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Jochen Hippler

Internationaler Terrorismus.
Seine Folgen für die Internationalen Beziehungen




Zentralthese
Der internationale Terrorismus hat wichtige Folgen für die internationalen Beziehungen, obwohl seine Opferzahlen (etwa im Vergleich zu Verkehrstoten oder den Toten durch Schusswaffengebrauch in den USA) eher gering sind. Die Ursachen dafür liegen in seiner Verknüpfung mit anderen politischen Faktoren, zum Beispiel gewaltsamen Regionalkonflikten oder den Politiken von Nationalstaaten, etwa der USA und ihrem „Krieg gegen den Terrorismus“.
 
Auch wenn der „Neue Terrorismus“ nach dem 11. September 2001 viele Charakteristika seiner Vorgänger trägt, sind er und der internationale Kampf gegen ihn doch zu einem wichtigen Faktor der Weltpolitik geworden. Trotzdem werden sein Umfang und seine Bedeutung aufgrund seiner emotionalen Kraft und symbolischen Bedeutung häufig überschätzt.
 


Einleitung
Mehr als fünf Jahre nach den verheerenden Terroranschlägen des 11. September 2001 ist es Zeit für eine Bilanz, wie diese und der internationale Terrorismus insgesamt die internationalen Beziehungen beeinflusst haben. In den ersten zwei oder drei Jahren nach den Anschlägen herrschte allgemein eine Tendenz vor, den 11. September als eine historische Wasserscheide zu betrachten, nach der in den internationalen Beziehungen kaum etwas so sein würde wie zuvor. Die Berichte über und Bilder des Terrorangriffs auf das World Trade Center waren von so starker emotionaler Kraft, dass es den meisten Beobachtern und Analytikern schwer fiel, nüchterne Distanz zu wahren. Dazu kam, dass die US-Regierung ihre gesamte Außenpolitik nun in den Kontext der Terrorismusbekämpfung einordnete und einen „Krieg gegen den Terrorismus“ erklärte, der rhetorisch und politisch die Bühne der internationalen Politik beherrschte. Damit gab es zwei prägende Faktoren der Politik, Politikwahrnehmung und -Analyse: die Frage „neuer“ terroristischer Bedrohungen und die der zivilen und militärischen Antworten auf den Terrorismus.

Stellt man sich heute die Frage der Auswirkungen des Terrorismus auf die internationalen Beziehungen, dann sind unterschiedliche Ebenen der Analyse zu unterscheiden: einmal die direkten Folgen des Terrorismus, zweitens die der Terrorismusbekämpfung (bzw. des „Krieges gegen den Terrorismus“), da diese indirekt aus dem Terrorismus resultieren, und drittens diskursive Verschiebungen, die sich entweder aus den beiden ersten Punkten oder durch ihre kommunikativ-politische Instrumentalisierung ergaben. Es ist offensichtlich, dass die Klärung solcher Fragen beträchtliche methodologische Schwierigkeiten aufwirft. Im Kontext der bestehenden engen Verknüpfung zahlreicher Faktoren und Variablen (sowohl auf der Ursachen- als auch der Wirkungsseite) und der ebenso zahlreichen Rückkopplungsprozesse zwischen diesen ist es kaum jemals möglich, einfache Kausalketten (also die Zurückführung einer einzelnen Wirkung auf eine einzelne Ursache) zu identifizieren, sondern wird sich mit der Analyse gröberer Kausalitätstrends zufrieden geben müssen. In den internationalen Beziehungen wird es ja kaum jemals möglich sein, einzelne Variablen wie in einem Labor „chemisch rein“ zu isolieren und zu analysieren.

Ausgangspunkt einer Analyse der Folgen des Terrorismus müssen dessen Definition und eine kurze Bestandsaufnahme seiner aktuellen und mittelfristigen Ausprägung sein, da sonst die Gefahr besteht, dass die Unklarheit und politische Aufladung des Terrorismusbegriffs die Analyse verfälscht.


Definition des  Internationalen Terrorismus
An Definitionen des Terrorismus mangelt es nicht. In fast jeder Publikation zum Thema wird ein Überblick über die unterschiedlichen Begriffsverwendungen gegeben und dann eine eigene Definition hinzugefügt. Auch wenn diese terminologische Landschaft recht unübersichtlich ist, so lassen sich doch wichtige Gemeinsamkeiten der seriösen Definitionsversuche identifizieren: Terrorismus ist a) gewaltsam, b) politisch, und richtet sich c) gegen Zivilisten bzw. Nicht-Kombattanten. Prägnant wird dies auch durch die US-Regierung formuliert:

„The term terrorism means premeditated, politically motivated violence perpetrated against noncombatant targets by subnational groups or clandestine agents, usually intended to influence an audience.” (US Department of State, 2004: p. XII)

Der letzte Halbsatz dieser Formulierung erscheint in ähnlicher oder anderer Form in zahlreichen Definitionen, ist allerdings entbehrlich oder gar tautologisch: die Beeinflussung einer Zielgruppe durch terroristische Akte im Allgemeinen bzw. ein Ziel des Verbreitens von Angst und Schrecken zum Zwecke der Einflussnahme – wie häufig als Definitionsbestandteil formuliert – ist ja im politischen Charakter des Terrorismus bereits enthalten, bzw. betont unnötigerweise eine bestimmte Wirkungsweise des Terrorismus gegenüber anderen. Hier wollen wir deshalb Terrorismus einfach als politische Gewalt gegen Nicht-Kombattanten betrachten. Der Aspekt des Schreckens wird sicher häufig eine Rolle spielen, was allerdings im Kontext von Kriegen oder Aufstandsbewegungen ebenfalls keine Seltenheit ist und deshalb zur definitorischen Abgrenzung wenig beiträgt. Gerade die US-Strategie im letzten Irakkrieg unterstrich dies – sie wurde nicht umsonst vom US-Verteidigungsministerium als „Shock-and-Awe“-Strategie bezeichnet. Von internationalem Terrorismus sprechen wir dann, wenn terroristische Aktionen entweder grenzüberschreitenden Charakter haben oder gegen Staatsbürger oder Einrichtungen anderer Staaten unternommen werden.


Wie neu ist der „Neue Terrorismus“?
Seit dem 11. September 2001 ist häufig von einem „Neuen Terrorismus“ die Rede, der vor allem stärker globalisiert sei und sich neuer Methoden und Strategien bediene. Allerdings fällt auf, dass auch bereits zuvor, etwa in den 1990er Jahren, immer wieder vom „Neuen Terrorismus“ die Rede war, so dass sich die Frage stellt, ob und falls auf welche Weise mit den Anschlägen auf das World Trade Center eine neue Phase des Terrorismus begann. In den letzten dreißig Jahren hat das Phänomen des Terrorismus zwar Wandlungen durchlebt, aber viele Kontinuitäten dürfen nicht übersehen werden. Craig O. Haynes fasst die Charakteristika des Neuen Terrorismus so zusammen:

„Der Neue Terrorismus ist global, verfügt über unabhängige Finanzquellen, ist gut organisiert und wird durch Personen angeheizt, die ihr Scheitern dem Westen anlasten (und sich als im Gegensatz zu den westlichen Gesellschaften betrachten), sein tödlicher Charakter nimmt zu und er ist von Natur apokalyptisch.“ (Haynes 2002: 27)

Ein weiterer Aspekt, der immer wieder angeführt wird, ist der islamistische Charakter des Neuen Terrorismus, der auch von Kometer betont wird:
„Eine besonders wichtige Eigenschaft des heutigen Terrorismus ist zweifellos die Existenz militanter islamischer Gruppen auf der ganzen Welt.“ (Kometer 2004: 49)

Nun sind viele der behaupteten und einige zusätzliche Eigenschaften eines neuen Terrorismus kaum zu bestreiten, etwa sein globaler Charakter, enge Vernetzung, die Nutzung moderner Technologien, beträchtliche Finanzmittel, weitgehende finanzielle Unabhängigkeit und die Bedeutung des Islamismus. Es ist aber fraglich, ob es sich nicht nur um eine graduelle Weiterentwicklung älterer Trends handelt. Auch der „alte“ Terrorismus der 1970er und 1980er Jahre trug oft einen internationalen oder transnationalen Charakter, wie beispielsweise die Attentate der japanischen „Roten Armee“ auf den Flughafen in Tel Aviv, des palästinensischen „Schwarzen September“ auf israelische Sportler bei der Olympiade in München (beide 1972) oder die Entführung einer Air France Maschine durch palästinensische Terroristen nach Uganda (1976) demonstrierten. Auch er war gut organisiert, international vernetzt und nutzte die damals modernsten technischen Mittel. Und auch wenn der damalige Terrorismus sich nicht religiös rechtfertigte, so war auch er eng mit den Konflikten des Nahen und Mittleren Ostens verknüpft, wie die erwähnten Beispiele bereits belegen. Zwar ist offensichtlich, dass die Anschläge des 11. September 2001 durch ihre besondere Brutalität, das angewandte Mittel und die hohe Opferzahl den Rahmen des bisherigen Terrorismus sprengten.


Geographische Schwerpunkte terroristischer Anschläge
Die aktuelle Fixierung auf den islamistischen Terrorismus verstellt allerdings häufig den Blick darauf, dass auch in zahlreichen anderen Gesellschaften lokaler oder internationaler Terrorismus ein großes Problem darstellt. So machen Entführungen (rund 35.000 Fälle in 2005) weltweit fast die Hälfte aller terroristischen Akte aus, aber rund 95 Prozent erfolgten in einem einzigen – nicht muslimisch geprägten - Land, Nepal (NCTC 2006: X). Wenn wir aufgrund der aktuellen Kriege und Besatzungssituationen im Irak und in Afghanistan diese beiden Länder unberücksichtigt lassen, führen Indien, Kolumbien, Thailand und Nepal die Liste der am stärksten vom Terrorismus betroffenen Länder an. Vor einigen Jahren wäre Sri Lanka ebenfalls massiv vertreten gewesen.
Das folgende Schaubild gibt einen Überblick über die 15 Länder mit den meisten Todesopfern aufgrund von terroristischen Anschlägen.

(nur in der Druckfassung)

Allein in Indien kamen 2005 etwa so viele Menschen durch Terrorismus ums Leben, wie im Jahr zuvor auf der ganzen Welt durch den internationalen Terrorismus. Von über 14.600 Todesopfern durch Terrorismus insgesamt (interner und internationaler) ließen sich 2005 aufgrund einer Zählung des US-amerikanischen National Counterterrorism Center nur rund 4000 eindeutig islamistischen Tätern zuordnen, wie das folgende Schaubild veranschaulicht. In rund 58 Prozent aller Fälle ließ sich die Tätergruppe nicht eindeutig bestimmen.

Betrachten wir die regionale Verteilung von Anschlägen des internationalen Terrorismus für 2003 – also bevor die zunehmenden Anschläge in Irak und Afghanistan die weltweite Bilanz zu verzerren begangen, ergibt sich folgendes Bild.
 

 (nur in der Druckfassung)

 

Anschlags- und Opferzahlen
Wenn wir den internen Terrorismus außer acht lassen und uns auf den internationalen konzentrieren, ergibt sich auch in längerer Perspektive keine dramatisch neue Entwicklung, etwa gemessen an der Zahl internationaler Terroranschläge oder den Opferzahlen. Im Gegenteil wird deutlich, dass vom Ende der 1960er Jahre bis in die zweite Hälfte der 1980er Jahre die Anschlagshäufigkeit zunahm (von deutlich weniger als 200 auf mehr als 600), und danach wieder auf bis auf unter 200 zurückging.

Erst 2004 stiegen die Anschlagszahlen nach der Zählung des US-Außenministeriums sprunghaft an: auf 651 Anschläge mit 1907 Todesopfern, von denen allerdings knapp 200 Anschläge allein im Irak erfolgten und zahlreiche weitere einen direkten oder indirekten Zusammenhang zum Irak aufweisen dürften.

Nach Daten des US-Außenministeriums wurden 2005 bei terroristischen Anschlägen 56 US-Bürger getötet – 85 Prozent davon im Irak. Fast 30 Prozent aller Terroranschläge weltweit und 55 Prozent aller Todesopfer gab es im Irak. (NCTC 2006: IX)

Aber selbst diese Zahlen, die von der US-Regierung im Gegensatz zu den früheren Jahren nicht publiziert wurden, (Glasser 2005a: A01; Glasser 2005b: A23) um den „Krieg gegen den Terrorismus“ nicht als gescheitert erscheinen zu lassen, liegen in einem Bereich, der Mitte der 1980er Jahre bereits erreicht war. Damit ist deutlich, dass der vorgeblich „neue“ Terrorismus auch vom Umfang her keine neue Dimension erreicht hat.

(nur in der Druckfassung)

Bei diesen Zahlen sollte daran erinnert werden, dass sie selten unumstritten sind, selbst innerhalb der US-Regierung. Dies liegt an Fragen der Methodologie (Probleme der Datenerhebung; welche Anschläge werden berücksichtigt?; ist es sinnvoll, einen Anschlag ohne Todesfolge ebenso zu gewichten wie einen katastrophischem Ausmaßes?), aber auch daran, dass politische Eigeninteressen diese verfälschen können. Andererseits werden hier ausschließlich Fälle des internationalen, nicht des innergesellschaftlichen Terrorismus berücksichtigt, der allerdings weit umfangreicher ist. Das US National Counterterrorism Center gab beispielsweise für 2005 die Zahl aller terroristischen Anschläge für alle Länder (also einschl. der innerstaatlichen) mit rund 11.000 an, die 14.600 Tote zur Folge hatten (US National Counterterrorism Center 2006: IX).

Der Terrorismus der letzten Jahre ist sicher nicht identisch mit dem vor zwei oder drei Jahrzehnten, aber das liegt nicht primär an ihm selbst, sondern an den veränderten Rahmenbedingungen: Hätte er seine Erscheinungsform nicht angepasst und modernisiert, dann wäre er heute ein Museumsstück. Weiterentwickelte Fahndungsmethoden, neue Chancen durch neue Technologien, ein veränderter politischer Rahmen und insgesamt die Globalisierung politischer, wirtschaftlicher und organisatorischer Abläufe haben den Terrorismus zur Adaption genötigt, dieser ihn vollzogen. Einer der wichtigen politischen Unterschiede liegt tatsächlich, wie auch in der Literatur immer wieder unterstrichen wird, in der heute wichtigen Bedeutung mancher Varianten des Islamismus, auch wenn dies natürlich auf säkulare oder nichtmuslimische Terrorgruppen nicht zutrifft. Zugenommen hat auch die Taktik der Selbstmordanschläge, die allerdings bereits in der Zeit des „alten“ Terrorismus und durch säkulare Gruppen (etwa die palästinensische PFLP, die kurdische PKK und die tamilischen Tamilentiger) in das Repertoire der politischen Gewalt eingeführt worden war.

Betrachtet man das Bedrohungspotential des internationalen Terrorismus, fällt zuerst auf, dass seine Opferzahlen (vom Jahr 2001 aufgrund der Anschläge des 11. September einmal abgesehen) in den letzten Jahrzehnten nicht gestiegen und eigentlich eher gering sind. Bemerkenswert ist auch, dass die berüchtigte Terrororganisation al-Qaida, das zentrale Ziel des US-„Krieges gegen den Terrorismus“, in den Jahren 2003 und 2004 insgesamt weltweit nur 11 Anschläge verübte, die zusammen 304 Todesopfer forderten (Glasser 2005b: A23) – zweifellos grauenvolle Verbrechen, aber für sich genommen kaum ein Hinweis auf die überragende Bedeutung und die globale Gefährlichkeit des Terrornetzwerkes.
Auffällig ist auch, dass US-Bürger oder –Einrichtungen überdurchschnittlich häufig Ziel von Anschlägen des internationalen Terrorismus sind, aber nur eine sehr geringe Zahl der Opfer ausmachen. So wurden 2004 rund 10 Prozent aller Anschläge auf US-Ziele verübt, aber nur 1 Prozent der Opfer waren US-Amerikaner. (US National Counterterrorism Center 2005: 86, 87)
Erneut muss bei diesen Zahlen daran erinnert werden, dass es sich ausschließlich um solche zum internationalen Terrorismus handelt – wollte man sämtliche terroristischen Anschläge berücksichtigen, lägen sie deutlich höher. Das US National Counterterrorism Center spricht für 2005 von mehr als 14.500 Toten weltweit.


Der Bedeutung des internationalen Terrorismus
Der internationale Terrorismus der letzten Jahre stellt also nicht durch seinen prinzipiell neuen Charakter oder seinen Umfang ein Problem für die internationalen Beziehungen dar, sondern aufgrund folgender Faktoren:

  • Die Verwundbarkeit moderner Gesellschaften ist in den letzten Jahrzehnten weiter gestiegen (Stichwort: Risikogesellschaft), so dass Angriffe empfindlichere Folgen haben können.
  • Der Terrorismus wird wegen seines Potentials, nicht allein wegen seiner realen Praktiken als besondere Bedrohung wahrgenommen – nicht nur die tatsächlich begangenen Attentate oder Bombenanschläge, sondern die bloße Möglichkeit eines terroristischen Einsatzes z.B. von Massenvernichtungswaffen sind ein entscheidender Faktor seiner Bedeutung.
  • Der internationale Terrorismus ist kein isoliertes Phänomen, sondern mit vor allem den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten (bis Afghanistan und Pakistan) und den westlich-muslimischen Beziehungen allgemein verknüpft.
  • Der internationale und lokale Terrorismus vermag in einzelnen Ländern und Regionen bestehende Probleme und Instabilitäten zuzuspitzen und so regionale oder globale Reaktionen provozieren.
  • Auch wenn der internationale Terrorismus objektiv den USA (oder dem Westen insgesamt) kaum mehr als empfindliche Nadelstiche versetzen kann, so ist er doch von hoher symbolischer Bedeutung, indem er die bestehenden Machtverhältnisse offen, gewaltsam und inzwischen auch in den Metropolen herausfordert.
  • Der Terrorismus ist auch deshalb von hoher Bedeutung für die internationalen Beziehungen, weil er wichtigen Mächten (insbesondere den USA) einen Anlass bietet, selbst eine radikale Politik des „Counterterrorismus“ (offensive, oft militärische Maßnahmen gegen terroristische Akteure) zu betreiben, die sich dramatisch auf die internationale Politik auswirkt („Krieg gegen den Terror“, Irakkrieg, etc.).

Eine Bewertung der tatsächlichen Folgen des internationalen Terrorismus wird dadurch erschwert, dass diese zum Teil auf der diskursiven oder politisch-emotionalen Ebene liegen und daher schwer messbar, dass sie von denen der Terrorbekämpfung oft schwer zu unterscheiden, und dass sie häufig mit anderen politischen Faktoren verknüpft sind, die mit dem Terrorismus oder seiner Bekämpfung eigentlich nichts zu tun haben. Seine wirtschaftlichen Folgen sind ebenfalls schwer messbar. Trotzdem lassen sich folgende Felder benennen, in denen der internationale Terrorismus direkt oder indirekt wichtige Folgen für die internationalen Beziehungen zeitigt:

  • Nationale, regionale und globale ökonomische Folgen;
  • Seine Auswirkungen im Rahmen international relevanter Regionalkonflikte;
  • Seine Auswirkungen auf das westlich-muslimische Verhältnis;
  • Seine Veränderung des internationalen „Klimas“ und der Verschiebung globaler Diskurse;
  • Seine indirekten Wirkungen, die er durch den „Krieg gegen den Terrorismus“ zustande gebracht hat.
     

Wirtschaftliche Auswirkungen des Terrorismus
Die ökonomischen Folgen des Terrorismus liegen auf zumindest drei unterschiedlichen Ebenen: Den direkten Zerstörungen durch Anschläge und ihre direkten Auswirkungen, etwa direkte Schäden an Gebäuden, Infrastruktur und ähnlichem und deren Folgen für Produktions- oder Transportkosten. Diese Kosten sind vergleichsweise überschaubar, wenn es sich etwa um Bombenanschläge handelt. Im Fall eines Anschlags wie dem vom 11. September 2001 liegen sie entsprechend höher und erreichen den Umfang von Schäden, wie sie auch durch manche Naturkatastrophen verursacht werden. Die direkten Schäden des 11. September waren beispielsweise etwa halb so hoch wie die des Erdbebens im japanischen Kobe (1995). Die Sachschäden des 11. September 2001 lagen bei etwa 21,8 Mrd. US-Dollar, schätzt man die zukünftigen – da nun nicht mehr zu erzielenden – erwarteten Einkünfte der getöteten Anschlagsopfer, kämen 8,7 Mrd. Dollar hinzu. Dazu könnte man weitere 0,9 Mrd. Dollar addieren, die für die Betreuung der physischen und psychischen Nachsorge der Überlebenden entstanden. (Krugman 2004: 2) Man könnte annehmen, dass die materiellen Schäden des Terrorismus leicht zu ermitteln sind, aber es stellen sich schwere methodologische Probleme: So stellen erhöhte Versicherungsprämien oder Transportkosten als Folge terroristischer Anschläge zwar Kostenfaktoren für bestimmte ökonomische Akteure dar, sind aber andererseits eher eine Umverteilung von Ressourcen denn ein ökonomischer Schaden für eine Volkswirtschaft. Andererseits kann die Erhöhung der Transaktionskosten eine Volkswirtschaft insgesamt belasten, wenn dieser Effekt auch schwer zu beziffern ist.

Zweitens führt der internationale Terrorismus zu wirtschaftlichen Kosten durch die Anstrengungen zu seiner Bekämpfung und Vorbeugung. Sicherungsmaßnahmen an Häfen oder Flughäfen, der Ausbau der Polizei- und Sicherungsapparate oder militärische Aufrüstung als Reaktion auf den Terrorismus können beträchtliche Kosten verursachen, die über die direkten Anschlagsfolgen weit hinausgehen. So stiegen die Ausgaben der USA für „Nationale Sicherheit“ im breiten Sinne von 2001 bis 2004 von etwa 3,4 auf 4,7 Prozent des Bruttosozialprodukts. (Krugman 2004: 7) Die zusätzlichen Kosten für die Sicherung des nordamerikanischen Handels nach dem 11. September 2001 sollen bei zwischen 1 und 3 Prozent dessen Umfangs gelegen haben, also zwischen 5,6 und 15,8 Mrd. Dollar. (Raby  2003: 6) Allerdings stellen sich auch hier kaum lösbare methodologische Probleme: nicht jede Steigerung des Militärhaushalts beispielsweise muss kausal mit dem Terrorismus zusammenhängen, auch wenn eine Regierung dies behaupten mag. So wurde der Irakkrieg auch mit dem „Krieg gegen den Terrorismus“ begründet, erfolgte aber tatsächlich aus imperialen Gründen.

Drittens verursacht der Terrorismus ökonomische Kosten durch eine Veränderung der Konsummuster und andere eher psychologische Faktoren. Der Einbruch beim Tourismus und insbesondere bei den Umsätzen der Fluggesellschaften sind Beispiele.

Insgesamt müssen die wirtschaftlichen Folgen des internationalen Terrorismus differenziert betrachtet werden, da sie zwar real sind, aber häufig mit der Umverteilung von Ressourcen zwischen Firmen, Branchen oder Regionen (anstatt eines bloßen Verlustes) vermischt sind. (So kann ein Einbruch des Tourismus in der Türkei oder Ägypten mit einer Zunahme anderswo verknüpft sein, es können Transporte von der Luft auf die Schiene oder Schiffe umgeleitet werden.) Deshalb müssen wirtschaftliche Schäden einzelner Akteure oder Wirtschaftssektoren von Schäden einer ganzen Volkswirtschaft unterschieden werden. Die empirischen Daten belegen, dass kleine Volkswirtschaften oder Regionen (z.B. Israel oder das Baskenland, in dem das Bruttosozialprodukt durch den Terrorismus um schätzungsweise 10 Prozent unter dem potenziellen liegen soll) weit stärker von den ökonomischen Folgen des Terrorismus leiden als große, wie etwa die USA. Dort erwiesen sich die wirtschaftlichen Folgen selbst eines so einschneidenden Anschlags wie dem des 11. September als eher kurzfristig.
 

Folgen des internationalen Terrorismus

Wirtschaftliche Folgen

Politische Folgen

Psychologische und diskursive Folgen

 

 

 

Direkte Anschlagsschäden

Verschärfung, weitere Destabilisierung und Internationalisierung von Regionalkonflikten;
Schwächung lokaler Regime

 

Zusätzliche Belastung der westlich-muslimischen Beziehungen

Indirekte Folgekosten

“Krieg gegen den Terrorismus” und dessen Auswirkungen

 

Verhärtung internationaler Diskurse, größere Glaubwürdigkeit und Betonung von Sicherheitsargumenten über andere Erwägungen

 

Zusätzliche Sicherheitskosten

Indirekte Folge: Schwächung von UNO und Völkerrecht

 

 

Terrorismus und Regionalkonflikte
Terrorismus als isoliertes Phänomen bleibt ein nur mäßig wirksames politisches Kampfmittel, wie die Politik der bundesdeutschen „Roten Armee Fraktion“ (RAF), der japanischen „Roten Armee“ oder der US-amerikanischen „Weathermen“ demonstrierten. Wenn terroristische Praktiken allerdings in relevante soziale oder politische Kämpfe integriert und deren Ausdruck sind, wenn sie insbesondere nur ein Element neben anderen darstellen und mit weiteren Mitteln des gewaltsamen oder gewaltlosen Kampfes verknüpft sind, können sie durchaus politisch wirksam sein. Diese häufige Vermischung terroristischer und nicht-terroristischer Aktionsformen erschwert allerdings einerseits die terminologische Klarheit (wenn grundlegend zivile, religiöse, oder politisch-soziale Bewegungen oder das Militär oder der Geheimdienst eines Staates punktuell Terrorismus anwenden – sind sie dann insgesamt „terroristische Organisationen“?), andererseits auch die Wirkungsanalyse: Wenn der Terrorismus vor allem in der Verflechtung mit anderen Praktiken Wirkung erzielt, ist seine eigene schwer zu isolieren. Terrorismus ist nur eine Form politischer Gewalt, die häufig mit anderen (z.B. Aufständen, Guerillakrieg, bewaffneten Widerstand, gewaltsamen Demonstrationen, etc.) kombiniert vorkommt. Terrorismus ist ja nur die Unterkategorie politischer Gewalt, die sich gegen Nicht-Kombattanten richtet – während häufig parallel auch Angriffe gegen rein symbolische Ziele oder Kombattanten oder primär spontane, ungeplant-situative Gewaltakte erfolgen.

Betrachten wir als Beispiel die politische Gewalt im Irak, so müssen Anschläge gegen die Besatzungstruppen (oder als solche empfundene fremde Militäreinheiten), aufstandsähnliche Gewaltakte gegen interne oder externe bewaffnete Kräfte oder bürgerkriegsähnliche Unruhen einerseits streng von terroristischen Aktionen getrennt werden, um sie nicht mißzuverstehen. Andererseits bleibt die Trennlinie oft fließend, weil entweder die gleichen Akteure mehrere oder alle dieser Gewaltformen anwenden oder unterschiedliche Akteure bewusst oder unbewusst arbeitsteilig vorgehen. Von den schätzungsweise 16-20.000 Aktivisten eines gewaltsamen Widerstandes im Irak dürften etwa nur fünf Prozent zu eingesickerten islamistischen Terrorgruppen (insbesondere der um Abu Musab al-Zarqawi, die sich im Herbst 2004 offiziell Al-Qaida unterstellte) gehören, auch wenn diese aufgrund ihrer besonderen Brutalität (Enthauptung von Geiseln, Bombenanschläge auf schiitische Moscheen, etc.) einen großen Teil der Medienaufmerksamkeit auf sich ziehen. Aber die zunehmenden Konflikte zwischen den gewalttätigen Gruppen verlaufen inzwischen nicht allein zwischen den internen Aufständischen und den eingesickerten Terroristen (zwischen denen es mehrfach zu Kämpfen kam), sondern auch zwischen der offiziell zu Al-Qaida gehörenden Terrorgruppe Zarqawis und der Führungsebene von Al-Qaida im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Dies wurde in einem Brief von bin Ladins Stellvertreter, Ayman al-Zawahiri, an Zarqawi im Sommer 2005 deutlich, als dieser deutliche taktische Kritik an den Enthauptungen und den Angriffen auf Schiiten äußerte und sich statt dessen für eine Stärkung des Volkswiderstandes aussprach. (Zawahiri 2005)

Die Auswirkungen des gewaltsamen Widerstandes insgesamt sind im Irak beträchtlich. Er hat den US-Truppen und ihren Verbündeten sowie den neuen irakischen Sicherheitskräften schwere Verluste zugefügt, schädigt den wirtschaftlichen Wiederaufbau in hohem Maße (insbesondere die Ölindustrie und den Ölexport) und trägt zur Destabilisierung des politischen Prozesses bei. Ein Effekt der politischen Gewalt liegt auch darin, dass die arabischen Sunniten politisch nicht länger marginalisiert werden können, da nur deren Integration in den politischen Prozess ein Ende der Gewalt ermöglicht. (Hippler 2006) Andererseits ist fraglich, in welchem Maße der Terrorismus zu diesen Wirkungen beiträgt. Er hat einerseits die Verluste der USA und ihrer Verbündeten sowie die wirtschaftlichen Kosten erhöht und trägt sicher zur Vertiefung der Instabilität und einer gewissen psychologischen Verunsicherung in den USA und dem Irak bei, wäre ohne den Hintergrund einer allgemeinen Unzufriedenheit der arabischen Bevölkerung und den Widerstand arabischer Sunniten isoliert und wenig wirksam. Nur in diesem Kontext erlangt er politische Bedeutung, die über seine direkt verursachten Opfer und Schäden und psychologische Faktoren hinausgeht. Verknüpft allerdings mit der katastrophalen Politik der USA im Irak und dem politischen und gewaltsamen Widerstand relevanter Sektoren der arabischen Bevölkerung hat er erkennbar dazu beigetragen, die US-Position innenpolitisch und international zusätzlich zu untergraben.
 

Im ersten Halbjahr 2005 gab es in Afghanistan 5 Selbstmordanschläge, im zweiten bereits 16. Und in den ersten vier Monaten des Jahres 2006 bereits mindestens 28.
(NCTC 2006: X; und: FAZ 28. April 2006: 6)

In anderen Regionalkonflikten stellt sich dies ähnlich dar. Auch in Palästina beispielsweise sind terroristische und andere gewaltsame Widerstandsformen miteinander und mit breiterem zivilen Widerstand verknüpft und gewinnen erst so ihre Wirkungsmöglichkeit. Und genau so, wie im Irak ein direkter Sieg der Gewaltakteure über die US- und irakischen Truppen nicht denkbar ist, sie aber doch eine relevante Wirkung erzielen, so haben auch in Palästina die unterschiedlichen Gewaltakteure keine Chance auf einen Sieg über die israelischen Besatzungstruppen - gleichgültig ob es sich im Einzelfall um prinzipiell legitimen Widerstand gegen eine völkerrechtswidrige Besatzung oder terroristische Gewalt gegen Zivilisten handelt. Trotzdem bleiben die unterschiedlichen Formen politischer Gewalt auch hier nicht folgenlos. Sie erhöhen die politischen, ökonomischen und psychologischen Kosten der Besatzung, weisen die internationale Gemeinschaft immer wieder auf ein wichtiges ungelöstes Problem hin und sind ein wichtiges Mittel, um in der palästinensischen Gesellschaft den Einfluss mancher Gruppen gegen andere zu erhöhen. Ähnliches gilt für die israelische Politik: auch dort zielt militärische und punktuell terroristische Gewalt (etwa die gezielten, präventiven Morde an palästinensischen Aktivisten) nicht allein auf den Gegner, sondern auch auf die eigene Öffentlichkeit. Aber in beiden Fällen sind terroristische Mittel bezogen auf ihre Wirkungen und Folgen ein zweischneidiges Schwert: sie sollen die eigene Entschlossenheit demonstrieren und den Gegner demoralisieren, führen aber auch zur Untergrabung der eigenen politischen Position und Legitimität in der Weltöffentlichkeit und in geringerem Maße in der eigenen Gesellschaft und können die Entschlossenheit der Gegenseite stärken.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der internationale und lokale Terrorismus in virulenten Regionalkonflikten (wie auch in Afghanistan, Tschetschenien, Kaschmir und anderswo) die internationale Politik durchaus beeinflusst, indem er die jeweiligen Konflikte auf der Tagesordnung der Weltpolitik hält und externe wie interne Akteure zwingt, sich mit ihnen zu beschäftigen, dass ihre Wirkung aber nicht aus sich selbst heraus entspringt, sondern aus ihrem politischen Kontext und der Verknüpfung mit nicht-terroristischen Widerstandsformen. Für sich allein genommen bliebe der Terrorismus in Regionalkonflikten ein bloßer Störfaktor von begrenztem Gewicht für die internationalen Beziehungen.


Folgen für die interkulturellen Beziehungen
Die Beziehungen zwischen westlichen und muslimisch geprägten Gesellschaften sind schwierig, was nicht so sehr an deren kulturellen Unterschieden liegt, sondern vor allem durch politische und ökonomische Faktoren bedingt ist, die allerdings auch kulturelle Prägungen nach sich ziehen. Dabei wiederum wird auf den historischen Kulturbestand zurückgegriffen. Die Bevölkerungsmehrheit und – noch stärker – die politische Klasse in vielen muslimisch geprägten Gesellschaften betrachten westliche Länder mit beträchtlichem Misstrauen. Ihre Vorwürfe lassen sich so zusammenfassen, dass „der Westen“ ihnen gegenüber primär an Dominanz und wirtschaftlicher Ausbeutung (Energieressourcen) interessiert sei; dass er die lokalen Eliten und Regierungen gängele und als Mittel der eigenen Kontrolle instrumentalisiere und auch repressive und korrupte Regime unterstütze, wenn dies nützlich sei; und dass er in Schlüsselkonflikten systematisch doppelte Maßstäbe verwende, so etwa trotz aller Menschenrechtsrhetorik die Besatzungspolitik Israels in Palästina direkt und indirekt unterstütze. Diese Vorwürfe sind im Kern kaum von der Hand zu weisen, werden in den letzten Jahren aber zunehmend ideologisiert und von der Ebene der Politik auf die der Identitäten und der „Kultur“ verlagert: Viele Muslime hegen den Verdacht, dass der Grund dieser westlichen Politik entweder in seinem christlichen oder atheistischen Charakter, in seiner Islamfeindschaft oder in einer „Kreuzzugsmentalität“ liege. Letztlich werden auf diese Weise klassische Elemente des Nord-Süd-Konfliktes kulturalisiert und z.T. theologisiert, wodurch sie Lösungen noch schwieriger zugänglich werden.

In westlichen Ländern umgekehrt besteht eine Tendenz, muslimisch geprägte Länder und Gesellschaften vor allem als Bündel aus Problemen und Bedrohungen zu betrachten, die vom Migrationsdruck aus dem Maghreb oder der Türkei über Unsicherheiten bei der Ölversorgung bis zur Angst vor Fanatismus und Gewalt reichen. Auch hier kommt es zu einer Ideologisierung und Kulturalisierung des Verhältnisses, indem die realen oder befürchteten Bedrohungen mit dem Charakter der dortigen Gesellschaften in Zusammenhang gebracht werden und oft durch z.B. arabische oder muslimische Eigenschaften erklärt werden. So wird aus der Angst vor Gewalt (die angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse umgekehrt rationaler wäre) die vor einer „grünen Gefahr“, zu einer „Islamisierung“ alles dessen, was man ablehnt oder fürchtet.

Vor dem Hintergrund realer Konflikte und Probleme und deren ideologischen Überhöhung zu einem grundlegenden Kulturkonflikt hat sich der internationale Terrorismus in seiner islamistischen Ausprägung als ein wesentlich verschärfender Faktor erweisen. Er gibt Teilen der muslimisch geprägten Gesellschaften eine Projektionsfläche, auf die die anti-westlichen Einstellungen fokussiert werden, er wird – meist situativ, nicht prinzipiell – auch von Teilen der Bevölkerung emotional begrüßt, die selbst nicht zur Gewalt neigen oder mit islamistischer Ideologie wenig im Sinn haben, die aber die anti-amerikanische (oder anti-westliche) Stoßrichtung begrüßen. Auch wenn der aller größte Teil muslimisch geprägter Gesellschaften von der Brutalität vieler terroristischer Anschläge menschlich schockiert ist, so existiert daneben doch ein unterschwelliges Gefühl, es dem übermächtigen Gegner endlich einmal gezeigt zu haben. Angesichts der selbst erlittenen Ungerechtigkeiten und Erniedrigungen mögen die Anschläge – so dieses vorpolitische Empfinden – zwar „eigentlich“ falsch und unmenschlich sein, aber in gewissem Sinne sei der Westen doch selber Schuld. Dabei geht häufig der entscheidende Unterschied verloren, dass zwar Widerstand gegen Bevormundung und Unterdrückung legitim sein mag, dessen terroristische Ausprägung (also politische Gewalt gegen Zivilisten) aber immer verbrecherisch ist.

Umgekehrt stärkt der internationale Terrorismus in westlichen Gesellschaften die Bedrohungsvorstellungen, vertieft die Angst vor dem Fremden und die Wahrnehmung ihrer Selbst als Opfer statt als Täter, und er fördert die Wahrnehmung muslimischer Gesellschaften als irrational, gefährlich und fanatisch – was insgesamt zu einer Verhärtung eigener Sichtweisen, zur politischen Betonung von „Sicherheit“ über andere Fragen und zu einer Militarisierung des Denkens und Handelns führen kann und (nicht nur in den USA) oft auch führt.

Die negativen Auswirkungen des Terrorismus auf die wechselseitige Wahrnehmung westlich und muslimisch geprägter Gesellschaften sind nicht die Ursache des verschärften Klimas und gegenseitigen Misstrauens, aber ein wichtiger zusätzlicher Faktor. Sie treffen auf eine Situation, in der konservative, islamische und islamistische Kräfte einerseits und kulturalistische Ideologen im Westen sich gegenseitig die Bälle zuspielen und sich wechselseitig als Beleg dafür vorweisen, dass es sich bei den politischen Konflikten zwischen beiden Seiten vor allem um eine kulturelle Auseinandersetzung handele. Die internationalen Beziehungen werden dadurch indirekt beeinflusst, indem so das innenpolitische Klima in westlichen und nahöstlichen Ländern verändert wird und auf die Außenpolitik entsprechend einwirkt. Andererseits vermag auch die Außenpolitik solche Stimmungen für sich zu instrumentalisieren. In diesem Feld wechselseitiger Beeinflussung innenpolitischer Wahrnehmungen und Stimmungen hat sich der internationale Terrorismus als ein wichtiger zusätzlicher Faktor erwiesen, der gegenseitigen Bedrohungsvorstellungen und die Bereitschaft zu offensiven Reaktionsformen zuspitzt. Sein Wirkung bestand zugleich in der Auslösung von Bemühungen um einen „Dialog der Kulturen“ zwischen der westlich und der muslimisch geprägten Welt, der zur Dämpfung der konfrontativen Atmosphäre beitragen soll, in den letzten Jahren in der Emotionalisierung zwischen Terrorismus und Irakkrieg aber wenig bewirken konnte.


Verhärtung internationaler Diskurse
Jenseits der Komplizierung der westlich-muslimischen Beziehungen hat der internationale Terrorismus auch andere globale Diskurssektoren verändert. Aber ebenso, wie bei den anderen Aspekten seiner Wirkungen und Folgen der Terrorismus selten als alleiniger und ursächlicher Faktor auftritt, ist dies auch hier nicht der Fall. Zwar hat er eine Tendenz zur stärkeren Anwendung von hard power vor soft power – insbesondere die Selbstverständlichkeit einer Anwendung militärischer Gewalt - verstärkt und erleichtert, dieses aber kaum selbst und allein verursacht. So hat die US-Regierung im Kontext ihres „Krieges gegen den Terrorismus“ (siehe unten) auch einen ideologischen „Krieg“ begonnen, der vor allem auf das Konstrukt von „Schurkenstaaten“ (rogue states), das vorgebliche Recht auf etwas völkerrechtlich so zweifelhaftes wie vorbeugende Selbstverteidigung (preemptive strikes; expliziert in den Nationalen Sicherheitsstrategien der USA von 2002 und 2006) und neue atomare Einsatzpläne gegen Schurkenstaaten und deren terroristischen Verbündeten fokussiert. Im Kern werden so neue Feinde definiert, diese Feindschaft zum großen Teil mit einer terroristischen Bedrohung begründet und Gewaltanwendung als automatisch legitim unterstellt, auch wenn Völkerrecht und UNO-Charta das Gegenteil beinhalten. Zusätzlich wird in diesem Diskurs der Terrorismus meist mit der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen verknüpft, während die Notwendigkeit eines Beleges oder Beweises für vermutete Bedrohungen für nebensächlich gehalten wird, wie der Irakkrieg belegte.
Vieles deutet darauf hin, dass eine solche stärkere Betonung von unilateraler Politik, von militärischen Mitteln, einer Missachtung oder Untergrabung des Völkerrechts und der Schwächung der UNO unabhängig vom Terrorismus und zu Zwecken der Durchsetzung eines eng definierten „nationalen Interesses“ erfolgte und bereits vor dem 11. September 2001 in der US-Politik angelegt war. Es ist aber nicht zu übersehen, dass der internationale Terrorismus eine wichtige Rolle dabei spielte und spielt, diese Veränderungen zu legitimieren und zuzuspitzen. Deshalb sind die Verschiebung der internationalen Diskurse - und ein gewisser Widerstand dagegen - nicht direkte Folgen des Terrorismus, sondern eines Zusammentreffens US-amerikanischer strategischer Absichten mit diesem. Trotzdem hat der Terrorismus selbst zu einer Militarisierung der internationalen Politik beigetragen und diese zumindest schneller und weitreichender ablaufen lassen. Es muss auch angemerkt werden, dass den terroristischen Schlüsselakteuren – z.B. al-Qaida – diese Folgen ihres Handelns durchaus genehm waren, da sie eine Verschärfung und Polarisierung des internationalen Klimas insgesamt (und zwischen „dem Westen“ und der muslimischen Welt im Speziellen) anstreben, um ihre politischen Ziele besser erreichen und sich als politisch relevant etablieren zu können.


„Krieg gegen den Terrorismus“
In diesem Rahmen hat der Terrorismus aber nicht allein eine gewisse indirekte Wirkung auf die globale Diskussion der internationalen Beziehungen gehabt, sondern diese auch direkt beeinflusst. Auch wenn die Absichten des „Krieges gegen den Terrorismus“ erkennbar breiter sind als die schlichte Terrorismusbekämpfung, nämlich dreierlei bezweckten: „die tatsächliche Jagd auf Terroristen und ihre Hintermänner, diese aber auch zum Vorwand nahm, zugleich auch die eigene Position im Nahen und Mittleren Osten und in Zentralasien auszubauen, sowie unter dem Solidaritätsdruck der Terrorangriffe die eigene, globale Führungsrolle auszubauen“ (Hippler 2004: 3) – so stellt sein Form und Rhetorik doch zumindest zum Teil eine Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001 dar.
Zu diesen drei materiellen Dimensionen des „Krieges gegen der Terrorismus“ gehört noch dessen ideologische, die mehrere wirkungsmächtige und anscheinend allgemein gültige Diskurse in den Dienst der US-Politik stellt (etwa die Terrorbekämpfung und den Demokratieexport).

(nur in der Druckfassung)

Es ist offensichtlich, dass die regionalen und globalen Strategien der USA (und die anderer Staaten) zwar vom internationalen Terrorismus beeinflusst werden (etwa indem sie sich gegen die durch ihn verstärkte Instabilität und die Bedrohung befreundeter Regime wenden), dass sie aber weit umfassender sind und nicht erst nach dem 11. September 2001 formuliert wurden. Die regionalen und globalen Strategien Washingtons haben zum Beispiel vor allem mit wirtschaftlichen Interessen (etwa der Energieversorgung und dem Ölexport vom Persischen Golf), der Sicherung der eigenen Hegemonie in der Region und des unipolaren Charakters des internationalen Systems und der militärpolitischen Kontrolle (etwa durch ein Netz von Stützpunkten, Rüstungsexporte, etc.) zu tun. Die Wirkungen und Folgen des internationalen Terrorismus bestehen darin, dass dieser die anderen Ziele beeinflusst und für eine leicht verschobene Akzentuierung sorgt, dass er den zusätzlichen Aspekt der Terrorbekämpfung hinzufügt, und dass er der ideologischen Begründung der interessengeleiteten Strategien ein wichtiges und überzeugendes Argument hinzufügt. In diesem Sinne bewirkte der Terrorismus einerseits eine Abwehrbewegung gegen sich selbst, zugleich aber eine legitimatorische Stärkung der US-Politik bei der Verfolgung ihrer Interessen.

(nur in der Druckfassung)

Der „Krieg gegen den Terrorismus“, der offensichtlich durch den 11. September ausgelöst wurde, auch wenn viele seiner Bestandteile weit über die Terrorbekämpfung hinausweisen, brachte weitere Folgen für die internationalen Beziehungen: Neben der bereits erwähnten Schwächung von Völkerrecht und UNO muss auch eine Schwächung der Menschenrechte konstatiert werden, die in einem bemerkenswerten Widerspruch zum Anspruch eines Demokratisierungskreuzzuges steht. Einerseits haben die USA selbst in höchst symbolischer Art Menschen- und Völkerrechtsverletzungen begangen, etwa durch Folter bis zur Todesfolge im Irak und Afghanistan, durch illegale Internierungslager und grausame und erniedrigende Behandlung von Gefangenen in Guantanamo und anderswo, durch völkerrechtswidrige Verschleppung von Verdächtigen (etwa des deutschen Staatsbürgers el-Masri nach Afghanistan) oder die Verbringung von Verdächtigen in Folterstaaten (z.B. Syrien und Ägypten) zur Durchführung brutaler Verhörmethoden. Andererseits haben sie dadurch und durch direkte Ermutigung und Unterstützung auch dritte Regierungen ermutigt, die Menschenrechte oder die Prinzipien der Demokratie nicht ernst zu nehmen, wie sich von Russland bis China ablesen lässt und in Ländern wie Pakistan oder seinen zentralasiatischen Nachbarn besonders deutlich ist. Menschenrechtsverletzende Regierungen in Moskau, Peking oder der Dritten Welt empfinden US- oder internationale Vorwürfe oder Druck als wenig überzeugend, wenn die hegemoniale Supermacht ähnliche Praktiken selbst begeht oder bei anderen toleriert.
Auch hier wird man dies nicht als direkte Folge des internationalen Terrorismus bezeichnen können. Trotzdem besteht ein indirekter politischer Zusammenhang, da ohne die emotionale Erfahrung der terroristischen Anschläge eine solche Politik innen- und außenpolitisch kaum vermittelt werden könnte. Auch hier hat der Terrorismus also einen mittelbaren Effekt auf die internationalen Beziehungen, und erneut einen destruktiven.


Fazit.
Der internationale Terrorismus hat die internationalen Beziehungen direkt und indirekt beeinflusst. Dabei erweisen sich seine direkten Folgen als wirtschaftlich und politisch zwar relevant, aber vor allem in einzelnen Ländern und Regionen und zeitlich begrenzt. Seine globalen Auswirkungen sind meist indirekter Natur und resultieren aus seiner Verknüpfung mit anderen Faktoren (etwa dem Widerstand gegen fremde Truppen, die als Besatzer empfunden werden, wie z.B. in Palästina, dem Irak oder Kaschmir) und der Reaktion größerer Mächte, wie dem US-erklärten „Krieg gegen den Terrorismus“. Seine Folgen liegen insbesondere in der Vertiefung vorhandener Instabilität in Regionalkonflikten und einer Verhärtung bzw. Militarisierung der Politik staatlicher Akteure. Mittel- und längerfristige Trends bezüglich des internationalen Terrorismus und seiner Folgen sind schwer zu quantifizieren, werden aber in der Regel wegen seiner emotionalen und symbolischen Kraft überschätzt. Vieles, was etwa im Irak oder Palästina als Erscheinungen des internationalen Terrorismus gedeutet wird, gehört eigentlich in andere Kategorien der politischen Gewalt (z.B.: Guerillakrieg, bewaffneter Widerstand) und verzerrt die vorliegenden Daten. Deshalb sind die Zahlen einer dramatischen Zunahme des internationalen Terrorismus seit 2004 eher auf die Besetzung des Irak, denn auf den Terrorismus als solchen zurückzuführen.



Literatur

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  • Ganor, Boaz, Defining Terrorism: Is One Man’s Terrorist Another Man’s Freedom Fighter?, Institute for Counter-Terrorism, Herzliya, o. J., über: http://www.ict.org.il/
  • Glasser, Susan B., Global Terrorism Statistics Debated – New Report Leaves Some Wondering How to Measure the Number of Attacks, in: Washington Post, May 1, 2005, p. A23
  • Glasser, Susan B., US Figures Show Sharp Global Rise in Terrorism – State Department Will Not Put Data in Report, in: Washington Post, April 27, 2005, p. A01
  • Haynes, Craig O., US Counterterrorism vs. the New Terrorism: Leadership and Strategy are the Keys to Success, United States Marine Corps, Command and Staff College, Marine Corps University, Quantico/Virginia 2002, p. 27, http://stinet.dtic.mil/cgi-bin/GetTRDoc?AD=ADA404938&Location=U2&doc=GetTRDoc.pd
  • Hippler, Jochen, Der Irak zwischen Dauerkrise, Bürgerkrieg und Stabilisierung, in: Friedensgutachten 2006, Münster u.a. 2006, Kapitel 3.1
  • Hippler, Jochen, Die Folgen des 11. September 2001 für die internationalen Beziehungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3–4/ 2004, Januar 2004, S. 3-6
  • Kometer, Michael W., The New Terrorism - The Nature of the War on Terrorism, Air University Press, Maxwell Air Force Base, Alabama, July 2004, p. 49
  • Krugman, Paul, The Cost of Terrorism: What Can We Know?, Commissioned Briefing Notes for the CIGI/CFGS L20 Project, “The Nexus of Terrorism and WMDs: Developing a Consensus, The Princeton Project on National Security, Princeton University, December 12-14, 2004
  • Raby, Geoff, The Cost of Terrorism and the Benefits of Cooperating to Combat Terrorism, Paper presented by Dr Geoff Raby, Deputy Secretary, Department of Foreign Affairs and Trade to APEC Senior Officials Meeting, Chiang Rai, 21 February 2003 and submitted by Australia to the Secure Trade in the APEC Region (STAR) Conference, Department of Foreign Affairs and Trade, Economic Analytical Unit, 24 February 2003
  • US Department of State, Patterns of Global Terrorism 2003, Washington 2004, p. XII; http://www.mipt.org/pdf/2003pogt.pdf
  • US National Counterterrorism Center, A Chronology of Significant International Terrorism for 2004, Washington, 27 April 2005
  • US National Counterterrorism Center, Report on Incidents of Terrorism 2005, Washington, 11 April 2006
  • Zawahiri, Ayman al, Brief an Abu Musab al Zarqawi, Text des Briefes vom 9. Juli 2005, veröffentlicht vom Office of the Director of National Intelligence, am 11. Oktober 2005, ODNI News Release No. 2-05, Washington 2005




Quelle:

Jochen Hippler
Internationaler Terrorismus - Seine Folgen für die Internationalen Beziehungen,
in: Globale Trends 2006 - Fakten, Analysen, Prognosen,
hrsg. von Tobias Debiel, Dirk Messner, Franz Nuscheler für die Stiftung Entwicklung und Frieden, Frankfurt  2006, S. 105-122

 

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