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Jochen Hippler Die rechtsradikale Szene in der DDR
Bemerkenswert an diesem Text sind nicht allein sein Inhalt und seine eigenwillige Rechtschreibung. Es handelt sich um Teile eines Kassibers, der von einem 23-jährigen Nazi-Skinhead aus dem Gefängnis an seinen "Gauleiter" geschmuggelt werden sollte. In Ost-Berlin, Hauptstadt der DDR. Er stammt aus dem Herbst 1988. Die rechte Szene in den 80er Jahren Die Skinheads Sie kommt zu dem Ergebnis, daß die Nazi-Skins insgesamt geschafft haben, sich aus den diffusen und "private" Cliquen zu einem Organisationsgrad zu entwickeln, der auf der einen Seite nach innen (also innerhalb einzelner Gruppen) durch oft straffe Führung gekennzeichnet ist, andererseits aber auch Kommunikationsstrukturen und Zusammenarbeit auf Landesebene und sogar darüber hinaus (in die BRD, nach Ungarn, das Baltikum, etc.) umfaßt. Das Organisationsniveau der Skinheads ist dabei weiter uneinheitlich, es schwankt zwischen noch existierenden Cliquen ohne landesweite Vernetzung (z.T. "Schmuddelskins" genannt) und einer verdeckten zentralen Kommandostruktur. "Skinhead-Gruppierungen haben seit 1985/86 die am besten entwickelten Organisationselemente, aber nur ein Teil den Anhänger ist in stabile informelle Gruppen eingebunden. ... Die Beziehungen innerhalb der einzelnen Gruppierungen beruhen auf persönlichen Bekanntschaften, also auf Direktkontakten zwischen Personen, vermittelt durch ein fixiertes Minimum an gemeinsamen Interessen." Faschos Diese äußere Anpassung bezog sich zum Ende der 80er Jahre nicht nur auf die Faschos, sondern partiell auch für einen Teil der Skinheads. Diese hatten bis Anfang 1988 versucht, den "offiziellen staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen" (FDJ, FDGB, etc.) der DDR fernzubleiben oder auszutreten. Dies änderte sich im Laufe des Jahres, was zwar nicht die gesamte Skinheadszene betraf, aber doch umfangreich und flächendeckend genug war, um als zentrale Strategie erkennbar zu werden. Das war nicht alles. Im DDR-Innenministerium wird vorsichtig über die Infiltrationsversuche von Skins und Faschos in Polizei und Militär berichtet. "Ausgehend von der Orientierung von Anhängern rechtsradikal-neofaschistischer Gruppierungen auf Dienstverhältnisse in der Volkspolizei, der NVA und der Zollverwaltung, kann nicht sicher ausgeschlossen werden, daß in diesen Organen schon jetzt Anhänger und Sympathisanten tätig sind." Neo-Faschismus hausgemacht "Nicht Originalität und Innovation haben den höchsten Stellenwert, sondern Unterordnung und Konvention. Nicht Widerspruch und Kritik sind wirklich geschätzt, sondern Anpassung und Duckmäusertum. ... Die kommunistische Kaderpartei beförderte nicht die Entwicklung demokratischer Tugenden, sondern schuf ein System neuer Privilegien zur Belohnung von Maulheldentum, Untertanengeist und und Parteidisziplin. Das Führerprinzip, das sich für die Deutschen als verhängnisvoll erwiesen hatte, erlebte unter anderem Vorzeichen eine Renaissance: erst der Stalinkult, dann der unbedingte Anspruch der kommunistischen Partei, Avantgarde und Vorhut zu sein. Eine basisdemokratische Kontrolle der Mächtigen und ihrer Organe gab es nicht und wird bis heute nicht geduldet. ... All das ist nicht Faschismus. Aber die grundsätzliche Bejahung von Gewalt und der Mangel an demokratischer Kultur haben den Propagandisten der neuen faschistischen Bewegung ein leicht zu beackerndes Feld bereitet. Menschen, die hierzulande aufgewachsen und in unseren Schulen erzogen sind, sind ungenügend gegen den Bazillus (rechts-)radikaler Ideologien immunisiert." Damit ist ein Teil des Problems benannt, aber noch nicht alles. Um politisch im rechtsradikalen Sinne wirksam werden zu können, mußten zwei weitere Faktoren hinzutreten: einmal das ökonomische Scheitern der SED, die das Land weitgehend verfallen ließ. Von einer ausreichenden Erfüllung auch berechtigster materieller Bedürfnisse der Bevölkerung konnte nicht die Rede sein, was sich politisch zunehmend niederschlug. Zweitens wurde diese wirtschaftliche Stagnation flankiert von einem Maß an Bevormundung, Bespitzelung und Repression, das aus wirtschaftlicher Unzufriedenheit bald politische Apathie und dann offenen Haß werden ließ. Dieser Haß gegen SED und (in gewissem Sinne) DDR schlummerte unter der Oberfläche von Resignation und Opportunismus, bis er 1989/90 offen hervorbrach. Vor diesem Hintergrund einer politisch und ökonomisch bankrotten Staatsführung mit weiterem Allmachtsanspruch gewannen rechte, rechtsradikale und neo-faschistische Ideologien gerade bei jungen Leuten (meist Männer) an Attraktivität. Ein früherer Fascho und jetzige REP aus Ost-Berlin erklärte mir, daß er sich aus einem Hauptgrund den Faschisten angeschlossen hatte: es seien die konsequentesten Anti-Kommunisten gewesen. Wenn die SED die Nazis so hasse, dann müßte doch etwas Gutes daran sein. Rechtsradikale und faschistische Reden und Symbole waren in einer (individuellen oder kollektiven) Übergangsphase nur Mittel, seinen Protest gegen die SED und Stasi auszudrücken, der Versuch, provokativ seinen völligen Bruch mit dem System zu symbolisieren. Anschließend entstand dann oft ein Begründungsnotstand zu erklären, warum man statt "SED ist Scheiße" ausgerechnet ein Hakenkreuz gesprüht hatte. An dieser Stelle setzte dann eine Ideologisierung der eigenen Handlungen ein, der Versuch, die eigene Provokation nun in einen politischen Rahmen zu stellen und die Ansätze eines eigenen Konzeptes zu entwickeln. Und genau hier wurden dann die von Konrad Weiß beschriebenen Mechanismen wirksam, die eine Fundamentalopposition eher nach rechtsaußen, als nach links verschoben. Die Grenze ist offen Im Zuge dieser geänderten Rahmenbedingungen änderten sich zugleich die Gewichte innerhalb der rechten Szene. Parteien aus der BRD begannen im unterschiedlichen Maße und mit unterschiedlichem Erfolg, Einfluß auf die DDR-Rechte zu nehmen, insbesondere die DVU, NPD, FAP, NF und - besonders engagiert - die REPUBLIKANER. In einem Papier des Westberliner Landesamtes für Verfassungsschutz ("Aktivitäten von Berliner Rechtsextremisten in der DDR") wird in diesem Zusammenahng etwa auf Bemühungen der NPD, zur NDPD der DDR freundschaftliche Beziehungen zu knüpfen berichtet. "Einige Bezirksverbände der NDPD haben die deutschlandpolitischen Vorstellungen der NPD begrüßt während sich die Parteiführung der NDPD von der NPD auf Distanz hielt." Im Abschnitt "Neo-Nazismus und deutsche Einheit" des gleichen Papiers wird im Zusammenhang mit der FAP und der "Nationalistischen Front" (NF) von Hinweisen berichtet, "daß Berliner Neonazis zunehmend Aktivitäten entwickeln, gezielt Einfluß auf potentielle Interessenten in Ost-Berlin und in der DDR zu nehmen, um neue gesamtdeutsche neonazistische Organisationen zu bilden." Die Skinheadszene war mit diesen Entwicklungen natürlich nicht bedeutungslos geworden, sondern profilierte sich weiter durch eine Reihe einzelner, militanter Aktionen, wie beispielsweise der Jagd auf linke Demonstranten in Leipzig, dem Verprügeln von VoPos in Ost-Berlin und anderswo. Aber durch das verstärkte Hinzutreten insbesondere der REPs gelang es Teilen der Szene, zusätzlich zur konspirativen Arbeit auch noch legale oder teillegale Arbeitsmöglichkeiten zu eröffnen, die ihre Wirksamkeit und Propagandamöglichkeiten verbesserten. Neben den Schlägertrupps der Skins und den hochkonspirativen Fascho-Gruppen trat damit eine Gruppierung mit "respektablem" Anspruch und Parteicharakter auf die Bühne. Die REPublikaner Dieses Programmpapier verschmelzt drei Tendenzen zu einer für DDR-Verhältnisse attraktiven Mischung: Durchkapitalisierung der DDR, um so "den gleichen Lebensstandard, wie er für unsere Landsleute in der Bundesrepublik selbstverständlich geworden ist" zu erreichen; zweitens ein Warenhausangebot ebenso unterschiedlicher wie sinnvoller Forderungen (Menschenrechte, Gewährung von Rechtssicherheit, Verbesserung der Alterssicherung, generelle Trinkwasserkontrollen, alternative Energiequellen, etc.); und drittens ein deutsch-nationaler Gefühlsbrei, der allerdings so dosiert wird, daß das Programm noch als "seriös" durchgehen kann. Trotzdem werden hier die nötigen Stichworte gegeben, die auch dem harten Kern der Rechtsextremen noch symbolisiert, daß die REPs ihnen durchaus nahestehen. "Das Ende des II. Weltkrieges markiert eine gemeinsame Niederlage aller Deutschen" - und nicht nur des Faschismus. "Abzug aller ausländischen Besatzungstruppen vom Gebiet ganz Deutschlands". Schön auch die Textstelle, daß "in deutschem Namen anderen Völkern etwas angetan" wurde (hier läßt der gesamtdeutsche Kohl grüßen), während auch "andere Völker ... nicht frei von Schuld sind". Die DDR-REPs sind von ihren Praktiken, ihrer Mitgliedschaft und ihrer Programmatik her zweifellos keine neo-faschistische Partei, sie sind vielmehr ein politisches Scharnier zwischen rechts-demokratischen und rechtsextrem-faschistischen Strömungen und bemühen sich, um nationale und nationalistische Positionen herum eine wirksame soziale Koalition des entsprechenden Spektrums zu integrieren. Diese Einschätzung ist allerdings keine politische Entwarnung - im Gegenteil macht diese Scharnierfunktion die REPs politisch noch gefährlicher, als wenn es sich um eine weitere, rechtsextreme Splittergruppe unter anderen handeln würde. Auch die gegenwärtige Krise der REPs ändert daran nichts. Staatsapparat und rechte Szene Beschlüsse des Runden Tisches oder der Volkskammer wurden daher in bestimmten Bereichen nicht mehr durchgesetzt, etwa das Verbot bundesdeutscher Politiker, am DDR-Wahlkampf teilzunehmen - oder das Verbot der REPs. Dies wiederum hatte ideologische Konfusion zur Folge: zwei DDR-Volkspolizisten in Leipzig erklärten dem Verfasser auf mehrfache Frage, warum sie eigentlich die REPs trotz des Verbotes bei ihren Aktivitäten unbelästigt ließen, diese seien doch eigentlich gar nicht verboten, nur Gesetze dürften sie nicht brechen. Der nationale Taumel Ausländerfeindlichkeit ist beispielsweise in einem schockierenden Maße in der DDR verbreitet. Dies ist um so bemerkenswerter, als in der DDR nur rund 90.000 Ausländer leben. Trotzdem ist es schon keine Ausnahme mehr, wenn Arbeiter aus Angola, Mosambik oder Vietnam, oder wenn Kleinhändler oder Touristen aus Polen zusammengeschlagen werden. Rassismus und Sozialneid sind hier die beiden wichtigsten Triebfedern. Der knappe Wohnraum oder der Mangel an Waren werden oft als Grund für die Feinschaft gegen Ausländer vorgebracht, die Ausländer würden angeblich bevorzugt, wofür aber keine Anhaltspunkte vorliegen. Eher im Gegenteil: auch staatlicherseits wird Diskriminierung praktiziert. Schwarze oder asiatische Ausländer haben offensichtlich am meisten unter rassistisch motivierter Verfolgung zu leiden, Polen und Türken (oft aus Westberlin oder der BRD) wird insbesondere angekreidet, daß sie (im Gegensatz zu vielen DDR-Bürgern) über Westmark verfügen. Ausländer und Westmark: das ist offensichtlich eine besondere Provokation. Schließlich spielt eine Rolle, daß die meisten ausländischen ArbeiterInnen (aber auch StudentInnen) in der DDR in einer Art Kasernierung gehalten werden und zugleich relativ jung sind. Wenn dieser soziale (und sexuelle) Druck dieser Lebensverhältnisse in DDR-Diskotheken auf die einheimische Konkurrenz trifft, sind Konflikte oft programmiert, rechte Ideologen bemühen sich, dies politisch auszunutzen. Ähnlich mit dem heute verbreiteten nationalen Taumel. Noch ist schwer festzustellen, inwieweit die nationalistischen Stimmungen tatsächlich "nationale" ideologische Wurzeln aufweisen. Zwei Dinge vor allem wollen DDR-Bürger schell: die Zerschlagung all dessen, was nach SED (oder auch nur nach DDR) riecht, und ein wirtschaftliches Niveau wie in der BRD. Antikommunismus und - z.T. verständliche - wirtschaftliche Gier sind die Triebfedern des Nationalismus, die nationale Einheit die Legitimation, möglichst schnell an Westmark zu kommen. In gutem deutschen Geiste wird dieses Bedürfnis nach Wohlstand dann ideologisch überhöht, verkitscht und emotional überfrachtet, und tritt uns dann als nationaler Taumel entgegen. Der Kern dieser nationalen Frage liegt im Scheitern der DDR-Ökonomie, am knappsten auf die Formel gebracht, die auf einem Leipziger Transparent zu lesen war: "Kommt die D-Mark bleiben wir, kommt sie nicht, geh'n wir zu ihr". Jenseits der noch winzigen rechtsradikalen Organisationen hat sich in der DDR inzwischen ein breites und diffuses rechtsradikales Ideologiepotential aufgebaut, dessen weitere Entwicklung noch schwer abzuschätzen ist. Die Elemente rechtsradikaler Ideologie sind in der DDR heute alle vorhanden und z.T. bereits scharf ausgeprägt. Zugleich ist es bemerkenswert, in welchem Maße rechtsradikale Gruppen einschließlich der REPs weiterhin auf massive Ablehnung stoßen. Diese Situation wurde symbolisiert durch eine Situation am Rande einer der Leipziger Montagsdemo: ZuhörerInnen, die sich vor der Oper in einen nationalistischen Taumel hineinschreien und abweichende Meinungen schon für "Volksverrat" halten, brechen 100 m weiter in rytmische "Nazis raus, Nazis raus!"-Sprechchöre aus (ergänzt von "Ihr seid das Letzte, ihr seid das Letzte"-Rufen), als sie ein Dutzend REPs mit einem Transparent sehen. (Die REPs rufen etwas kläglich zurück: "Wir sind keine Nazis, wir sind keine Nazis!") Wenige Minuten später ist der anti-faschistische Spuk vorbei, die Deutschtümelei gewinnt wieder Oberhand, dann brechen "Helmut Kohl, das tut wohl" Sprechchöre aus, später "Rote raus". Etwas später höre ich: "Rote an die Wand!" Für nationalistische Amokläufe braucht man die REPs oder Skins hier wirklich nicht. Es geht hier nicht darum, ein völliges ideologisches Abgleiten nach Rechts für unvermeidbar zu halten. Diese Entwicklung ist zwar seit dem Jahresanfang in Gang gekommen, die Unstabilität der ideologischen Lage aber so beträchtlich, daß auch ein umgekehrter Pendelschlag nicht auszuschließen ist - das relativ gute Wahlergebnis der PDS deutet es an. Wichtig ist aber, die Bedeutung der kleinen rechtsradikalen Organisationen in der DDR vor dem Hintergrund der breiten Verankerung rechtsradikaler Gefühlsbilder in der Bevölkerung zu betrachten. Wenn sich diese Stimmung nicht mildert wird mittelfristig die Bedeutung der harten Rechten in der DDR zunehmen oder - was noch wahrscheinlicher ist - diese rechten Ideologien werden den größten Teil des gesamten politischen Spektrums durchsetzen und es insgesamt radikal nach rechts verschieben. Die ideologische Substanz des Rechtsradikalismus würde noch weiter hoffähig gemacht und die politische Mitte umdefinieren, bei gleichzeitiger formelhafter Distanzierung von rechtsextremen Organisationen. Und ein Anschluß der DDR an die BRD auf dieser Grundlage wird auch das politische Klima bei uns weiter mit verschieben. Ein neues "Wirtschaftswunder" aufgrund der fälligen Modernisierung und Übernahme der DDR und anderer Teile des bisherigen Warschauer Paktes wird so möglicherweise von einer Wiederauflage der dumpfen Ideologien der fünfziger Jahre begleitet sein.
siehe auch: “FDJler, Fascho, REP - Eine Ostberliner Karriere”
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