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Jochen Hippler

„Bis zum letzten Afghanen“ -
Hintergründe der US-Politik gegenüber Afghanistan

 

geschrieben 1989

 

Mitte Februar 1989 sind die sowjetischen Truppen vereinbarungsgemäß und pünktlich aus Afghanistan abgezogen. Die völlige Fixierung der westlichen Medien auf die sowjetische Rolle im afghanischen Krieg hat für diesen Zeitpunkt zwei sehr irreführende Erwartungen erweckt: die Überzeugung, daß die Probleme des Landes und der Krieg hauptsächlich durch die sowjetische Intervention verursacht worden seien, legte den Schluß nahe, daß sie mit dem Abzug des sowjetischen Militärs nun im wesentlichen gelöst wären. Und die Behauptung, die Regierung in Kabul sei ausschließlich von der Sowjetunion militärisch an der Macht gehalten worden, implizierte, daß sie nun in allerkürzester Zeit zusammenbrechen müsse. Dementsprechend vertraten die Mudjahedin und die US-Regierung öffentlich auch immer wieder: Der Sturz der Regierung (auf Gesinnungsdeutsch: des »Regimes«) sei nur eine Frage von Tagen, höchstens Wochen. Das aber ist zu bezweifeln.

Der Krieg in Afghanistan hat ein doppeltes Gesicht: Es handelt sich um einen Konflikt, der seine Dynamik aus der afghanischen Geschichte und Innenpolitik bezieht, und zwar nicht nur aus den Entwicklungen des letzten Jahrzehnts. Der Kampf lokaler, stammesförmiger und politischökonomischer Interessen gegen Versuche einer staatlichen Zentralgewalt, das Land tatsächlich zu »regieren« und gar zu modernisieren, reicht lange zurück. Und er war fast immer erfolgreich. Dieser Widerstand gegen die Modernisierung und staatliche Durchorganisation des Landes  beides genuin innerafghanische politische Strömungen, die weder in Moskau, noch in Washington erfunden werden mußten  hat eine westliche (oder östliche) Modernisierung zwar verhindert, zugleich aber keine eigene, positive Perspektive oder Entwicklung hervorgebracht. Der innerafghanische Konflikt hatte schon gewaltsame Formen angenommen, lange bevor von »Sozialismus« in Afghanistan ernstlich geredet werden konnte. Die Versuche der Volksdemokratischen Partei Afghanistans (DVPA) seit dem April 1978, eine Modernisierung des Landes unter sozialistischen Vorzeichen nunmehr mit Zwang und Gewalt durchzusetzen, spitzten ihn schließlich dramatisch zu.

Gleichzeitig bietet Afghanistan ein Terrain für die Auseinandersetzung zwischen den Weltmächten USA und Sowjetunion, ein Terrain, auf dem eine sogenannte Regionalkrise forciert wird, in der das Land selbst nur eine Statistenrolle spielt. Und vor diesem Hintergrund ist in letzter Zeit oft behauptet worden, der sowjetische Truppenabzug als Folge der Genfer Verträge sei ein »Modell für die Beilegung anderer Regionalkrisen«. Nichts wäre weiter von der Realität entfernt.

Die sowjetische Intervention in Afghanistan war für das Land und für die Sowjetunion selbst eine Katastrophe. Sie hatte etwa 15.000 tote SowjetSoldaten zur Folge und ein Mehrfaches an Verletzten und dauerhaft Verkrüppelten. Der Unterhalt von 108.000 Soldaten über mehr als neun Jahre unter schwierigen logistischen und topographischen Bedingungen erwies sich als eine schwere militärische und vor allem auch wirtschaftliche Bürde, die die ökonomische Krise der Sowjetunion verstärkte. So wurde die dauerhafte Präsenz in Afghanistan zu einem politischen Problem, und zwar um so mehr, je deutlicher sich die Artikulationsmöglichkeiten für abweichende Meinungen ausweiteten. Je erfolgreicher Glasnost war, desto schwieriger wurde es, die Präsenz des sowjetischen Militärs in Afghanistan zu legitimieren.

Schließlich waren die außenpolitischen Kosten der Intervention beträchtlich:

Die Position der UdSSR in der Dritten Welt war auf Dauer geschwächt, insbesondere verschlechterten sich die Beziehungen zu den islamischen Staaten. Jedes Jahr verabschiedete die UN-Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit Resolutionen (ca. 120 Länder stimmten zu), die die Intervention verurteilten und den Abzug der Truppen forderten. Eine Belastung der ökonomischpolitischen Beziehungen zu den kapitalistischen Staaten Westeuropas und Nordamerikas kam hinzu. Da ein militärischer Sieg oder ein Erfolg nach dem Muster klassischer Counterinsurgency aussichtslos erschien, geriet die Sowjetunion zunehmend in den Zwang, sich aus dieser Lage lösen und nach Wegen eines Truppenabzugs suchen zu müssen, die den Schaden begrenzen würden.

Spätestens seit 1983, verstärkt nach dem Amtsantritt Gorbatschows, hat sich die Sowjetunion bemüht, sich mit den USA dahingehend zu verständigen, daß ein Truppenabzug dann erfolgen könnte, wenn die USA auf eine militärische Unterstützung der Mudjahedin verzichten würden. Zunächst sollten diese Offerten noch an eine Anerkennung und Bestandsgarantie der afghanischen Regierung gekoppelt werden, eine Bedingung, die bald aber nicht mehr ernsthaft gestellt wurde.

Die US-Regierung war sich bezüglich Afghanistans alles andere als einig: Eine Fraktion, die den Abzug der sowjetischen Truppen erreichen wollte, war bereit, gewisse Zugeständnisse zu machen, um ihrem Ziel näher zu kommen. Eine militantere Fraktion, die stärker im Pentagon und in der CIA als im Außenministerum verankert war, hatte anderes im Sinn: Ihr ging es darum, die Sowjetunion in Afghanistan »ausbluten« zu lassen. Noch 1986 wurde mir von einem hochrangigen Gesprächspartner aus dem Pentagon erklärt, die US-Regierung wolle gar keinen Truppenabzug der Sowjetunion. Die Sowjets hätten sich in eine unhaltbare und politisch wie militärisch kostspielige Lage gebracht, und es läge nicht im amerikanischen Interesse, sie daraus zu befreien. »Wir werden die Sowjets in Afghanistan festnageln und ausbluten lassen« und »Wir kämpfen bis zum letzten Afghanen« waren Formulierungen, die ebenso zynisch wie treffend die Politik der US-Administration beschrieben. Die militante Fraktion hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt im wesentlichen durchgesetzt, und erst im Zuge der Verbesserung des Verhältnisses zwischen USA und Sowjetunion und dem Ausscheiden wichtiger »Falken« aus der Regierung (Casey, Weinberger, Perle, Ikle, u.a.) wurde sie wieder in den Hintergrund gedrängt.

Die USA betrieben und betreiben in Afghanistan eine der größten CIA-Operationen ihrer Geschichte. Sie ist auf jeden Fall die umfangreichste seit dem Vietnamkrieg, möglicherweise noch umfassender. Die Unterstützung der Contras gegen Nicaragua war dagegen eine relativ bescheidene Angelegenheit. Wichtiger Bestandteil der Operation bildete von Anfang an die psychologische Kriegführung (PSYOP), die die Wahrnehmung des Krieges in der Weltöffentlichkeit beeinflussen sollte  und dies auch erfolgreich getan hat. Ziel war, den Krieg in Afghanistan als einen »guten Krieg« (in den Worten eines hohen Beamten der US-Regierung) zu verkaufen, in dem eine »Befreiungsbewegung« (die Mudjahedin) gegen fremde  sowjetische  Invasionstruppen kämpfte, um die Unabhängigkeit ihres Landes zurückzuerlangen. Die völkerrechtswidrige Intervention, die Bombardierungen aus der Luft und andere Praktiken des sowjetischen Militärs erleichterten diesen Versuch, den Krieg zum Kampf des Guten gegen das Böse zu stilisieren. Wie die Contras wurden auch die Mudjahedin zu »Freiheitskärnpfern« zurechtdefiniert. In Afghanistan ist es allerdings etwas schwerer, diese Darstellung als Propaganda zu erkennen. War es in Nicaragua von vornherein klar, daß es sich bei den Contras um eine von den USA kontrollierte Söldnertruppe ohne nennenswerte soziale Basis im Land handelte, so traf das auf die Mudjahedin nicht zu: Unabhängig von ihrer massiven Unterstützung durch die US-Regierung waren sie in Afghanistan verankert und ein Produkt innerafghanischer Widersprüche. In Afghanistan existierte also ein genuiner Widerstand gegen eine linke Regierung, und daneben gab und gibt es Gruppen, Organisationen und Parteien mit Söldnercharakter und einer entsprechenden Mentalität.

Die Mudjahedin als Organisation wurden  nach Aussage des daran leitend beteiligten pakistanischen Generals Nasirullah Babar - 1973 von der pakistanischen Armee gegründet. Kurz zuvor hatte Pakistan den Krieg gegen Indien verloren (und in der Folge seine östliche Staatshälfte), in den Nachbarländern VR China und Sowjetunion schienen Veränderungen bevorzustehen, deren Auswirkungen man noch nicht absehen konnte. In dieser Situation sei dann auch noch König Zahir Shah im Nachbarland Afghanistan gestürzt worden, so daß dort eine längere Periode politischer Instabilität zu erwarten war. Aus strategischen Gründen, so der General im November letzten Jahres [das Gespräch fand im November 1988 in Peshawar statt; JH 2001], habe die pakistanische Armee daher entschieden, in allen Provinzen Afghanistans »eine militärische Option aufzubauen«  nicht, um sofort Krieg zu führen, aber um für die Zukunft den eigenen Spielraum auszuweiten. So seien die Mudjahedin als organisierte und militärische Kraft entstanden, damals geführt von Rabbani, unter Mitarbeit von Hekmatyar, die beide noch heute eine führende Rolle spielen. Diese Organisation wurde vom pakistanischen Militär finanziert und bewaffnet »und funktionierte bis 1977 als Unterorganisation des (pakistanischen) militärischen Geheirndienstes«.

Mit dem Putsch General Zia Ul-Haqs wurde die Operation abgebrochen, »weil dieser den strategischen Charakter nicht verstanden« habe. Daraufhin spaltete sich die Organisation, da ihre unterschiedlichen Flügel nun zu verschiedenen Ländern und Geldgebern gingen, um sich zu finanzieren  das Ergebnis sind die sieben Parteien, die heute in Peshawar residieren. Erst im Juli 1979 sei die Operation wieder systematisch aufgenommen worden, und zwar auf Drängen der CIA. Die CIA hat sich damals an die pakistanischen Militärs gewandt, um sich Beratung, Unterstützung und Kontakte zu verschaffen, die eine Fortsetzung der Mudjahedinoperationen erlauben würden. Diese CIA-gesteuerten Aktivitäten begannen (nach ersten, noch zaghaften Versuchen 1978) in der zweiten Jahreshälfte 1979 und wurden hinter dem Rücken des eigenen Außenministeriums durchgeführt. Im Verlauf der nächsten zwei oder drei Jahre ging der pakistanische Einfluß langsam zurück, im gleichen Maße, in dem sich das CIA-Engagement vergrößerte. Der Umfang der Unterstützung wuchs beträchtlich: Allein 1987 lag der Wert der Waffenlieferungen bei rund 700 Millionen Dollar, dazu kamen »zivile, humanitäre« Hilfe, gefälschte Banknoten, die den Mudjahedin einerseits lokale Währung verschafften und zugleich die afghanische Wirtschaft untergruben.

Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, in welchem Maße es den USA gelang, die Mudjahedin  und insbesondere die Siebenerallianz in Peshawar  als rundum positive »Freiheitskämpfer« zu verkaufen, die nur ihr Land von den sowjetischen Truppen befreien wollten. Schließlich hatten sie bereits vor der sowjetischen Intervention, Teile der Mudjahedin bereits vor der Regierungsübernahme durch die DVPA, einige Vorläufer sogar schon unter König Zahir Shah gekämpft, als weder der Antikommunismus, noch die Intervention als Legitimation zur Verfügung standen. Auch das entscheidende Engagement des pakistanischen Geheimdienstes und der CIA hinderten die amerikanische Administration und ihre Medien nicht, diese Kräfte zur »Nationalen Befreiungsbewegung« zu ernennen. Regelmäßige Massaker gerade jener Gruppen, die am massivsten mit US-Waffen und CIA-Geld ausgestattet wurden, waren nicht einmal ein ernstes Public-Relations-Problem. Massaker an Zivilisten, Häutung von Gefangenen, Vergewaltigungen, alle möglichen Arten von Greueltaten, beispielsweise bei der vorübergehenden Einnahme der Stadt Kunduz im letzten Sommer, konnten das glänzende Image der Mudjahedin und der Siebenerallianz nicht ankratzen. So war die massive Unterstützung dieser »Befreiungsbewegung« im Gegensatz etwa zur Unterstützung der nicaraguanischen Contras in der US- oder der Weltöffentlichkeit nie ein Problem. Der Kongreß bewilligte mehr als einmal mehr Geld für die Operation, als die CIA überhaupt wollte oder sinnvoll ausgeben konnte und die Regierung beantragt hatte. (Daß 60-70 Prozent der Gelder dann in dunklen Kanälen verschwanden oder viele Waffen gleich auf dem Schwarzmarkt verkauft wurden, war nicht weiter bedeutsam.) Es wurde tatsächlich der »gute Krieg«, den man sich seit Vietnam gewünscht hatte.

Dieser wurde zunächst verdeckt, schrittweise aber immer offener geführt, insbesondere nachdem CIA-Direktor Casey im März 1981 die Ausdehnung der Operation angeordnet hatte. Dabei mußten Widerstände der pakistanischen Regierung überwunden werden. Die Rekrutierung hoher Militärs für die CIA  etwa des Generals und Chefs der Militärischen Operationen, Mian Mohammad Afzal  oder ein umfangreiches Paket militärischer und wirtschaftlicher Hilfe  3,2 Milliarden Dollar über 6 Jahre  erwiesen sich hier als hilfreich, die von Reagan angebotene Stationierung US-amerikanischer Truppen in Pakistan lehnte Präsident und General Haq dagegen freundlich und bestimmt ab. Die daraufhin im Herbst 1981 zwischen Pakistan und den USA getroffene Übereinkunft legte Pakistan auf eine dauerhafte und nachdrückliche Unterstützung der Mudjahedin fest. Zugleich wurde eine detaillierte Absprache über die Logistik des Waffennachschubs getroffen: Die CIA transportierte ihr Arsenal nach Pakistan, den größten Teil per Schiff nach Karachi, die sensibleren Waffen per Flugzeug nach Peshawar. Dort übernahm die National Logistics Cell (NLC) des pakistanischen Geheimdienstes ISID (Interservice Intelligence Directorate). Die NLC war dann dafür zuständig, die Waffen ggf. nach Quetta oder Peshawar weiterzutransportieren und dort, unter Aufsicht der CIA, an die sieben lizensierten Mudjahedinparteien zu verteilen. Dabei wurden rund zwei Drittel an die fundamentalistische HisbiIslami des Islamistenführers Hekmatyar geliefert, deren militärische Kampfkraft die USA am höchsten einschätzten und die die pakistanische Regierung aus politischIdeologischen Gründen bevorzugte. (In letzter Zeit gibt es Hinweise dafür, daß die USA bestimmte interne Kommandanten stärker berücksichtigen möchten.) Ein Teil des Nachschubs wurde von der CIA  vermutlich ohne Kenntnis der Bundesregierung  über die BRD abgewickelt, insbesondere die sensibleren Güter, wie beispielsweise die technisch hochentwickelten StingerFlugabwehrraketen. C5 Transportflugzeuge aus den USA machten zu diesem Zweck nicht selten Stop im Rhein-Main-Gebiet, andere Waffen, etwa Tellerminen, wurden aus CIAEinrichtungen bei Stuttgart in den Oman geflogen und von dort per Schiff nach Karachi gebracht.

Die Regierungen Afghanistans, Pakistans, der Sowjetunion und der USA einigten sich darüber, daß 1. die sowjetischen Truppen innerhalb von neun Monaten aus Afghanistan abgezogen werden müßten, daß 2. die Unterstützung der Mudjahedin oder jede Politik, die als Unterstützung aufgefaßt werden könnte, sowie jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten Afghanistans oder Pakistans einzustellen seien, und daß 3. die Rückführung und Wiederansiedlung der Millionen Flüchtlinge gemeinsam in Angriff genommen werden sollte. Außerhalb der offiziellen VertragsVereinbarungen kam es zu einem informellen Gentlemen's Agreement zwischen den USA und der UdSSR, das eine Politik »positiver Symmetrie« beinhaltete, also das »Recht« der USA, die Mudjahedin weiter in dem Maße zu beliefern, in dem die Sowjetunion die afghanische Regierung unterstützte.

Die Reagan-Administration hatte seit Jahren erfolgreich versucht, ein derartiges Vertragspaket zu verhindern. Bereits 1982/83 und 1985/86 wären entsprechende Vereinbarungen und damit ein Abzug der sowjetischen Truppen möglich gewesen  wie aus UNO-Vermittlerkreisen verlautete , wurden aber durch die US-Regierung torpediert, mal durch massiven Druck auf Pakistan, mal durch militante Erklärungen und eine Ausweitung eigener Waffenlieferungen. Erst die allmähliche Schwächung der »Ausbluter«-Fraktion in Washington und die allgemein sich entspannende internationale Lage im Zusammenhang mit den INF-Vertragsverhandlungen erlaubten es, 1988 doch einen entsprechenden Vertrag zu schließen. Allerdings: Eine grundsätzliche Umkehr der US-amerikanischen Politik war damit nicht verbunden. Außenminister Shultz erklärte anläßlich der Unterzeichnung der Genfer Abkommen, daß die USA natürlich auch weiterhin das »Recht« hätten, die Mudjahedin zu unterstützen und dies auch tun würden. Tatsächlich konnte von einer politischen Lösung des Konfliktes keine Rede sein, die Kämpfe flauten nicht ab, Waffenlieferungen wuchsen, statt sich zu verringern. Die CIA-Lieferungen an die Mudjahedin dürften 1988, im Vorgriff und als Reaktion auf die Genfer Abkommen, bei etwa 1,5 Milliarden Dollar gelegen haben, vermutlich eher noch darüber. Allein in den ersten vier Monaten des Jahres wurden in aller Hast für rund 500 Millionen Dollar Waffen geliefert, aufgrund der Eile vermehrt über Frankfurt und Wiesbaden.

Es ist bemerkenswert, daß die US-Regierung auch nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen ihre Unterstützung der Mudjahedin nicht aufgegeben oder vermindert, sondern den Sturz der afghanischen Regierung zum Ziel erklärt hat. Damit wird noch einmal unterstrichen, daß der bloße Abzug der Sowjetunion nicht der Kern US-amerikanischer Afghanistanpolitik gewesen ist. Dies war bereits im August 1979 mit schöner Deutlichkeit in einem geheimen Bericht des US-Außenministeriums formuliert worden. Schon damals hieß es: »Der Sturz der Demokratischen Republik Afghanistan würde dem Rest der Welt zeigen, insbesondere der Dritten Welt, daß die sowjetische Sichtweise eines unvermeidbaren sozialistischen Ganges der Geschichte falsch ist«. Das war tatsächlich das zweite Hauptelement der US-amerikanischen Afghanistanpolitik: nach dem »Festnageln und Ausbluten« der UdSSR nun die Demonstration, daß sich linke Regierungen in der Dritten Welt auch durch ein Bündnis mit der Sowjetunion nicht absichern könnten, und daß die USA über die Mittel und die Entschlossenheit verfügten, unliebsame Revolutionen rückgängig zu machen.

Die Sowjetunion konnte dieser Politik nicht sonderlich viel entgegensetzen. Sie hatte sich in politischer und militärischer Fehleinschätzung der Lage in diese Situation selbst hineinmanöviert. Sie konnte den Krieg nicht gewinnen, und eine politische Stabilisierung der Demokratischen Volkspartei und ihrer Regierung war ihr mißglückt. Interne Auseinandersetzungen bis hin zu Schießereien im Politbüro der DVPA unterstrichen dies. Die Versuche, über eine Politik der Nationalen Aussöhnung oder diskrete Kontakte zu Mudjahedinführern eine breite Koalition zustande zu bringen, hatten daran nichts geändert. Mit dem Beginn des Truppenrückzuges verlor die Sowjetunion zunehmend an Verhandlungsstärke, da sie immer weniger anzubieten hatte. Als Pakistan und die USA offen die Genfer Verträge und sogar die »Politik positiver Symmetrie« verletzten, konnte sie kaum etwas dagegen tun, außer zu protestieren. Ihre Reaktion bestand in hektischer Verhandlungsdiplomatie, die aber zu spät kam, in offensichtlich hilflosen Drohgebärden und in einer zeitlich begrenzten militärischen Eskalation durch Einführung von Scud-Raketen und MiG 27-Bomber, die allerdings militärisch praktisch bedeutungslos waren. Die einzige Alternative wäre ein Abbruch des Truppenrückzugs gewesen, und dieser war weder politisch realistisch, noch bot er irgendeine Perspektive.

In der Tat war die CIA-Operation in Afghanistan nicht nur eine der größten Geheimdienstaktionen der Geschichte, sondern auch eine der erfolgreichsten. Der US-Regierung war es gelungen, die Sowjetunion weit länger und unter höheren Kosten in Afghanistan festzunageln als diese es sich hätte träumen lassen. Der US-Regierung war es gelungen, im Unterschied zu ihrem Engagement in Nicaragua die Politik geheimer Kriegführung in der eigenen Öffentlichkeit und in den westlichen Medien populär und unterstützenswert erscheinen zu lassen. Damit hat sie Dämme gegen weitere »verdeckte Aktionen« in anderen Ländern (etwa Angola) gebrochen. Und der US-Regierung war es schließlich gelungen, die Sowjetunion in eine Position politischer und militärischer Hilflosigkeit hineinzumanövrieren, die praktisch in einem Rückzug um jeden Preis enden mußte.

In der Öffentlichkeit wird der sowjetische Truppenabzug nicht selten als »Modell« für die Lösung weiterer Regionalkrisen begriffen. Das ist entweder Wunschdenken  die Sowjetunion wird nicht überall so in die Mangel genommen werden können, daß sie die Kosten begrenzen und aufgeben muß. Oder es ist unsinnig, dann nämlich, wenn man glaubt, »Diplomatie und friedliche Konfliktlösung« hätten den Truppenabzug bewirkt, den Krieg nunmehr beendet, den Konflikt gelöst. Im Zuge des nicht stattfindenden Friedensprozesses ist der Krieg eskaliert worden, und die Supermacht USA hat sich im wesentlichen durchgesetzt  vorläufig. Der Krieg ist nicht durch den vorausgesagten »Zusammenbruch des Kabuler Regimes« beendet worden, und wird wohl noch einige Zeit weitergehen. Ein Scheitern der Regierung an ihren inneren Widersprüchen ist nicht auszuschließen, aber ein Zerfall der Mudjahedin-Allianzen und ein Krieg zwischen deren Bestandteilen ebensowenig. Die Libanonisierung Afghanistans ist nicht unwahrscheinlich, weil, unabhängig davon, wie lange der Krieg noch dauern und wer ihn gewinnen wird, keine politische Kraft in der Lage sein dürfte, das ganze Land (oder zumindest seinen größten Teil) zu kontrollieren. Das ist die Folge sowohl der Fragmentierung der afghanischen Gesellschaft als auch der Politiken der Sowjetunion und der USA (von der VR China, Saudi Arabien und dem Iran zu schweigen).

Gegenwärtig müht sich die CIA, eine Vereinheitlichung der Mudjahedin zustande zu bekommen, deren Allianz nur durch den gemeinsamen Kampf gegen die Sowjetunion und durch Pressionen Pakistans und der USA zusammengehalten wurde und noch wird. Zugleich arbeitet sie daran, den erhofften »Übergang« möglichst schnell und problemlos zu organisieren. Ein »Sturm auf Kabul« erscheint momentan weder politisch attraktiv, noch militärisch sonderlich vielversprechend. Daher soll versucht werden, die Regierung von innen zum Einsturz zu bringen, entweder durch die Organisierung von Aufständen der städtischen Bevölkerung in der Hauptstadt, oder durch eine Spaltung der Armee und einen Putsch, in dessen Verlauf einem Teil der Militärs eine Amnestie angeboten werden soll.

 

Quelle:

Jochen Hippler,
„Bis zum letzten Afghanen ..."
in: Konkret (Hamburg), April 1989, S. 28-31, leicht bearbeitet

 

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