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Jochen Hippler


Der Weg in den Krieg – Washingtons Außenpolitik und der Irak

 


„When it comes to our security, we don’t need anybody’s permission“.
Präsident George W. Bush


Die Konfrontation zwischen den USA und dem Irak hat die friedenspolitische Diskussion der Jahre 2002 und 2003 weitgehend beherrscht, insbesondere nachdem sich die Aufmerksamkeit nicht länger auf die Fragen der Terrorismusbekämpfung und den Krieg in Afghanistan konzentrierte, die nach dem 11. September 2001 die Diskussion dominierten. Dabei stand die Frage einer „Abrüstung des Irak“, insbesondere die Vernichtung seiner Massenvernichtungswaffen im Vordergrund des Interesses. Die US-Regierung steuerte seit dem Sommer/Herbst 2002 einen immer offensiveren Kurs, der zwischen einer Einbeziehung der UNO und unilateralen Aktionen schwankte. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschlands und Frankreichs führten die internationale Opposition gegen einen weiteren Irak-Krieg an, oft unterstützt von Russland und China sowie einer Reihe kleinerer Länder, während andererseits vor allem Großbritannien, Spanien und Italien sowie einige ost- und mittelosteuropäischen NATO-Beitrittskandidaten sich der US-Position anschlossen.
Die politischen Differenzen wirkten sich auf die Politik gegenüber der Region des Persisch-Arabischen Golfes aus, aber belasteten auch nachdrücklich die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union und die transatlantischen Beziehungen. US-Verteidigungsminister Rumsfeld bezeichnete im Zuge der Meinungsverschiedenheiten die europäischen Kriegsskeptiker als das „alte Europa“, dem ein besseres „neues“ gegenüberstände. Er ging so weit, Deutschland in eine Reihe mit Kuba und Libyen zu stellen – die angeblich einzigen Länder der Welt, die nicht nur eine Kriegsunterstützung verweigerten, sondern sogar eine Beteiligung am Wiederaufbau des Irak nach dem Krieg ablehnten.
UNO-Resolutionen zu ABC-Waffen als Ausgangspunkt.
Nachdem die Vereinten Nationen nach der Eroberung Kuwaits durch den Irak zuerst die Befreiung dieses Landes zum zentralen Ziel ihrer Politik und Beschlüsse gemacht hatten, wurden im April 1991 mit der Resolution 687 des UNO-Sicherheitsrates die Beseitigung der irakischen Massenvernichtungswaffen und weitreichenden Raketensysteme zum Ziel proklamiert. Der Artikel 8 dieser Resolution formulierte:
Der UNO-Sicherheitsrat “decides that Iraq shall unconditionally accept the destruction, removal, or rendering harmless, under international supervision, of:
(a) All chemical and biological weapons and all stocks of agents and all related subsystems and components and all research, development, support and manufacturing facilities;
(b) All ballistic missiles with a range greater than 150 kilometres and related major parts, and repair and production facilities.”

Aufgrund dieser Entscheidung wurden später UN-Inspekteure in den Irak entsandt, die die Entwaffnung des Irak überwachen und überprüfen sollten.
Seitdem stand die Frage der irakischen Massenvernichtungswaffen häufig im Zentrum der Aufmerksamkeit, obwohl die Resolution 687 dieses Problem auch in den Kontext einer regionalen Abrüstung einbettete. So sprach die Resolution vom Ziel,
„of the establishment of a nuclear-weapons-free zone in the region of the Middle East”, der UNO-Sicherheitsrat war sich bewußt, “of the threat that all weapons of mass destruction pose to peace and security in the area and of the need to work towards the establishment in the Middle East of a zone free of such weapons” und strebe “the objective of achieving balanced and comprehensive control of armaments in the region” an.
Von einem regionalen Rahmen der Beseitigung von Massenvernichtungswaffen war sehr schnell keine Rede mehr – und damit jede Hoffnung vergebens, dem Problem Herr zu werden: schließlich verfügen außer dem Irak (dessen ABC-Fähigkeiten seit 1991 im wesentlichen zerstört wurden) auch der Iran (B- und C-Waffen), Syrien (B- und C-Waffen), Ägypten (zumindest C-Waffen, Forschung im A- und B-Bereich) und andere regionale Mächte zumindest über Chemiewaffen, sowie Israel (B- und C-Waffen) zusätzlich über schätzungsweise zweihundert Atomsprengköpfe.  Selbst ein kurzfristig erfolgreicher Versuch der zwangsweisen Abrüstung eines dieser Länder könnte deshalb nur von befristeter Dauer sein: sobald sich die Zwangssituation des betroffenen Landes lockern würde, muß sicher mit einer zumindest begrenzten Wiederaufrüstung gerechnet werden, solange in den Nachbarländern nicht ebenfalls die Massenvernichtungswaffen beseitigt werden. Die vollständige Beschränkung der Frage einer Beseitigung der Massenvernichtungswaffen auf ein einziges Land – den Irak – stellte in den letzten Jahren bereits ein wichtiges Indiz dafür dar, dass es bei dieser Politik nur nebenbei um diese, primär aber um ein Druckmittel gegen den Irak ging.

Die Argumente Washingtons für die militärische Konfrontation.
Bei der Vorgeschichte des Irak-Krieges von 2003 fällt auf, dass die Politik der US-Administration mit sehr unterschiedlichen und wechselnden Argumenten und Zielformulierungen operierte. So wurde  - insbesondere nach dem 11. September 2001 – mit dem Argument einer angeblichen Verbindung des Irak zum internationalen Terrorismus und insbesondere Usama Bin Ladin operiert, so von Vizepräsident Cheney im August 2002. Solche Argumente wurden bald darauf zurückgezogen, weil auch die CIA keine ernsthaften Belege finden konnte. Schließlich wurde in der Schlussphase der Kriegsvorbereitung das Argument wieder in den Vordergrund gerückt, obwohl es noch immer keine Bestätigung dafür gab, so etwa in US-Außenminister Powells Rede vor dem UNO-Sicherheitsrat im Februar 2003.
Bei anderen Gelegenheiten wurde die Bedrohlichkeit des Irak für die Nachbarländer stark betont – obwohl diese sich selbst nicht bedroht fühlten: weder Syrien, der Iran, noch Saudi Arabien oder die Türkei oder Jordanien nahmen den Irak nach über einem Jahrzehnt des Ausblutens als militärische Drohung ernst. Bei anderen Gelegenheiten wurde der diktatorische und brutale Charakter des Regimes betont, als habe es beides nicht gegeben, als die USA Bagdad noch unterstützten, oder als treffe dies nicht auch auf eine Reihe von US-Verbündeten zu.
Gelegentlich bezeichnete US-Präsident Bush seine Irak-Politik als „Schlacht um die Zukunft der muslimischen Welt“ bezeichnet, andererseits begründete er den Krieg als Mittel, das zu einer Lösung des Nahostkonflikts zwischen Israel und den Palästinensern und einem „wahrhaftig demokratischen palästinensischen Staat“ führen werde.
Immer wieder wurde die irakische Nicht-Beachtung von UNO-Resolutionen und Völkerrecht betont – obwohl gegenwärtig noch rund 90 andere UNO-Resolutionen von anderen Staaten als dem Irak missachtet werden, ohne dass Washington dies zu ähnlich konfrontativer Politik veranlassen würde.  Im Kontext der UNO-Diskussionen stellte man vor allem die Frage irakischer Massenvernichtungswaffen in den Vordergrund, und gelegentlich wurde die Zukunft des irakischen Volkes ins Zentrum der Argumente gerückt.
Zur Kriegsvorbereitung griff Präsident Bush zu der griffigen Formulierung: “Wir werden das irakische Regime zum besten des irakischen Volkes ändern.“
Schließlich war auch vom Ziel einer Neuordnung des gesamten Nahen und Mittleren Ostens die Rede, für die der Irak-Krieg nur der erste Schritt sein sollte. Gelegentlich wurden alle Gründe zusammengefasst, so etwa von Condoleezza Rice, der Nationalen Sicherheitsberaterin Präsident Bushs:
„Es handelt sich um einen bösartigen Mann, der – wenn man ihn lässt – wieder Verwüstung über seine eigene Bevölkerung, seine Nachbarn, und, wenn er Massenvernichtungswaffen und Trägersysteme erhält, über uns alle bringen wird. … Es gibt sehr machtvolle moralische Gründe für einen Regimewechsel. Wir können uns sicher nicht den Luxus der Untätigkeit leisten.“
Die zahlreichen und immer wieder wechselnden Argumente für eine Konfrontationspolitik gegen den Irak dienten nur dazu, eine zuvor bestimmte Politik zu rechtfertigen. Die Washington Post zitierte im Herbst 2002 einen Beamten des US-Außenministeriums:
„Es gibt keine Debatte über die Notwendigkeit eines Regimewechsels. Wir haben uns auf dessen Konsequenzen konzentriert.“
Am Rande oder außerhalb der Bush-Administration waren noch Argumente zu hören, die innerhalb der Regierung zwar Gewicht hatten, aber sehr diskret behandelt wurden. So formulierte der ehemalige Nationale Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski: „Es geht nicht um den Irak. Es geht um unsere globale Rolle.“

Die Kriegsvorbereitung
Hinter dem Auf-und-Ab der verschiedenen Begründungen der US-amerikanischen Irakpolitik verbarg sich ihr Kern: nämlich eine sehr frühe Entscheidung, die irakische Regierung zu stürzen und eine pro-amerikanische an ihre Stelle zu setzen. Die diversen Sachargumente waren dem erkennbar untergeordnet und wurden instrumentell verwand, als Verkaufsargumente einer zuvor entschiedenen Politik. Die Fragen der regionalen Stabilität oder der Bewaffnung waren damit oft instrumentell – auch wenn man unterstellte, dass all diese Fragen bei einem Sturz Saddam Husseins sich von selbst erledigen würden.
Der bekannte Journalist Bob Woodward berichtete im Juni 2002 in der Washington Post:
„Zu Beginn dieses Jahres unterzeichnete Präsident Bush eine geheimdienstliche Anordnung („intelligence order“) um die CIA anzuweisen, ein umfassendes, verdecktes Programm zum Sturz Saddam Husseins zu unternehmen, das die Ermächtigung zu tödlicher Gewalt zur Ergreifung des irakischen Präsidenten einschloss. …
CIA-Direktor George J. Tenet sagte Bush und seinem Kriegskabinett, daß die CIA-Anstrengungen allein, ohne begleitende Militärmaßnahmen, wirtschaftlichen und diplomatischen Druck nur eine Erfolgsaussicht von 10-20 Prozent hätten. Eine Quelle berichtete, dass die verdeckten CIA-Aktionen vorwiegend als Vorbereitung für einen Militärangriff gesehen werden sollten, indem die CIA auf diese Art Ziele identifizieren, vor Ort im Irak verstärkt geheimdienstliche Informationen sammeln und Beziehungen zu alternativen, zukünftigen politischen Führern und Gruppen aufbauen könnten – für den Fall, dass Saddam Hussein gestürzt würde.“
Die CIA-Operation seit Beginn des Jahres 2002 (eine kleiner dimensionierte war bereits seit Jahren erfolglos im Gange) stellte aber nicht den Beginn der Kriegsvorbereitungen dar. Diese hatten bereits im Herbst 2001 begonnen.
“Am 17. September 2001, sechs Tage nach die Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon, unterzeichnete Präsident Bush ein streng geheimes, zweieinhalbseitiges Dokument, das den Plan für einen Krieg in Afghanistan als Teil einer weltweiten Kampagne gegen den Terrorismus umriss. Fast als Fußnote wies das Dokument das Pentagon an, mit der Planung militärischer Optionen für eine Invasion des Irak zu beginnen, so hohe Regierungsmitglieder.“
Zwei Tage später traf sich im Pentagon der Defense Policy Board unter Teilnahme Verteidigungsminister Rumsfelds, um mit der Arbeit zu beginnen.
Im April 2002 traf sich Präsident Bush mit der Nationalen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, um die Irak-Politik festzulegen. Gegenüber einem britischen Journalisten erklärte er: „Ich habe mich entschieden, dass Saddam gehen muß.“
Im Frühjahr 2002 begann auch die ernste Phase der militärischen Kriegsplanung. Alle drei oder vier Wochen reiste General Tommy Franks (Kommandeur des US Central Command, das den Krieg führen würde) nach Washington, um Präsident Bush im Weißem Haus über die Kriegsplanung zu unterrichten.
“Im Juli traf sich der Planungschef des Außenministeriums, Richard N. Haass, zu einem regelmäßigen Treffen mit Rice und fragte, ob sie über das Pro und Contra einer Konfrontation mit dem Irak sprechen sollten. Rice antwortete: keine Sorge, der Präsident hat bereits entschieden.“
Die Entscheidung zum Krieg gegen den Irak dürfte, nach den vorliegenden Informationen, im zweiten Quartal 2002 getroffen worden sein, nach einer Reihe von zuvor erfolgten Maßnahmen, die sie bereits zum Teil vorwegnahmen. Das besondere am Entscheidungsprozess lag allerdings in seinem informellen und die bürokratischen Strukturen weitgehend ignorierenden Charakter: Der Präsident und Schlüsselpersönlichkeiten wie Cheney, Rumsfeld, Rice und Wolfowitz waren sich schon bald nach dem 11. September 2001 einig, massiv gegen den Irak vorzugehen, ein entsprechender Konsens wurde in der Regierung allerdings nicht formalisiert, sondern sickerte auch in der Administration nur informell durch. Einen förmlichen Beschluss zum Krieg gab es trotz des Konsenses im ganzen Jahr 2002 nicht, weshalb entsprechende Erklärungen Washingtons, „nichts sei entschieden“, technisch zutrafen.

Politische Entscheidungsträger
Zentrale Akteure der Regierung Bush hatten bereits unter Präsident Clinton eine Kampagne gegen den Irak betrieben und selbst einen Krieg zu diesem Zweck nicht ausgeschlossen oder sogar darauf gedrängt. Zu dieser Gruppe gehörten Vizepräsident Cheney, Verteidigungsminister Rumsfeld, der stellvertretende Verteidigungsminister Wolfowitz und andere. Ex-General Wayne Downing (der schon an der Eroberung Panamas zum Sturz General Noriegas 1989 mitwirkte) hatte bereits 1998 (mit Hilfe des früheren CIA-Agenten Duane Clarridge, der unter Präsident Reagan eine wichtige Rolle bei der Contra-Operation gegen Nicaragua gespielt hatte) einen militärischen Angriffsplan gegen den Irak ausgearbeitet und einem Kongressausschuss vorgestellt. Die Clinton-Administration hatte diesen Plan abgelehnt, aber mit Präsident Bush jr. gelangten seine wichtigsten Protagonisten in Schlüsselpositionen der neuen Regierung. Zu den Lobbyisten einer gewaltsamen Anti-Irak Politik bereits 1998 gehörten gehörten auch Zalmay Khalilzad (der unter Bush ins Weiße Haus berufen wurde und heute für den Kontakt zur irakischen Opposition zuständig ist), Douglas Feith und Dov Zakheim (unter Bush im Verteidigunsministerium) und Richard Armitage (der sich inzwischen der lange etwas vorsichtigeren Position Außenminister Powells angeschlossen hat), John Bolton und Paula Dobriansky, die alle ins Außenministerium übernommen wurden. Downing wurde Koordinator des Weißen Hauses für die Terrorbekämpfung, trat allerdings im Sommer 2002 wegen interner Streitigkeiten zurück.
Mit der Berufung einer solchen, homogenen Gruppe anti-irakischer Aktivisten in die Regierung Bush war die Grundrichtung der Politik gegenüber dem Persisch-Arabischen Golf bereits von Anfang an vorentschieden. Allerdings gab es im Außenministerium und bei den Spitzen des Militärs deutliche Bedenken gegen einen neuen Irak-Krieg, der oft als nicht notwendig betrachtet wurde. Als nach dem 11. September 2001 Präsident Bush die Position der Anti-Irak-Falken um Cheney und Rumsfeld weitgehend übernahm, war die Entscheidung zum Krieg praktisch – wenn auch nicht formell – gefallen.

Taktik
Das taktische Problem einer Politik des Krieges bestand in zwei Punkten. Einmal ist der gewaltsame Sturz einer Regierung durch eine andere aus guten Gründen völkerrechtswidrig. Alles andere würde zu anarchischen Verhältnissen in den internationalen Beziehungen führen: wenn Regierungen sich gegenseitig stürzen dürften, falls sie mit ihren Politiken nicht einverstanden sind, wäre geregelte Diplomatie kaum noch möglich, es herrschte das Gesetz des Dschungels. Zweitens, und damit verbunden, bestand das Problem in einer möglichst breiten Koalitionsbildung für den Krieg, wie sie im Irak-Krieg 1991 erfolgreich von Präsident Bush (Vater) zustande gebracht worden war. Eine solche Koalitionsbildung war bei einem völkerrechtswidrigen Vorgehen schwieriger als mit einer zumindest akzeptablen juristischen Begründung. Da Artikel 51 der UNO-Charta (Selbstverteidigungsrecht aufgrund eines erfolgten oder unmittelbar bevorstehenden Angriffs) offensichtlich bezüglich eines Krieges gegen den Irak nicht glaubwürdig war, fokussierten sich die Notwendigkeiten der Koalitionsbildung wie auch die einer plausiblen völkerrechtlichen Begründung auf den UN-Sicherheitsrat.
Die zivilen Spitzen des Verteidigungsministeriums (Rumsfeld und Wolfowitz) hatten sich im Sommer 2002 bereits unmißverständlich für ein unilaterales Vorgehen (ergänzt durch eine Koalition der Bereiten) ausgesprochen und die Kooperation der UNO für entbehrlich erklärt, um die eigenen Entscheidungen nicht von denen anderer abhängig zu machen. Präsident Bush teilte und teilt diese Grundeinstellung: “Wenn wir handeln müssen, werden wir handeln. Und dazu brauchen wir wirklich nicht die Zustimmung der Vereinten Nationen.“
Der US-Kongress stimmte dieser Position zu und erteile Präsident Bush im Oktober 2002 eine Blankoermächtigung für einen – auch unilateralen – Krieg. Er ermächtigte den Präsidenten, “die Streitkräfte der Vereinigten Staaten so einzusetzen, wie er es für notwendig und angemessen halt, um die Nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten gegen die fortbestehende Bedrohung durch den Irak zu verteidigen.“

Allerdings hatte sich der Präsident im Sommer 2002 von Außenminister Powell überzeugen lassen, daß eine Nutzung des UNO-Sicherheitsrates für die politische Flankierung des Krieges, seine Legitierung und die Koalitionsbildung nützlich sein könne – woraus die Resolution 1441 erwuchs, die als Knebel für den Irak gedacht war: eine Reihe von für kaum erfüllbar gehaltene Forderungen, deren Nichterfüllung den Krieg begründen könnte und so die UNO für die US-Politik instrumentalisieren würde.
US-Präsidentensprecher Ari Fleischer erläuterte diese Taktik:
„Wenn Saddam Hussein erklärt, dass er Massenvernichtungswaffen besitzt und die Resolutionen der Vereinten Nationen verletzt, dann werden wir wissen, dass Saddam Hussein die Welt wieder betrogen hat. … Falls er erklärt, keine zu besitzen, dann werden wir wissen, dass er die Welt erneut irreführt.“
Anders ausgedrückt: die Resolution 1441 sollte aus Washingtoner Perspektive den Irak in eine ausweglose Situation bringen: gestand man den Besitz verbotener Waffen ein, wäre dies ein Kriegsgrund. Tat man es nicht, war dies um so schlimmer: dann war Krieg gerechtfertigt, weil der Irak sie verschwieg. Eine Option, die Bush-Administration im Rahmen der Resolution zufrieden zu stellen, gab es deshalb für den Irak nicht und sollte es auch nicht geben.
Durch diesen taktischen Versuch einer Kriegslegitimierung entstand allerdings ein neues Problem: die tatsächlichen Kriegsgründe konnten auf der UNO-Ebene nicht offen thematisiert werden, weil der Sturz einer fremden Regierung durch Gewalt und das Politikziel der Dominanz im Persisch-Arabischen Golf und dem Nahen und Mittleren Osten („Neuordnung der Region“) bedauerlicherweise außerhalb der UNO-Charta begründet waren, und derem Geist und zum Teil Buchstaben widersprachen.
Eben deshalb sah sich die Bush-Administration gezwungen, ein so buntes und widersprüchliches Potpourri an Politikbegründungen vorzutragen: für den UNO-Sicherheitsrat mußte man die Frage der Beseitigung der irakischen Massenvernichtungswaffen und die Durchsetzung von UNO-Resolutionen betonen, gelegentlich angereichert durch unbewiesene Behauptungen, die Bagdad eine Zusammenarbeit mit internationalen, islamistischen Terrorgruppen unterstellten. Für die heimische (und z.T. internationale Öffentlichkeit) konnten dann alle Register der Überregung und Überzeugung gezogen werden: der Irak als Gefahr für die Nationale Sicherheit der USA, der Irak als Bedrohung der Region, die Befreiung des irakischen Volkes, der Sturz einer Diktatur, der Kampf gegen einen zutiefst bösartigen Mann, die Demokratisierung der Gesamtregion Naher Osten.
Für die internationale Koalitionsbildung und den UN-Sicherheitsrat waren und blieben allerdings die Fragen entscheidend, die in der UNO-Resolution 1441 festgeschrieben waren: die Beseitigung der irakischen ABC-Waffen und ihrer Trägersysteme und die Kooperationsbereitschaft des irakischen Regimes mit den Inspekteuren.

Als sich die irakische Regierung aufgrund des militärischen Drucks der USA und ihrer internationalen Isolierung gezwungen sah, die Resolution 1441 tatsächlich umzusetzen und schrittweise praktisch alle Forderungen der UNO-Inspekteure zu erfüllen (Interviews von Fachleuten unter bestimmten Bedingungen, Nachweis von in den 90er Jahren zerstörten Kampfstoffe und Einrichtungen, Zerstörung von Raketen, deren Reichweite die festgelegten Grenzen geringfügig überstieg, Überflugrechte für U-2 Spionageflugzeuge, etc.), gerieten die USA in eine Zwangslage: die Resolution 1441 konnte so zwar zur zwangsweisen Abrüstung des Irak führen, aber nicht zum Sturz der irakischen Regierung und zur Rechtfertigung des Krieges dienen.
Diese Entwicklung führte dazu, daß Washington den UNO-Sicherheitsrat, seine Mitglieder und die UNO-Inspekteure massiv unter Druck setzte. Diplomaten der meisten Länder im Sicherheitsrat wurden vom US-Geheimdienst NSA abgehört (Dienst- und Privattelefone), ihre e-mail abgefangen und ausgewertet.
Die UNO-Inspekteure wurden mit gefälschten Geheimdienstdokumenten versorgt, die ein irakisches Atomwaffenprogramm belegen sollten, aber von der UNO bald als Fälschungen entlarvt wurden. Mohamed El Baradei (Chef der Internationalen Atomenergiebehörde und neben Hans Blix einer der beiden UN-Chefinspekteure) beschwerte sich darüber im UNO-Sicherheitsrat und in der Presse.
Washington begann parallel zu seinen massiven Versuchen, die Abstimmung im Sicherheitsrat durch Drohungen und Lockungen zu beeinflussen eine Kampagne der Diskreditierung der UNO: Condolezza Rice warf dem Sicherheitsrat „Appeasement“ vor, also eine Beschwichtigungspolitik, wie sie der britische Ministerpräsident Chamberlain 1938 gegenüber der Nazi-Diktatur betrieben hatte.
Präsident Bush nannte den Prozeß der UNO-Inspektionen im Irak eine „willkürlich Farce“. Er fuhr fort: “Wenn es um unsere Sicherheit geht, brauchen wir niemandes Zustimmung.”
Die Diskussionen im Sicherheitsrat über eine Verlängerung der UNO-Inspektionen kommentierte Bush mit den abfälligen Worten: „Das sieht aus wie die Wiederholung eines schlechten Films. Und ich bin nicht daran interessiert, ihn zu sehen.“
Und ein Diplomat des UNO-Sicherheitsrates berichtete von einem Gespräch mit einem US-Kollegen: „Sie werden nicht entscheiden, ob es im Irak Krieg geben wird oder nicht. … Das ist unsere Entscheidung, und wir haben sie bereits getroffen. Sie ist endgültig. Die einzige Frage ist, ob der (Sicherheits-)Rat dem zustimmt oder nicht.“
Der Undersecretary of State John Bolton informierte die russische Regierung im gleichen Sinne.
Solche Formen der offenen Mißachtung des UNO-Sicherheitsrates erfolgten ausgerechnet durch die Regierung, die ihren Krieg gegen den Irak mit der Geringschätzung des Sicherheitsrates durch Bagdad begründete.

Die US-Argumentation für einen Krieg gegen den Irak überzeugte nur Regierungen, die gern überzeugt werden wollten, die aus Gründen ihrer Sonderbeziehungen zu den USA (etwa Großbritannien) unabhängig von der Irak-Frage auf jeden Fall an der Seite Washingtons stehen wollten, die wegen ihrer Hoffnungen auf einen NATO-Beitritt ihr Verhältnis zu den USA nicht belasten durften (so Staaten Ost- und Ostmitteleuropas), oder sie sonstwie vom Wohlwollen der US-Regierung abhängig waren. Gerade Entwicklungsländer erinnerten sich nur zu gut an die prekäre Situation des Yemen, der 1990 im Sicherheitsrat gegen die Ermächtigung zum Krieg gestimmt hatte und sich von einem US-Diplomaten sagen lassen mußte: „Das wird die teuerste NEIN-Stimme, die Sie je abgegeben haben.“
Drei Tage später strich Washington seine gesamte Entwicklungshilfe an den Yemen, rund 70 Mill. Dollar – viel Geld für ein armes Entwicklungsland.
Damals war die sowjetische Zustimmung unter anderem mit massiven Getreidelieferungen auf Kredit (1 Mrd. US-Dollar) und das chinesische Stillhalten damit erkauft worden, das Land aus der internationalen Isolation zu befreien, in die es nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens geraten war. Der damalige US-Außenminister James Baker beschrieb den Prozess rückblickend:
„Ich habe mich persönlich mit allen meinen Gegenübern im UN Sicherheitsrat getroffen. Das war ein komplizierter Prozess des Zuredens, Ziehens, Drohens, und gelegentlich des Stimmenkaufs.“
Auch diesmal wurden alle Register der Einflußnahme gezogen – innerhalb und außerhalb des Sicherheitsrates. So wurden der Türkei 6 Mrd. Dollar an nichtrückzahlbaren Finanzhilfen und bis zu 24 Mrd. Dollar an zusätzlichen Krediten versprochen, falls sie US-Kampftruppen von ihrem Staatsgebiet aus gegen den Irak operieren ließ.
Der britische Observer formulierte:
„Der Kampf um die unentschiedenen Sechs (also die sechs Länder, die den Krieg zwar ablehnten, aber offenen Widerstand für riskant hielten) war von Drohungen und gutem Zureden, vom Bespitzeln von UN-Vertretungen durch die USA und unverhohlenen Bestechungen bestimmt. Erfahrene Diplomaten erlebten erschreckt oder unter Druck, wie Amerika eine Offensive zur Einschüchterung der Nationen begann, die es für eine Mehrheit im Sicherheitsrat braucht, um den Weg zum Krieg freizumachen.“
Insbesondere Mexiko, Chile, Pakistan und die drei afrikanischen Mitglieder des Sicherheitsrates wurden massiv eingeschüchtert. So drohten zwei Beamte des US-Außenministeriums, Mexiko würde „einen hohen Preis zahlen“, wenn es sich der US-Position nicht anschlösse.
Insgesamt stellt sich die Frage, warum Washington nicht stärker auf multilaterale Politikformen und Überzeugung setzte, sondern versuchte, seine einseitig getroffen Entscheidung dem Rest der Weltgemeinschaft aufzuzwingen. Neben den unilateralen Grundinstinkten der Schlüsselakteuere der Bush-Administration („Wir brauchen niemandes Zustimmung!“ – so George Bush) spielten allerdings auch politische Erwägungen eine Rolle. So hatte bereits im November 2002 Bob Woodward Präsident Bush gefragt, ob in der Frage des Krieges nicht die Gefahr bestünde, dass wichtige Verbündete nicht skeptisch blieben und sich zurückhalten würden. Bush hatte geantwortet:
“Wir werden niemals alle Leute zu einer Übereinstimmung über die Anwendung von Gewalt bringen. … Aber Handeln – zuversichtliches Handeln, das positive Ergebnisse erreicht – schafft eine Art Sogwirkung, die zögernde Länder und politische Führer mitzieht und ihnen zeigt, dass etwas positives für den Frieden geschehen ist.“

Diese Annahme, dass entschlossene Handlungen der Führungsmacht, insbesondere wenn sie sich als erfolgreich erwiesen, widerstrebende Partner schließlich einfach mitziehen würden, ist prinzipiell durchaus plausible. Aber bei der politischen Vorbereitung des Irak-Krieges funktionierte dieser Mechanismus nicht, oder nur mit großen Einschränkungen.
Bemerkenswert an der US-Politik im und um den UNO-Sicherheitsrat war ja gerade der Tatbestand, daß Washington von der Verabschiedung der Resolution 1441 bis zum Kriegsbeginn in der Sache zunehmend in die Isolation geriet, obwohl eigentlich niemand ein Interesse daran hatte, einen Konfrontationskurs gegen Washington einzuschlagen. Für Frankreich, Deutschland, Rußland und China waren und sind die USA der außen- und wirtschaftspolitischen Schlüsselpartner, und eine enge Zusammenarbeit mit Washington eine der zentralen außenpolitischen Grundorientierungen. Gerade Frankreich und Rußland schlossen noch zumindest bis in den Januar 2003 eine Akzeptierung oder gar eigene Kriegsbeteiligung unter bestimmten Bedingungen nicht aus – nicht, weil sie den Krieg für richtig hielten, aber weil sie die Beziehungen zu Washington nicht beschädigen wollten. Erst das Zusammentreffen der umfassenden irakischen Nachgiebigkeit mit einer zunehmend als arrogant und rücksichtslos empfundenen Politik Washingtons, die vor Drohungen, Einschüchterungen, Irreführung, und demonstrativer Geringschätzung der Partner und des Sicherheitsrates nicht zurückschreckte, führte zu einer Verhärtung der Opposition gegen den Krieg, insbesondere in Paris und Moskau. Der französische Präsident Chirac erklärte:
“Jede Gemeinschaft mit nur einer dominierenden Macht ist immer gefährlich. Deshalb befürworte ich eine multipolare Welt, in der Europa offensichtlich seinen Patz hat.“

Die Bedeutung des Irak-Krieges
Nach den Terrorakten vom 11. September 2001 war häufig davon die Rede, dass nichts so sei wie zuvor. Das war psychologisch verständlich, ging aber an der Sache vorbei. Die Terroranschläge waren ein gigantisches Verbrechen und eine humanitäre Katastrophe, und sie stellten eine offene Herausforderung der US-amerikanischen Weltmacht dar. Aber jenseits ihrer psychologischen Wirkung haben sie die globalen Machtverhältnisse nicht wesentlich geändert – außer, dass durch die Emotionalisierung der Terror-Bilder militärische Einsätze und Krieg leichter legitimierbar wurden. Eine Zeit lang stellte sich praktisch die gesamte Welt hinter die USA, ein „Bündnis gegen den Terror“ gab der unilateralen Führungsrolle Washingtons zusätzlich moralisches Gewicht. Aber weder die US-Machtposition noch das Unbehagen daran waren neu, und die dramatischen Bedrohungsgefühle aus dem Herbst und Winter 2001/2 mussten sich selbstverständlich normalisieren. Der 11. September 2001 stellte deshalb einen wichtigen Einschnitt der internationalen Politik dar, aber er verstärkte letztlich nur ohnehin bestehende Tendenzen, anstatt eine neue Phase der Weltpolitik einzuleiten. Der Irakkrieg dagegen, der zwar politisch und psychologisch in einen Zusammenhang mit dem 11. September gestellt wurde, aber substanziell mit dem „Antiterrorkampf“ nicht zu tun hatte, ging darüber hinaus.
Auch der Irakkrieg und seine Vorgeschichte leiteten eine neue Phase der Politik ein, und setzten dabei einen Kontrapunkt zur weltweiten Einigkeit der Anti-Terror-Allianz. Abgesehen von seinen humanitären Folgen und von den Ergebnissen und resultierenden Instabilitäten im Irak, dem Persisch-Arabischen Golf und dem Nahen und Mittleren Osten führte er zu einer Neuakzentuierung der internationalen Beziehungen, deren Bedeutung über die Folgen des 11. September mittelfristig hinausgehen dürfte.
Der Weg in den Krieg führte der Welt nicht allein die unilaterale Machtstruktur des internationalen Systems und die dominierende Rolle der USA verstärkt vor Augen, sondern auch die imperiale und oft arrogante Art deren Durchsetzung. Er trug massiv zur Relativierung und Untergrabung des Völkerrechts als Regelungsmechanismus internationaler Beziehungen bei und beschädigte die Vereinten Nationen schwer. Beide wurden soweit möglich instrumentalisiert und missachtet, wo dies nicht möglich war. Damit wurden wichtige Mechanismen internationaler Zusammenarbeit und Konfliktregelung geschwächt und Grundlagen für Global Governance untergraben.
Diese Erfahrungen provozierten in der internationalen Politik deutliche Gegentendenzen. Unabhängig von der Politik gegenüber dem Irak und dem Persisch-Arabischen Golf führte die kompromisslose Politik Washingtons dazu, dass viele andere Staaten sich ignoriert, bedrängt oder gar eingeschüchtert fühlten. So erklärte selbst der Präsident Chiles – eines Landes, das wirtschaftlich eng mit den USA verbunden ist und in die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) aufgenommen werden möchte:
„Chilenen mögen es nicht, wenn andere Leute für sie Entscheidungen treffen. Wenn man uns die Gelegenheit gibt zu entscheiden, werden wir dies tun. Bei dieser Gelegenheit ziehe ich es vor, dass wir als Land etwas sagen, anstatt am Fernsehen zuzusehen, was andere für uns entscheiden.“
Frankreich, die Bundesrepublik, Russland, China und andere waren zunehmend unzufrieden damit, dass der massive US-Unilateralismus auf ihre Kosten gehen sollte und bildeten ein – wenn auch fragiles und unzureichendes – Gegengewicht. In diesem Maße handelte es sich um eine neue Entwicklung. Erstaunlicherweise geriet die globale Vormacht selbst in die Isolation, anstatt dass ihr das Aufbrechen der Front der Kriegsskeptiker gelungen wäre. In der Sache des Krieges und bezogen auf ihren Politikstil überzeugte die Bush-Administration sehr wenige Länder. Dies dürfte mittelfristig zwei Folgen haben: einmal eine Gegenbewegung auf beiden Seiten des Atlantiks, die Schäden in den transatlantischen Beziehungen zu begrenzen und zu überwinden, die gegenwärtig beträchtlich sind. (Damit verbunden wird es ähnliche Bemühungen in der Europäischen Union gegen, ihre Handlungsunfähigkeit und faktische Spaltung zu überwinden.) Zugleich aber dürfte das heftige Tauziehen um den Irakkrieg den USA längerfristig politische Kosten verursachen, die vor allem im politisch-psychologischen Bereich liegen. Das Misstrauen in Europa (auch in Ländern wie Großbritannien, Italien und Spanien), in der arabischen Welt, den islamisch geprägten Gesellschaften insgesamt, aber auch in anderen Ländern der Dritten Welt gegenüber einer unilateralen Anmaßung Washingtons wird sich trotz aller Schadensbegrenzung nicht leicht rückgängig machen lassen. Die politischen Hürden für zukünftige Kriege der USA gegen „Schurkenstaaten“ sind damit eher gewachsen, weil eine blinde Gefolgschaft nicht mehr einfach vorausgesetzt werden kann.
 


Quelle
Friedensgutachten 2003, hrsg. von Reinhard Mutz, Bruno Schoch, Ulrich Rasch, Christoph Weller, für das Institut für Friedenspolitik und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (ISFH), die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Bonn International Center for Conversion (BICC) und Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), Juni 2003, S. 89-98
Die Anmerkungen und Quellen sind hier weggelassen.

 

 

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