietes. Eine einfache Ablehnung der Bundesregierung, sich an den Flottenentsendungen in den Golf zu beteiligen, wäre bündnispolitisch sehr kostspielig gewesen. Die Verstimmung der US-Regierung in Verbindung mit zunehmender Kritik im Kongreß und der US-Öffentlichkeit an den westeuropäischen Verbündeten, die den USA die Sicherung ihrer Energieversorgung am Golf überließen und militärpolitisch zunehmend auf Kosten der USA lebten, waren von beträchtlicher potentieller politischer Sprengkraft. Die Debatte in den USA um eine Veränderung der "Lastenteilung im Bündnis" bis zu immer wieder auftauchenden Vorschlägen und Forderungen eines (Teil-) Truppenabzuges aus Europa und die Gefahr, daß militärpolitische Fragen und Diskrepanzen einmal mit den handelspolitischen Konflikten verknüpft werden könnten und dann unlösbar würden (was bis heute beide Seiten zumindest in der Öffentlichkeit peinlich vermieden haben) ließen es der Bundesregierung (und zwar nicht nur dem Auswärtigen Amt, sondern auch dem Kanzleramt und dem BMVg) angeraten erscheinen, nach Wegen eines zumindest teilweisen Entgegenkommens zu suchen, ohne die eigenen Grundpositionen aufzugeben.
Die Notwendigkeit wurde dadurch verstärkt, daß sich die Bundesrepublik in dieser Frage nicht auf Unterstützung ihrer westeuropäischen Partner verlassen konnte, sondern auch dort zunehmend in die Isolation geriet. Frankreich und Großbritannien verfügten ohnehin in der Region Persischer Golf/Golf von Oman/Indischer Ozean über eine traditionelle Flottenpräsenz, so daß deren Politik durch das Drängen aus Washington nicht prinzipiell umgestellt zu werden brauchte. Großbritannien verfolgte unter Premierministerin Thatcher darüberhinaus eine Politik der besonderen Nähe zur US-Regierung, und beide europäischen Länder waren aus unterschiedlichen Gründen deutlich anti-iranisch orientiert. Die BRD geriet im Sommer 1987 in die wenig attraktive Situation, als einziges Mitgliedsland der WEU eine Entsendung militärischer Einheiten in den Golf abzulehnen - selbst Luxemburg beteiligte sich, wie erwähnt, mit einer geringen personellen Präsenz im Rahmen der anderen Benelux-Länder. In dieser Lage sich auf eine völlig Ablehnung jedweder Unterstützung der Golf-Operation der Verbündeten zu beschränken, erschien aus Sicht der Bundesregierung wenig angebracht.
Das Ergebnis dieses Dilemmas war die Entsendung der Bundesmarine zur Übernahme zusätzlicher Funktionen in den Ärmelkanal und ins Mittelmeer. Wenn dies auch militärischen Fachleuten im BMVg als unsinnig und riskant erschien, so handelte es sich doch um einen bürokratischen Kompromiß, der  aus der Notlage unter Gesichtswahrung einen Ausweg bedeutete. Daß die Hauptfunktionen der Bundesmarine in Nord- und Ostsee leiden würden, wäre in Friedenszeiten zu verschmerzen, und daß die Entsendung von Schiffen ins Mittelmeer unter praktischen und militärischen Erwägungen im günstigsten Fall sinnlos war, das war relativ unerheblich: es handelte sich schließlich um ein politisches Symbol, um die Demonstration der "Solidarität" mit den Bündnispartnern.
Innerhalb dieses Argumentationszusammenhangs und unter den wahrgenommenen außenpolitischen Zwängen war dieses Verhalten plausibel und zweckrational. Eine andere Politik, die sich stattdessen am Primat friedenspolitischer Notwendigkeiten orientiert hätte, wäre nur zum Preis eines Bruches der Bündnissolidarität durchführbar gewesen. Nicht direkt oder indirekt in Out-Of-Area Operationen der wichtigsten Verbündeten hineingezogen zu werden oder an deren Dritte-Welt-Interventionen beteiligt zu sein, würde Schritte in Richtung auf eine deutlich andere außenpolitische Orientierung der Bundesrepublik bedeuten, in der außenpolitische Selbstbeschränkung und friedenspolitische Notwendigkeiten höher rangieren als die Schadensbegrenzung im Bündnis, und in der eine offene Konfliktbereitschaft innerhalb der NATO zur Erreichung dieser Zwecke auf die Tagesordnung gesetzt würde.
Stattdessen gewährte uns diese Fallstudie bundesdeutscher Außenpolitik den Blick auf eine Praxis, die sich im Rahmen vorgegebener Politikraster mit defensiver Problemverwaltung begnügt, in diesem Rahmen neben den beschriebenen Widersprüchlichkeiten und Differenzen innerhalb der Bundesregierung streckenweise recht tüchtige Lösungen findet und schrittweise - teils gewollt, teils naturwüchsig - bei Positionen landet, die den militärischen Aktionsradius der Bundeswehr innerhalb des Bündnisgebietes und Out-Of-Area immer mehr ausweiten. Sie ermöglicht daher Schritte einer schleichenden Remilitarisierung bundesdeutscher Außenpolitik - auch gegenüber der Dritten Welt - deren längerfristige Konsequenzen sich noch kaum überblicken lassen. Die Bundesregierung hat widerstrebend einen Weg betreten, in dem es in Zukunft immer schwerer möglich sein wird, dem Drängen der USA (mittelfristig auch Frankreichs oder Großbritanniens) auf gemeinsame Einsatzformen mit der Bundeswehr in der Dritten Welt zu widerstehen.
 

 



Anmerkungen


 (1) America's Gulf Minuet, in: US News and World Report, 8.6.1987, S. 19
 (2) Zum Angriff auf die Stark siehe: A Tragedy in the Gulf, in: Newsweek, 1.6.1987, S. 8 ff
 (3) Reagan Vows to Protect Ships Against Iran, Soviets, in: International Harald Tribune,  30.5.1987
 (4) Der Golfkrieg als ein Kampf um Öl, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.8.1987;  und: Zweite Rohrleitung durch Saudi Arabien, in: ebenda, 22.9.1987
 (5) beispielsweise: Erklärung der sowjetischen Regierung vom 3.7.1987, verbreitet von Novosti und der sowjetischen Botschaft in Bonn, Nr. 38/87, 6.7.1987
 (6) Zum US-amerikanischen Flottenaufmarsch siehe beispielsweise: Der Flottenaufmarsch in der Golfregion, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.7.1987; "Blut wird fließen wie ein Wasserfall", in: Der Spiegel, 27.7.1987, S. 80 ff; und: Im Persischen Golf für alle Eventualitäten gerüstet - Der Aufmarsch der amerikanischen Marine, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.1987
 (7) "Frankreich will iranische Schnellboote modernisieren", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.1.1988
 (8) USIA, U.S. Policy Information and Texts, 7.7.1988, S. 13; und beispielsweise: A Salvo for Teheran, in: Newsweek, 2.11.1987; Chin to Chin in a Sea of Trouble, in: U.S. News and World Report, 26.10.1987; Silkworm's Sting, in: Time, 26.10.1987
 (9) US Navy Destroys Iranian Oil Platform in Revenge Attacks, in: The Times (London), 19.4.1988
(10) ebenda, S. 13 f; siehe auch: "Terrible Tragedy", in: Time, 11.7.1988
(11) J.S. Tichelman, Sowjetische und westliche Präsenz in lebenswichtigen Gebieten des Indischen Ozeans, in: Marineblad (Niederlande), 9/1981, S. 346-353, hier nach einer Rohübersetzung des Bundessprachenamtes, Manuskript, S. 6 f
(12) Der Flottenaufmarsch in der Golfregion, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung,         30.7.1987; Auslaufbefehl an den "Clemenceau"-Verband, in: Neue Zürcher Zeitung, 31.7.1987
(13) Royal Navy Wields Battleaxe with Courtesy in Gulf, in: The Times (London), 23.1.1988
(14) Manöver am Rande des Golfkrieges: "Flinkes Schwert" gegen "Fantasialand", in: Europäische Wehrkunde, 1/1987, S. 41-44
(15) Der lange Marsch zur Golfregion - Belgier und Niederländer im gemeinsamen
        Flotteneinsatz, in: Europäische Wehrkunde, 12/1987, S. 683 f; und: Das Engagement der Europäer im Golf, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.10.1987
(16) ebenda
(17) Royal Navy Wields Battleaxe with Courtesy in Gulf, in: The Times (London), 23.1.1988
(18) Western European Union, Assembly, General Affairs Committee, Europe and the Aftermath of the War Between Iran and Iraq, Working Paper, submitted by Mr. Martino, Rapporteur, 6.10.1988
(19) Is This any Way to Run a Navy?, in: Newsweek, 31.8.1987
(20) Guerrilla War on the Water, in: Newsweek, 15.6.1987, S. 20 f; siehe auch: Can't Anybody Here Play This Game?, in: US News and World Report, 10.8.1987
(21) US News and World Report, 15.6.1987, S. 27, 28; und: ebenda, 8.6.1987, S. 19
(22) Die Sowjetunion umwirbt Saudi Arabien, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.1.1988
(23) The Gulf War - Among Friends, in: US News and World Report, 15.6.1987, S. 28
(24) US News and World Report, 15.6.1987, S. 28; vergl. auch die Stellungnahmen von Frank Carlucci und Caspar Weinberger, in: USIA, U.S. Policy Information and Texts, 1.6.1987, S. 21; und: ebenda, 22.5.1987, S. 3
(25) zu den Hintergründen der US-Politik im Nahen und Mittleren Osten siehe u.a.: J.E. Peterson, Defending Arabia, London 1986; William Stivers, America's Confrontation with Revolutionary Change in the Middle East - 1948-1983, London 1986; Recent United States Policy in the Persian Gulf - 1971-1982, Grantham, NH 1982; Charles A. Kupchan, The Persian Gulf and the West - The Dilemmas of Security, Boston 1987; Jochen Hippler, US-Politik im Golfkrieg, in: Blätter des iz3w, Dezember 1987, S. 22-30
(26) Drift to Desaster in the Gulf, in: The Observer (London), 5.7.1987
(27) zit. nach: Schon vor sieben Jahren Streit um Flaggezeigen im Golf, in: Associated Press, 27.7.1987; und: Deutsche an die Front?, in: Stern, 26.11.1987
(28) Deutscher Depeschen-Dienst, zukünftig abgekürzt als "ddp", 29.4.1980
(29) Deutsche Presseagentur, zukünftig abgekürzt als "dpa", 3.2.1980
(30) ddp, 8.3.1981
(31) dpa, 28.7.1980
(32) dpa, 31.7.1980
(33) dpa, 29.10.1981
(34) dpa, 2.12.1982
(35) Stern, ebenda; und vertrauliche Informationen
(36) etwa: Washington verlangt von Bonn mehr Unterstützung - Burt: Lage im Golf betrifft den ganzen Westen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.7.1987
(37) dpa, 8.4.1981
(38) Bundeswehr - Billige Worte, in: Der Spiegel, 3.8.1987
(39) Konflikt am Golf: Bonn soll aushelfen, in: Der Spiegel, 23.11.1987; Brief von
        Generalleutnant Dale A. Vesser an den MilitärattachÍ der BRD in Washington, Brigadegeneral Hasso Freiherr von Uslar-Gleichen, vom 10.7.1987
(40) Kohl: Marine darf nicht in den Golf; in: Die Welt, 30.5.1987
(41) Associated Press, in Zukunft abgekürzt als "ap", 8.6.1987; Bonn bietet Hilfe für Tankerschutz an, in: Frankfurter Rundschau, 9.6.1987
(42) Deutsche Truppen am Golf? - "Nein, da müssen andere hin", in: Abendzeitung (München),  3.6.1987
(43) dpa, 12.6.1987
(44) Reuters, 12.6.1987
(45) zu den militärischen Einwänden gegen eine Flottenentsendung zur Entlastung der USA  siehe auch: Flagge zeigen?, in: Stuttgarter Zeitung, 15.8.1987
(46) Bonn kann die USA am Golf kaum entlasten - Für mehr Präsenz der Bundesmarine in Nordatlantik und Mittelmeer reichen die Kapazitäten nicht aus, in: Die Welt, 10.6.1987
(47) Reuters, 2.8.1987
(48) Bundeswehr - Billige Worte, in: Der Spiegel, 3.8.1987
(49) dpa, 5.8.1987
(50) ap, 23.9.1987
(51) Bonn gibt nach, in: Der Spiegel, 5.10.1987, S. 14
(52) ap, 5.10.1987; ddp, 5.10.1987
(53) Reuters, 7.10.1987
(54) Die Marine wird drei Schiffe ins Mittelmeer beordern, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.10.1987
(55) Wörner schickt Kriegsschiffe - Erstmals läuft eine komplette "Kampfgruppe" ins Mittelmeer aus, in: Frankfurter Rundschau, 4.1.1988
(56) Deutscher Marineverband bleibt im Mittelmeer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.5.1988
(57) Marine-Rundschau, 4/1988, S. 247
(58) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage "Schiffe der Bundesregierung im Mittelmeer", Bundestags-Drucksache 11/2882 vom 7.9.1988
(59) siehe etwa: Volker Böge/Peter Wilke, Sicherheitspolitische Alternativen, Baden-Baden 1984, S. 176 ff, und die dort angeführte Literatur; und: Volker Böge, "... nicht frei zu Bündnissen, sondern frei von Bündnissen" - SPD und Kollektive Sicherheit in den fünfziger Jahren, in: Dieter S. Lutz (Hrsg.), Kollektive Sicherheit in und für Europa - Eine Alternative?, Baden-Baden 1985, S. 85 ff, und die dort zitierten Quellen
(60) ddp, 29.7.1987
(61) Bild-Zeitung, 23.7.1987; dpa, 5.8.1987
(62) Golfregion wäre riskantes Neuland für Bundeswehr - "Einsatz im Mittleren Osten ist völkerrechtlich möglich", in: Die Welt, 12.6.1987; vor allem: Schiffe der         Bundesmarine in den Persischen Golf? - Ein NATO-Gebiet gibt es nicht, in:         Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.8.1987
(63) dpa, 5.8.1987
(64) ap, 7.8.1987
(65) NATO: Schiffe im Mittelmeer kein Ersatz für Einsatz am Golf, in: Die Welt, 7.10.1987
(66) Gesamtkonzept gefragt - Interview mit Horst Teltschik, in: Wirtschaftswoche,         23.10.1987
(67) Kanzlerberater wehrt sich gegen Vorwürfe, in: Süddeutsche Zeitung, 24.10.1987
(68) Bundesmarine: Germans to the Front?, in: Der Spiegel, 30.11.1987, S. 20
(69) zit. nach: ebenda, S. 21
(70) ddp, 29.4.1988
(71) Einsatz der Bundeswehr in Krisenregionen denkbar, in: Münchner Merkur, 17.5.1988; siehe auch eine entsprechende Presseerklärung des außenpolitischen Sprechers der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Ortwin Lowack, vom 18.5.1988
(72) Bundeswehreinsatz bei Friedensmissionen erwägen, in: Rheinische Post, 18.5.1988
(73) Scholz: Einsatz nur im Bündnisgebiet, in: Süddeutsche Zeitung, 21.6.1988
(74) Stern, a.a.O.
(75) ap, 22.3.1978
(76) ddp, 31.3.1979
(77) dpa, 29.10.1981
(78) "Deutsche Soldaten für die UNO", in: Express, 30.12.1987, und: CSU-Politiker Biehle für UNO-Engagement der Bundeswehr, in: Süddeutsche Zeitung, 30.12.1987
(79) ap, 7.8.1987
(80) ap, 16.10.1987
(81) ddp, 30.4.1988
(82) Parteien für Einsatz der Bundeswehr bei der UNO, in: Süddeutsche Zeitung, 2.5.1988
(83) Agence France-Press, zukünftig abgekürzt als "afp", 2.5.1988
(84) ap, 17.5.1988
(85) Deutsche Soldaten für UNO-Friedenstruppen, in: Express, 1.5.1988
(86) Parteien für Einsatz der Bundeswehr bei der UNO, in: Süddeutsche Zeitung, 2.5.1988; Bundeswehr-Einsatz bei Friedensmissionen erwägen, in: Rheinische Post, 18.5.1988; dpa 16.5.1988
(87) Deutsche in einer UNO-Friedenstruppe?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.5.1988
(88) ap, 22.7.1988
(89) afp, 5.8.1988
(90) dpa, 5.8.1988
(91) ap, 16.8.1988; Reuters, 16.8.1988
(92) Bundeswehrsoldaten für die Vereinten Nationen?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.8.1988
(93) ddp, 16.8.1988; eine kritische politische Bewertung dieser Diskussion in: Jochen Hippler, Ausgerechnet Soldaten - Bundeswehr-Blauhelme: Ein bundesdeutscher Beitrag zur Friedensstiftung?, in: Blätter für Deutsche und Internationale Politik, 10/1988, S. 1159-1162
(94) Reuters, 22.8.1988
(95) ddp, 21.8.1988
(96) UNO-Einsätze der Bundeswehr - außenpolitisch verfehlt, innenpolitisch treuherzig, Presseerklärung Horst Ehmke, 24.8.1988
(97) ddp, 25.8.1988, ap, 25.8.1988
(98) ddp, 1.9.1988
(99) Initiativantrag A 2 (UNO-Einsatz der Bundeswehr), nach dem Manuskript des         angenommenen Antrags
(100) Teilnahme des Verfassers
(101) zu den UNO-Friedenstruppen siehe u.a.: Peter Bardehle, Soldaten für den Frieden - Grundlagen und Formen des UN-Peacekeeping, in: Europa Archiv 20 (25.10.1988) 1988, S. 591-598
(102) auf einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen zur Frage bundesdeutscher UNO-Truppen, am 24.10.1988 in Bonn, nach persönlichen Aufzeichnungen des Verfassers
(103) Presseerklärung des CSU-Landesgruppe im Bundestag, Ortwin Lowack, 18.5.1988
(104) Maurizio Cremasco, The European Approach to the Out-Of-Area Question, in: Reinhardt Rummel u.a., Eventualfälle außerhalb des NATO-Bereichs - Erfahrungen atlantischer  Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten (1980-1986), Stiftung Wissenschaft und Politik, Konferenzbericht, SWP - K 2484, Oktober 1986, hier: S. 63
(105) in diesem Abschnitt wird auf Anmerkungen verzichtet. Er basiert auf zahlreichen Gesprächen mit Fachleuten und gut platzierten Quellen in den politisch- administrativen Apparaten in Washington, London und Bonn

 

Quelle:

Jochen Hippler
Westliche Flottenpräsenz im Persischen Golf und die Diskussion um Out-of-Area Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr,
als: Arbeitspapier Nr. 6 des Instituts für Internationale Politik (Wuppertal),
Oktober 1988
 

© Jochen Hippler 2011

 

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